Auch Ungarn hat keinen Zugang zum Meer, dafür aber die „schöne blaue“ Donau. Im Osten grenzt Ungarn an die Ukraine, im Norden an die Slowakei, im Westen an Österreich, im Süden an Rumänien, Slowenien, Kroatien und Serbien. Die Hauptstadt ist Budapest, die zwei Stadtteile Buda und Pest sind durch die Donau geteilt. Budapest ist bekannt für seine Mineral Spas, Wellnessbäder. Ungarn hat 9,77 Millionen Einwohner mit fallender Tendenz, 105 pro Quadratkilometer im Schnitt. 1980 waren es noch 10,7 Millionen Einwohner. Die Währung heißt Forint.
1. Geschichte
Auf Grund der finno-ugrischen Sprachfamilie, zu der das Ungarische gehört, wird das Gebiet östlich des Urals als Urheimat der Magyaren vermutet. Die ethnische Einheit der Ungarn hat sich wahrscheinlich erst Mitte des 9. Jahrhunderts vor Christi Geburt herausgebildet. Geschätzte 400 000 bis 500 000 Menschen wanderten in die pannonische Tiefebene ein, in ein Gebiet, das bereits besiedelt war.
29 vor Christi Geburt rückten römische Legionen hierher vor. Nach den Daker Kriegen wurde „Pannonien“ römische Provinz. Nach dem Ende der römischen Herrschaft begaben sich Magyaren auf Raubzüge durch ganz Europa und erbeuteten Luxusartikel, teure Waren und auch Gefangene. Ihr Vorteil waren sehr bewegliche Reiter-Scharen.
Christianisierung
Stephan I. (der Heilige!) (1000 bis 1038) war ein ungarischer Fürst aus der Dynastie der Arpaden, der 1. König des von ihm gegründeten Königreiches. Er leitete die Christianisierung in seinem Reich ein. 1102 kam dann durch Personalunion das Königreich Kroatien zu Ungarn. 1241 verwüsteten jedoch die Mongolen nach dem Sieg in der Schlacht bei Muhi das Land und töteten etwa die Hälfte der Einwohner. König Béla IV. – 1235-1270 – holte daraufhin viele Einwanderer in das Land. Sie wurden angelockt durch regional festgelegte Steuerprivilegien und die Garantie des Rechts auf regionale Selbstverwaltung. Darunter waren auch viele deutsch Sprechende wie die Siebenbürger Sachsen. Heute gehört das Gebiet zu Rumänien. 1370 bis 1386 und 1440 bis 1444 wurde Ungarn in Personalunion mit Polen regiert. Unter dem hochgebildeten ungarischen König Matthias Corvinus (1458-1490) wurde die Universität Pressburg gegründet. Der „Renaissancefürst“ holte Gelehrte und Künstler aus Italien an seinen Hof.
Osmanische Herrschaft
1396 kam es zu einer Schlacht bei Nikopolis zwischen dem Osmanischen Reich und Ungarn. Das französisch-ungarische Ritterheer unter König Sigismund verlor. 1444 gab es eine erneute schwere Niederlage gegen die Osmanen, diesmal mit den mit den Ungarn unierten Polen in der Schlacht bei Warna. 1541 eroberten die Türken Buda (deutsch Ofen) und bis 1543 die wichtigsten Städte Zentralungarns. Danach war das Königreich Ungarn für etwa 150 Jahre dreigeteilt. Zentralungarn, d. h. der größte Teil des heutigen Ungarn wurde ein Teil des osmanischen Reiches.
Das Fürstentum Siebenbürgen war ein türkischer Vasallenstaat, der sich aber durch eine geschickte Schaukelpolitik zwischen Wien und der Hohen Pforte in Istanbul eine gewisse Selbständigkeit bewahren konnte.
Eine weitere Herrschaft
Zum Hause Habsburg gehörte das heutige Burgenland in Österreich, die heutige Slowakei, West-Kroatien sowie Teile des heutigen Nordwest- und Nordostungarns. Dies war faktisch eine Provinz der Machthaber in Wien. Die Hauptstadt war Pressburg.
