Kommission befürchtet „Bruch der Grundarchitektur des europäischen Rechtsstaatsystems“

Die Kommission hat Polen jetzt ein Ultimatum gesetzt. Wenn das Land nicht bis zum 16. August bestätigt, dass es die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Disziplinarkammer respektiert, will die Kommission beim EuGH Strafzahlungen gegen  Polen beantragen, meldet soeben die FAZ. Die Kammer verstoße gegen die Unabhängigkeit der Richter in Polen, so das Urteil. Zwar hatte das Oberste Gericht Polens anders herum entschieden, es verstoße gegen die polnische Verfassung, die Disziplinarkammern aufzulösen. Aber die Kommissarin und Kommissionsvizepräsidentin, Vera Jourova, setzt dagegen, „EU-Recht hat Vorrang vor nationalem Recht“.  Eine einmalige Strafzahlung würde  3,158 Mill. Euro betragen. Das EUGH kann allerdings auch eine tägliche Strafzahlung verhängen, bis Polen der Aufforderung Folge leistet.

Polen hatte die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtes 2018 eingerichtet. Diese konnte Richter  suspendieren und damit Druck ausüben. Richter waren dadurch in ihrer Amtsausübung nicht mehr unabhängig. Denn die Mitglieder der Kammer wurden vom politisch kontrollierten Landesjustizrat eingesetzt. (vgl. hier: Polen) Die Unabhängigkeit der Justiz, also die Gewaltenteilung sei damit nicht mehr gegeben, so der EUGH, der der Kommission in allen Punkten Recht gab. (Welt, Ausland)

28.10.21 Der EUGH hat nun entschieden

Ende Oktober hat der EUGH zusammengefasst entschieden: „Die in Polen geltende Regelung, nach der der Justizminister, der gleichzeitig Generalstaatsanwalt ist, Richter an Strafgerichte höherer Ordnung abordnen und eine solche Abordnung jederzeit beenden kann, ist unionsrechtswidrig„.

Außerdem hat der EUGH Polen zur Entrichtung eines Zwangsgeldes von täglich 1 Million € verurteilt. (Die kommen zu der Strafe vom Ende September von einer halben Million täglich dazu – zu zahlen wegen Nicht-Beendigung eines Braunkohleabbaus nahe der tschechischen Grenze)

Klagen kann Polen nicht mehr dagegen. Die täglichen Zwangsgelder werden ggfs. von regulären Zahlungen der EU an Polen einbehalten.

Weitere Kautelen

Außerdem hält die EU bisher Gelder von 36 Mrd. € aus dem Corona-Hilfsfonds zurück, davon 24 Mrd. E, die Polen nicht zurückzahlen müsste. Diese Summe ist unvergleichlich viel höher als die tägliche Million (bzw. 1,5 Millionen). Mit diesem Geld möchte Polen ein großes Infrastrukturprogramm finanzieren. Dafür wirbt es schon seit Monaten auf Plakaten.

Um die Gelder zu erhalten, muss jedes Land Brüssel einen Plan vorlegen, den die Kommission genehmigen muss. Brüssel kann den Plan ablehnen oder ihm zustimmen. Die Kommission will – soweit bekannt – die Zustimmung nicht ohne Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit geben.

Insofern urteilt die Europarechtsexpertin der Hertie School in Berlin, Thu Nguyen: “ Irgendwann tut es weh“.

Politisches Kalkül

Allerdings werden in spätestens zwei Jahren Wahlen zum Parlament abgehalten – ggfs. wird die Regierung auch vorgezogenen Neuwahlen ansetzen. Denn der Vize-Regierungschef Kaczynski von der PiS hofft, den innerpolitischen Dauerstreit um die EU bis dahin aufrecht erhalten zu können. Die von den Konservativen PiS-Leuten angezettelte Polarisierung hat die PiS 2015 an die Macht gebracht und 2019 zur Widerwahl der PiS geführt.

 

Quellen: euronews und 16.11.2021; Das Parlament; Zeit;