Winfried Kretschmann sagt in einem Interview mit der Zeit am 1.6.2023

Seit 1990 ist das Bruttoinlandsprodukt der EU um 65 Prozent gewachsen. Der CO²-Ausstoß ist in dieser Zeit um 30 Prozent gesunken. Also ist die Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Naturverbrauch offenkundig möglich.

I. Die Industrie

Einer der großen Energiekonzerne in Deutschland ENBW hat seit Nov. 2022 einen neuen Chef. Der hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Er weiß: Vor allem Kohle erzeugt hohe CO²-Emissionen. Der Konzern betreibt bislang 5 Kohlemeiler. Der Neue hat berechnen lassen, wie der Konzern erreichen kann, 2035 bei Null CO² -Emissionen zu sein. Experten haben  zu diesem Zweck Zwischenziele erarbeitet – bezogen auf das Referenzjahr 2018. Sie haben errechnet: die fünf Kohlemeiler müssen sie bis 2028 abschalten. Gleichzeitig müssen sie die Erneuerbaren massiv ausbauen. Allerdings reicht das nicht, um einen großen Stromversorger krisenfest zu machen. Denn sowohl Wind, wie auch Sonne gibt es nur zu bestimmten Zeiten. Beide garantieren keine ständig verfügbare Dauerversorgung mit Strom. Dafür plant das Unternehmen im ersten Schritt die Umrüstung von drei Kohlemeilern auf Gas. Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Entwicklung ausreichend weit fortgeschritten ist, sollen diese Meiler dann mit grünen Wasserstoff laufen.

Im Moment der Anmeldung der Kohlekraftwerke zur Stilllegung, überprüfen die Bundesnetzagentur und die Betreiber die Systemrelevanz der Meiler. Ggfs. werden diese dann in den Reservebetrieb überführt.

Die Rahmenbedingungen für den Umbau

Auch so ein großer Konzern finanziert seine Investitionen nicht allein, sondern mit Krediten, z.B. wie beim Bau großer Offshore-Windparks. Inzwischen haben viele Kapitalgeber genaue Vorstellungen von Nachhaltigkeit. Sie schauen genau hin, was ein Konzern mit ihrem Geld macht und ob sie ihn auch bei der nächsten Anfrage wieder unterstützen.

Auch die Politik muss die notwendigen Voraussetzungen schaffen, damit solch ehrgeizige Pläne gelingen können. Der Konzern braucht ausreichend Flächen, schnelle Genehmigungsverfahren, den weiteren, aber beschleunigten Ausbau der Stromnetze, die z.B. den offshore erzeugten Strom nach Baden Württemberg leiten. Schließlich muss auch der grüne Wasserstoff bald zur Verfügung stehen – egal, ob er aus Portugal oder Spanien kommen soll oder woanders her.

Wohin mit den Erneuerten

Damit ein großer Stromproduzent solch große Risiken ohne staatliche Zuschüsse eingehen kann, benötigt er bestimmte Sicherheiten. Für ENBW sind es große Industriekonzerne, mit denen der Stromriese langfristige Lieferverträge abgeschlossen hat. Denn auch die Unternehmen wollen weg von der Kohle. Deshalb entsteht dort ein riesiger Bedarf an Strom aus erneuerbaren Quellen.

Schließlich müssen auch die privaten Endabnehmer des neu erzeugten Stroms „aufgerüstet“ werden. Dazu ist ein großer Fortschritt bei der Digitalisierung vonnöten. Smarte Stromzähler müssen bei den Kunden eingebaut werden. Sie müssen z.B. vorwärts und rückwärts laufen bzw. zählen können, falls der Stromabnehmer zusätzlich selbst mit Solarpanelen eigenen Strom produziert. Firmen müssen die Kapazität ihrer Speicher verbessern. Auch die Konstrukteure von Wärmepumpen müssen die Qualität ihrer Produkte enorm steigern.

 

II. Die Verbraucher*innen

Ein vermeintlich sehr emotionales Thema ist das des Fleischkonsums pro Kopf der Bevölkerung im Jahr. Als „Die Grünen“ vor ca 10 Jahren einen sog. Veggie-day proklamierten, schlugen die Wellen in Deutschland hoch. Der jährliche Konsum von Fleisch lag 2013 bei 67,5 Kilo pro Jahr.  Der Klimawandel war auch damals schon längst im Gange. Aber ein breites Bewusstsein dafür gab es nicht. Wenn doch, so wusste kaum jemand etwas über die Schädlichkeit von CO²-Emissionen und wo sie her kommen. Aufgrund der heißen Sommer und der zunehmenden Wetterextreme auch in Deutschland ist das Bewusstsein über die Zusammenhänge hier jedoch stetig im Wachsen begriffen.