Waren 1526 ca. 3 Millionen Einwohner des Landes Magyaren, waren es auf Grund der ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen um 1600 nur noch 2,5 Millionen. Mit der erfolglosen Belagerung Wiens 1683 durch die Osmanen begann deren Rückzug und damit die Befreiung Ungarns vom Islam nach 300 Jahren. Dadurch entstand ein Macht-Vakuum, das die Habsburger füllten. Sie herrschten nun über ganz Ungarn, und zwar mit harter Hand. 1703-1711 kam es deshalb zum Kuruzen-Aufstand gegen Wien, getragen von dem verarmten niederen Adel. Die Spannungen dauerten an und entluden sich erneut in der Revolution von 1848/49. Aber diese schlug Österreich mit Hilfe Russlands unter Berufung auf die „Heilige Allianz“ nieder.
Ein Modus Vivendi
Nach anhaltenden Unruhen wurde 1867 durch den österreichisch-ungarischen Ausgleich Ungarn ein gleichberechtigter Teil der Doppelmonarchie. So ließ sich Franz Joseph I. in Buda als König von Ungarn krönen. Zur ungarischen Reichshälfte gehörten das Königreich Kroatien und Slowenien, die Vojvodina, große Teile Rumäniens – Siebenbürgen und Banat – und die Karpaten-Ukraine. Doch der Vielvölkerstaat des Königreiches Ungarn litt unter den Nationalitäten-Konflikten, zumal verstärkt eine „Magyarisierungspolitik“ betrieben wurde, die die Assimilierung der Nicht-Ungarn forderte. Deshalb war es konsequent, das heterogene Staatsgebilde nach dem 1. Weltkrieg zu zerschlagen.
Nach den Pariser Trianon Verträgen von 1920 wurden die Tschechoslowakei und das Königreich der Serben, sowie die Kroaten und die Slowenen selbständig.
Eroberungs-Versuche
Am 31.10 1918 hatte Ungarn seinen Austritt aus der Union mit Österreich erklärt. Damit war die „K und K Monarchie“ – königlich und kaiserlich – aufgelöst. Am 16.11.1918 riefen die Ungarn die demokratische Republik Ungarn aus. Das Wahlrecht der Frauen beschränkte sich auf diejenigen, die lesen und schreiben konnten. Außerdem mussten Männer und Frauen mindestens 24 Jahre alt sein und mindestens 6 Jahre die ungarische Staatsangehörigkeit haben, um das Wahlrecht ausüben zu können. 1922 jedoch wurde das Wahlrecht für Frauen auf 30 Jahre heraufgesetzt!
Nach einem kurzen Intermezzo mit einer kommunistischen Räterepublik zettelte Ungarn einen Krieg mit Rumänien an, um die „verlorenen“ Gebiete zurückzuholen – vergeblich. Nun wählte das ungarische Parlament den ehemaligen K und K – Admiral Miklos Horthy zum Reichsverweser. Er führte eine national-konservative Regierung an.
Zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus
In Abgrenzung zu kommunistischen Bestrebungen kam es in den dreißiger Jahren auf Grund wirtschaftlicher Krisen zu einer allmählichen politischen Annäherung Ungarns an das nationalsozialistische Deutschland. Das „zahlte sich“ auch territorial für Ungarn aus.
So erzielte Ungarn zwischen 1938 und 1941 gegenüber dem Territorium, das 1920 im Trianon Vertrag festgelegt worden war, folgende territorialen Gewinne: 1938 Gewinn der südlichen Slowakei nach dem 1. vom faschistischen Deutschland diktierten Wiener Schiedsspruch (1938 war Österreich dem Deutschen Reich einverleibt worden), 1939 Besetzung der Karpatho-Ukraine, 1940 Gewinn Nordsiebenbürgens von Rumänien nach dem 2. Wiener Schiedsspruch, 1941 Annexion der Nord-Vojvodina und des Übermurgebietes nach dem Krieg gegen Jugoslawien.
Das Schicksal der Juden in Ungarn
Ab Mai 1938 wurden in Ungarn antijüdische Diskriminierungsgesetze erlassen. 1944 sind es dann 107 Gesetze, die die Juden vollständig entrechteten. Aber Horthy verweigerte deren Auslieferung bzw. Deportation in deutsche Lager nach Polen.
Im März 1944 jedoch besetzen Truppen des Hitler Reiches Ungarn. Das geschah u.a. in der Befürchtung, Ungarn könnte wegen der Aussichtslosigkeit des weiteren Krieges der Achsenmächte ähnlich wie Italien separate Friedensverhandlungen mit den Alliierten aufnehmen.
Adolf Eichmann als Mörder in Ungarn
Sofort, von Anfang April bis Anfang Juli 1944 innerhalb von nur 7 Wochen lassen die Nazis nach persönlicher Planung und Anordnung von Adolf Eichmann vor Ort in Budapest 437 400 Juden deportieren in die von dem NS-Regime errichteten Vernichtungslager, besonders nach Auschwitz. Eichmann war also nicht nur ein Schreibtischtäter! Die letzten 200 000, die in Budapest noch übrig geblieben waren, wurden auf Grund ausländischer Proteste gegen die grausame Judenverfolgung nicht mehr auf die Fahrt in den Tod geschickt. Anfang Juli 1944 nämlich unterband Horthy die weiteren Transporte. Doch am 13. Oktober 1944 wurde Horthy gestürzt und die Macht ging über an die Bewegung der rechtsradikalen Pfeilkreuzler. Diese nahmen die Deportationen der Juden aus dem Budapester Ghetto sofort wieder auf. Der Einmarsch der russischen Soldaten in Auschwitz und anderen Gebieten verhinderte aber die Durchführung der Liquidierungspläne.
Raoul Wallenberg in Ungarn
Im Kontrast hierzu stehen die mutigen Taten des waghalsigen jungen schwedischen Sondergesandten Raoul Wallenberg. Als er in Schweden von der Vernichtung der ungarischen Juden hörte, ließ er sich an die Botschaft nach Budapest versetzen. Dort arbeitete er mit etwa 300 Angestellten zusammen. Sie brachten so viele Menschen wie möglich in angemieteten Häusern im internationalen Teil des Ghettos rund um die Synagoge unter. Und sie versorgten sie medizinisch und mit Nahrungsmitteln.
Rettung
Durch die Ausstellung von schwedischen Schutzbriefen konnte Wallenberg ungefähr 9 000 Juden vor der Vernichtung bewahren. Immer wieder verfolgte er Transporte, um persönlich schon gefangen genommene Menschen den Häschern zu entreißen. Auch andere internationale Helfer waren für die Rettung der in Budapest verbliebenen Juden aktiv, so dass insgesamt durch diese Aktion ca. 22.000 gerettet werden konnten. Vernichtet wurden jedoch innerhalb der Grenzen, die Ungarn von 1941- 45 aufwies, im wesentlichen in der Zeit der deutschen Besatzung 565.000, während 260.000 jüdische Menschen überlebten, weil die sowjetische Armee eintraf.
Das Schicksal von Raoul Wallenberg
Von der auf Budapest vorrückenden Roten Armee wurde er verhaftet. Man brachte ihn in ein KGB Gefängnis in Moskau. Dort wurde er gefangen gehalten. Dann verlieren sich seine Spuren bis heute hin. Vermutlich ließ Stalin ihn ermorden. In der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem wird Raoul Wallenberg seit 1963 als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. (Ingrid Carlberg, R. Wallenberg, Die Biographie, München 2019)1987 erhielt Wallenberg die israelische Ehrenbürgerschaft.
Ehrung durch die USA
Außerdem wurde Wallenberg vom Kongress der Vereinigten Staaten die amerikanische Ehrenbürgerschaft verliehen. Den Antrag stellte der Kongressabgeordnete Tom Lantos, dessen Leben Wallenberg gerettet hatte. In seiner Rede, die seine Tochter bei der Gedenkveranstaltung der Vereinten Nationen im Januar 2008 verlas, würdigte Lantos Wallenberg folgendermaßen: „Während der Besetzung durch die Nazis ließ dieser heldenhafte junge Diplomat die Bequemlichkeit und Sicherheit Stockholms hinter sich, um seine Mitmenschen aus der Hölle zu retten, die Budapest während des Krieges war. Er hatte wenig mit ihnen gemein: er war Lutheraner, sie waren Juden; er war Schwede, sie waren Ungarn. Und doch rettete er mit Einfallsreichtum, Mut und Kreativität Zehntausenden von Männern, Frauen und Kindern das Leben, indem er sie unter den Schutz der schwedischen Krone stellte.“(www.yadvashem.org, Die Gerechten unter den Völkern, Ausgewählte Geschichten)
Kommunismus
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurde Ungarn von der roten Armee vollständig besetzt und geriet damit unter kommunistische Zwangsherrschaft.