Verzehrtrends

In Polen und in Tschechien ist der Fleischkonsum seitdem noch kontinuierlich gestiegen,  in Portugal sogar auf 83,6 Kilo im Jahr. Aufgrund des Verbrauchs der genannten drei Länder ist der Verzehr in der EU ebenfalls leicht gestiegen von 64,01 auf 65,75.  In Deutschland dagegen ist er kontinuierlich gesunken. Die letzten vorliegenden Zahlen von 2022 zeigen den niedrigsten pro Kopf- Verbrauch seit Beginn der Berechnungen 1989. Er liegt jetzt bei 52 Kilo pro Person pro Jahr. Damit liegt er bei ca einem Kilo pro Woche. Vermutlich sparen Verbraucher:innen nicht nur aus Klimagründen am Fleischkonsum. Sondern mit dem gewachsenen Bewusstsein über die hohen CO²-Emissionen der Tierhaltung und deren Schädlichkeit ist vermutlich auch das Wissen darüber gestiegen, dass ein hoher Fleischkonsum mit vielen Zivilisationskrankheiten einhergeht. Auch die Kenntnisse darüber, wodurch der Koch/die Köchin Fleisch ersetzen kann bzw. welche Alternativen noch zur Verfügung stehen und die Angebote dafür, sind inzwischen gewachsen.

Da 1 Kilo pro Woche allerdings unter gesundheitlichen Gründen, aber auch um das Klima besser zu schützen immer noch ein zu großer Fleischkonsum ist, bleibt zu hoffen, dass auch in Zukunft in Deutschland von Jahr zu Jahr weniger Wurst und Fleisch gegessen wird. Andere Länder verbrauchen bereits jetzt weit weniger. Bei denen, die sich vom Geldbeutel her Fleisch leisten können, konsumieren erstaunlicherweise die Schweden besonders wenig Fleisch,  um  die 20 Kilo pro Jahr, d.h. weniger als ein Pfund pro Woche. Auch die Esten und die Litauer liegen mit um die 35 Kilo recht niedrig. Und das, obwohl die Winter dort wesentlich kälter und dunkler sind als bei uns.

 

III. Ein zu 100% ökologisch wirtschaftender Betrieb der Milchverarbeitung

Dr. Ing. E.h. Fritz Brickwedde, CDU-Mitglied war früher Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, danach Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energien. Derzeit ist er der Stiftungsrats-Vorsitzende der Heinz Sielmann Stiftung. Diese setzt sich seit Jahrzehnten u.a. mithilfe eigener Biotope für Erhalt und Renaturierung der Umwelt in Deutschland ein.

Im November 2023 hat Brickwedde den Heinz Sielmann Ehrenpreis an zwei engagierte Frauen verliehen. Eine ist Barbara Scheitz, die den Preis für nachhaltiges unternehmerisches Handeln in Deutschland erhielt. Denn sie hat die Andechser Molkerei Scheitz Gmbh „zu einem erfolgreichen und zu 100% ökologisch wirtschaftenden Betrieb ausgebaut“ (Sielmann Report 1,2024).

Die Molkerei bietet nicht nur 150 verschiedene Sorten Bio-Milch und -Käse an. Sondern sie sorgt auch mit umfangreichsten Informationen für die Verbraucherinnen für ausführlichen Wissenstransfer. Sowohl über gesundheitliche Auswirkungen ihrer unterschiedlichen Produkte kann man/frau sich auf einer umfangreichen Website informieren, wie auch über ihre Zulieferer und Prozesse auf deren Höfen.  Auch über die eignen Bearbeitungs-Prozesse, sowie die Verpackungen der Produkte und deren Trennung durch den Verbraucher und das Recycling informiert die Firma.

Die Initiative Klimabauer

Neuerdings hat der bayerische Betrieb auch noch die Initiative Klimabauer ins Leben gerufen. Sie schließt einen Generationenvertrag: Sie wirkt heute und sichert den künftigen Generationen widerstandsfähige, fruchtbare und ertragreiche Böden. Wissenschaftlich begleitet ergreifen die Bauern Maßnahmen zur besseren Humusbildung gegen eine Prämie durch die Molkerei:

„Wir wollen zeigen, dass gesellschaftliche und ökologische Leistungen und Herausforderungen auch in der Landwirtschaft eng miteinander verbunden sind. Die Bio-Landwirtschaft ist Teil der Lösung für den Klimaschutz. Mit der regionalen CO2-Kompensation im Rahmen unseres Andechser Klimapaktes beweisen wir in einem herausragenden Pilotprojekt, dass CO2-Bindung in der eigenen Wertschöpfungskette möglich wird.“ 

Andere Projekte

Natürlich ist die hier hervor gehobene Molkerei kein Einzelfall in Deutschland – nur ein kürzlich besonders ausgezeichnetes Beispiel. Es gibt einen ganzen Verband, in dem sich nachhaltig wirtschaftende Unternehmen zusammen geschlossen haben, um mehr zu erreichen als es einzeln möglich ist. Der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW) hat inzwischen über 500 Unternehmen und nimmt mit Bildungsveranstaltungen und Stellungnahmen auch  Einfluss auf die Politik. Er tut das nicht nur hier, sondern über seinen europäischen Dachverband auch in Brüssel.