Im Oktober 1956 kommt es zum Volksaufstand und Imre Nagy wird wieder Premierminister. Er fordert eine parlamentarische, pluralistische Demokratie. Der Aufstand wird jedoch von der Sowjetunion brutal niedergeschlagen und Imre Nagy hingerichtet. Janos Kadar, Generalsekretär der ungarischen kommunistischen Partei, wird Ministerpräsident. Er versucht mit wirtschaftlichen Reformen das Volk ruhig zu stellen – “Gulasch Kommunismus“. Ungarische Truppen sind 12 Jahre später als Teil der Truppen des Warschauer Paktes beteiligt an der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ in der Tschechoslowakei 1968.
Der etwas andere Weg
In Ungarn selbst gab es 20 Jahre danach etwas früher als in den Nachbarstaaten „Tauwetter“ in Bezug auf die eisige Zeit des sowjetischen Kommunismus. Zum 1.1.1988 wird den Ungarn Reisefreiheit auch ins westliche Ausland gewährt. Am 19.8.1989 ist es – auch auf Druck der vielen Flüchtlinge aus der DDR – die ungarische Regierung, die den Eisernen Vorhang lüftet. Der Premierminister Gyula Horn lässt den Stacheldrahtzaun zu Österreich auftrennen und läutet damit das Ende des Kommunismus in Ungarn und später auch in anderen Ostblockländern ein. Am 23. 10. 1989 wird die 3. ungarische Republik ausgerufen und Imre Nagy posthum rehabilitiert. Am 8.4.1990 finden die ersten freien Parlamentsahlen statt.
2. Grunddaten
Zur Wirtschaftsstruktur: Die Bruttowertschöpfung verteilt sich folgendermaßen, die zweite Zahl benennt jeweils den Anteil der Beschäftigten: In der Landwirtschaft 4,1%, 4,6%; im Produktionsbereich 30,7%, 32,8%; bei den Dienstleistungen 65,2%, 62,6%. Diese Zahlen verdeutlichen, dass in Ungarn nach wie vor der industrielle Sektor eine hohe Bedeutung hat. Außerdem legen die Zahlen nahe, dass die Beschäftigten im Dienstleistungssektor besonders produktiv sind.
Im Produktionssektor ist die Automobil- und deren Zulieferer – Industrie von hervorragender Bedeutung. Überspitzt kann man sagen, dass Ungarn ein Annex des deutschen Wirtschaftsraumes bzw. speziell der deutschen Automobilindustrie ist. Die Exportquote der ungarischen Industrie war 2017 mit 71% die zweithöchste in der EU, darin 27,7% Exporte nach Deutschland.
Wie hat Ungarn den Aufschwung geschafft?
Ungarn hat mit einem tiefen Unternehmenssteuersatz von lediglich 9% auf unternehmerische Gewinne ausländische Direktinvestitionen angelockt. So haben in der Elektrobranche Weltfirmen wie Samsung oder General Electric in Ungarn investiert. In der Pharmazeutischen Industrie sind es Firmen wie Sanofi oder GlaxoSmithKline.
Die Achillesferse der ungarischen Wirtschaft ist der Arbeitsmarkt. In ihrer den Unternehmen gegenüber besonders freundlichen Politik hat die Regierung 2018 ein Arbeitsgesetz eingeführt, dass jährlich 400 statt bislang 250 Überstunden ermöglicht. Diese müssen neuerdings erst binnen 3 Jahren (bisher binnen eines Jahres) vergütet werden. Das bedeutet, die Arbeitnehmer*innen, die Überstunden leisten, gewähren ihren Arbeitgebern einen zinslosen Kredit in der Höhe der ausstehenden Lohnzahlungen für bis zu drei Jahren! Außerdem ist das ungarische Lohnniveau relativ niedrig. Es ist deshalb kein Wunder, dass gut ausgebildete Arbeitskräfte vermehrt nach Österreich oder Deutschland abwandern.
Soziale Situation
Das BIP je Einwohner Kaufkraft bereinigt lag 2019 bei 34 000,- US Dollar. Die Staatsverschuldung bei 66,3% des BIP. 2018 erhielt Ungarn 5 Milliarden Euro mehr aus Brüssel als es einzahlte. Dieser Netto Empfang machte stolze 4% des BIP aus. Ohne diese Zahlungen wäre das Wirtschaftswachstum um diesen Prozentsatz niedriger!
2017 hatten 79 von 100 in Ungarn Lebenden einen Internetanschluss. 2019 betrug der HDI 0,854.
Viktor Orban
Seit 2010 ist Orban zum 2. Mal an der Macht, also jetzt schon elf Jahre. Seine Zustimmungswerte sind kontinuierlich gestiegen, sogar auf eine Zweidrittel-Mehrheit, womit er auch Verfassungsänderungen mühelos durchs Parlament bekommt.
Wie ist seiner Partei FIDESZ ein solcher Sieg gelungen?
a)Auslandsungarn
In den Ländern rund um Ungarn wohnen viele Menschen, die sich als Ungarn begreifen, weil das Land einst viel größer war. Der Versailler Vertrag hat sie (mit kurzer Unterbrechung zwischen 1938 und 1944) zu Auslandsungarn gemacht. Orban hat all diesen Ungarn 2014 das Wahlrecht in Ungarn ermöglicht. Kaum verwunderlich, dass jene dankbarst zu 95% seine Partei gewählt haben. Man kann nur hoffen, dass er Konflikte um deren Status nicht weiter anheizt. Aber das allein reichte ihm nicht aus, um seine Ziele Zu erreichen.
b) „Gerrymandering“
Aus den USA ist bekannt, dass die Republikaner versuchen, Mehrheiten durch das sog. gerrymandering zu erringen, durch die Verschiebung von Wahlkreisgrenzen zu ihren Gunsten. Orban hat mithilfe von Gesetzen und Gerichten zunächst die Anzahl der Wahlkreise in Ungarn halbiert. Dann hat er die Grenzen der neuen Wahlkreise entlang von Religion und Ethnizität neu festgelegt und zwar sehr verschieden groß. Gebiete mit vielen Oppositionsstimmen fanden sich in übergroßen Wahlkreisen wieder. Treue Anhänger dagegen vertreten seitdem sehr kleine Wahlkreise, stellen also überproportional viele Gewählte. So schaffte FIDES es, mit nur 45 % der Stimmen im Parlament zwei Drittel der Sitze zu erlangen. (Die Zeit, 15.4.2021) Aber Orban hält es für notwendig, darüber hinaus für die nötige Unterstützung seiner Person zu sorgen. Und wie macht er das?
c) „Pflege“ seiner Wähler
Loyale Unternehmer und Familien-Mitglieder profitieren überproportional von den EU Fördergeldern. Dies ist Günstlingswirtschaft oder „crony capitalism“, wie es im Lehrbuch steht. Zwischen 2011 und 2020 erwarben 4 Geschäftsmänner, die alle Familienmitglieder von Viktor Orban sind, staatliche Aufträge von rund 10 Milliarden Euro. „Der Gasinstallateur aus Orbans Heimatort Felcsut häufte im Bausektor innerhalb weniger Jahre ein Vermögen von umgerechnet 1,1 Milliarden Schweizer Franken an. Er nannte sein Erfolgsrezept „Gott, Glück und Viktor Orban“. Das System Orban floriert im kaum zu kontrollierenden Graubereich zwischen Markt und Korruption. (Neue Züricher Zeitung online vom 28.11.2020: Ungarns Vetternwirtschaft). Darüber hinaus hat Orban dafür gesorgt, dass seine Günstlinge große Flächen kaufen konnten und so besonders von den EU-Landwirtschaftsgeldern profitieren.
Zur Korruption
Der Corruption Perception Index von Transparency International weist Ungarn 2018 weltweit auf Rang 64 aus und damit EU-weit auf dem drittletzten Platz. Rang 1 – ohne nennenswerte Korruption – wird in der EU von Schweden besetzt. Das EU-Amt zur Ermittlung von Korruptionsfällen OLAF hatte den ungarischen Behörden Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit EU geförderten Projekten signalisiert, eine der betroffenen Firmen gehörte dem Schwiegersohn des Premierministers Viktor Orban. Das Problem ist, dass OLAF zwar in den Mitgliedstaaten ermitteln kann, aber keinerlei Möglichkeiten hat, selber Gelder zurückzufordern oder Sanktionen auszusprechen. Dazu ist diese Behörde auf die Zusammenarbeit mit Behörden i n den Mitgliedsstaaten angewiesen.
Ergänzung Nov. 2022: „Bekämpfung“ á la Orban
In diesem Fall hat Viktor Orban das Problem „gelöst“, indem er das Projekt zu einem „rein staatlichen“ Projekt umwidmete und der ungarische Steuerzahler den vollen Betrag zahlen musste. Allerdings hatte er vor den Wahlen auch die ungarischen Haushalte mit viel Geld bedacht. Senioren bekamen eine 13. Monatsrente. Junge Leute unter 25 mussten keine Einkommens-Steuern mehr zahlen. Familien erhielten eine Steuerrückerstattung, der Benzinpreis wurde gedeckelt usw.
Große Infrastrukturprojekte wie der Bau der Budapester Metro oder der Bau von Autobahnen sind in Ungarn besonders korruptionsanfällig. Im Jahresbericht 2019 von OLAF wird aufgeführt, dass fast 500 Millionen Euro EU Fördergelder missbraucht oder zweckentfremdet wurden. Damit sei Ungarn Spitzenreiter: 4% der EU Gelder seien zweckentfremdet worden gemäß 43 abgeschlossenen Untersuchungen – der EU Durchschnitt liegt bei 0,34%.
Ergänzung vom Mai 2023: immer mehr ausgeweitete Korruption
Inzwischen beunruhigt die Korruption in Ungarn die EU so sehr, dass sie eine Delegation zur Überprüfung nach Ungern entsandt hat. Die Auszahlung der Gelder aus dem Fonds sind ohnehin ausgesetzt. Mittlerweile berichten die entsandten Europa-Abgeordneten, dass Manager europäischer Firmen, wie deutsche, österreichische etc. mit diversen perfiden Mitteln und Methoden unter Druck gesetzt werden, Übernahmeangebote – natürlich zu Billigpreisen – zu akzeptieren. Das reiche bis zu Besuchen von Geheimdienstmitarbeitern zu Hause.
Zur gegenwärtigen Politik
Ungarn ist neben Polen das große Sorgenkind der EU: Ungarns Premierminister Viktor Orban hat eine ziemliche Veränderung in seiner politischen Grundhaltung durchgemacht: Er gehörte zu denen, die geholfen haben, Ungarn von der sowjetischen Vorherrschaft zu befreien. Heute jedoch propagiert er das Modell einer „illiberalen Demokratie“ nach dem Vorbild Russlands, Chinas oder der Türkei. Das bedeutet nichts anderes, als dass er sich als den autoritären Führer eines nationalistischen Landes sieht. Er betreibt die Gängelung bzw. Vertreibung von ausländischen NGOs wie der Soros Universität, was nach der Rechtsprechung des EUGH illegal ist. Er verweigert sich der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen. Er unterhöhlt die Unabhängigkeit der Justiz und beginnt mit der Gleichschaltung der Medien. Das ist als Entdemokratisierung und als schleichende Etablierung eines autoritären Staates zu werten.
Ungarn und die EU
Seine FIDESZ-Partei gehört im Europäischen Parlament zur Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP). Bis zum Frühjahr 2021 konnte diese sich nicht dazu durchringen, Fidesz aus der konservativen Parteienfamilie auszuschließen.
Dennoch vergleichen Budapest und Warschau ungeniert und in unverschämter Weise „den bürokratischen Moloch Brüssel“ mit dem Gewaltregime der Sowjetunion. Oder sie bezeichnen Brüssel als gierigen Casino-Kapitalismus.
Orbans Argumentation
1. Orban bezeichnet das Jahr 2015, als die Flüchtlinge aus Syrien nach Europa kamen, als Wendepunkt in seinem Verhältnis zu Europa. Denn Ungarn habe 130 Jahre unter dem Islam des Osmanischen Reiches gelitten. Als gut katholisches Land wolle es deshalb keine Anhänger des Islam ins Land lassen.
2. Der Verweis auf die Netto Zahlungen der EU an Ungarn gehe außerdem in die Irre. Unternehmen aus der EU würden jährlich 6 Milliarden als Profit und Ausschüttungen mitnehmen. „Wir erhalten keine Zuwendungen von der Union, sondern wir sehen das als eine Kompensation für den Profit, den die anderen EU Länder bei uns erwirtschaften“ (Vgl. Interview in der ZEIT vom 26. November 2020, S.6). Dies ist eine gefährliche und unbegründete Propaganda, um von der eigenen Korruption unter Ausnutzung gerade dieser EU- Gelder abzulenken!
Der EU-Rechtsstaatsmechanismus
Obwohl bzw. gerade weil Ungarn zu den größten Nettoempfängern von Geldern aus Brüssel gehört, weigert sich die Regierung Orban mit Händen und Füssen gegen den im Sommer 2020 beschlossenen Rechtsstaatsmechanismus. Stellt die EU Kommission fest, dass ein Mitgliedsland gegen grundlegende Prinzipien der EU Verträge verstößt, kann sie Zahlungen aussetzen oder ganz kürzen. Die Anwendung dieses Mechanismus gegenüber Ungarn steht noch aus, da der EUGH die Rechtmäßigkeit dieser „Sanktion“ auf Antrag Ungarns erst noch überprüfen soll. Die Tatsachen der Zweckentfremdung von EU Geldern sprechen ganz klar dafür, dass der Rechtsstaatsmechanismus endlich gegen Ungarn angewandt werden muss, sonst driftet das Land noch weiter aus der Gemeinschaft! Ein Kuschelkurs hilft nicht weiter.
Das Verhalten Deutschlands
Man fragt sich, warum Deutschland in der Zeit der Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 so zaghaft den Rechtsstaatsmechanismus gefördert hat. Es sollte verhindert werden, dass Ungarn und Polen den Wiederaufbaufonds blockieren. Aber beide Länder hätten sich mit so einem Veto selbst erheblich geschadet, da sie dann auch keine Gelder aus diesem Fonds erhalten hätten. Deshalb erscheint es eher wahrscheinlich, dass die deutsche „Autokanzlerin“ (Angela Merkel) die enge Verzahnung der ungarischen und der deutschen Wirtschaft nicht gefährden wollte.
2021 wird gemeldet, dass Ungarn den russischen Impfstoff Sputnik V, der in der EU nicht zugelassen ist, kauft und damit aus der gemeinsamen Strategie der EU zur Pandemie Bekämpfung ausschert (tagesschau.de 22.1.2021).
13.12.2022 Einfrieren von Geldern aus dem EU-Haushalt
Der Rat der EU hat auf Vorschlag der Kommission mit Zweidrittel Mehrheit entschieden, die ersten 6,3 Milliarden Euro auf Eis zu legen. Die eingefrorenen Gelder sind jedoch danach noch erhöht worden. Denn im Jahr 2023 ist von 22 Mrd. zu lesen.
Kirchenfinanzierung
Zur Religionszugehörigkeit in Ungarn gibt es nur Zahlen für 2001 und 2011. Katholiken machten 2001 54,1% aus, 10 Jahre später 2011 39%; Reformierte (Kalvinisten) gab es 2001 15,9% und 2011 11,6%; Lutheraner 2001 3%, 2011 2%. Die Zahl der Konfessionslosen stieg von 2001 14,5%, auf 18,2. Keine Antwort gaben 2001 10,8% und 2011 27,2%. Die heutige jüdische Gemeinschaft in Ungarn ist eine der größten in Europa. Die Kirchenfinanzierung erfolgt in Ungarn über eine Mandatssteuer. 1% der zu zahlenden Einkommenssteuer geht nach Wahl des Steuerzahlers an eine selbst gewählte Organisation oder Institution, auch an solche mit sozialen, kulturellen oder humanitären Zwecken.
Leben und Kultur
Kulturell: Zum Weltkulturerbe in Ungarn gehört u.a. das Schloß Esterhazy-Fertöd. Der Csardas ist eine typische ungarische Volksmusik und eine traditionelle Tanzform. Das Bild zeigt den Csardas in einem von verschiedenen nationalen Kostümen.
Durch Franz Liszt hat diese Musik Eingang in die Kunstform der Musik gefunden. Als Komponist klassischer Musik ist außerdem Bela Bartok zu erwähnen. Ungarische Operettenkomponisten sind u. a. Emmerich Kalman – „Gräfin Mariza“ und „Die Csardasfürstin“ – und Paul Abraham -“Ball im Savoy“ und „Viktoria und ihr Husar“. Mehrere der Operetten wurden auch erfolgreich verfilmt.
Kulinarisch: Gulasch, Paprika Huhn und der Tokajer als Wein
Imre Kertesz
Er ist Überlebender des KZ Auschwitz – Birkenau. Die Erfahrungen dort verarbeitet er in dem „Roman eines Schicksallosen“. Er erhielt 2002 den Literaturnobelpreis.