In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts war Europa überwiegend durch den Konflikt zwischen unserer „freien Welt“ auf der einen
Seite und den kommunistisch beherrschten Staaten auf der anderen Seite geprägt. Als sich die Sowjetunion Anfang der neunziger Jahre auflöste, begann eine Zeit mit der Hoffnung auf das Ende einer dichotomen Welt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24.2.2022 führte sehr bald zu der Erkenntnis, dass nicht nur die Bedrohung Europas zurück ist, sondern dass inzwischen eine multipolare Welt im Entstehen ist. Die sog. freie Welt muss sich also besinnen, wer zu ihr gehört und wie wichtig die Bündnisse sind, die sie verbindet.
Geopolitischer Vorspann
Um das Verhältnis zwischen der EU und den USA richtig einschätzen zu können, werden einige Daten zu globalen Vergleichszahlen herangezogen. Durch den barbarischen Überfall Russlands auf die Ukraine verändert sich nicht nur die bisherige Sicherheitsarchitektur in Europa, sondern auch weltweit. Die EU steht nunmehr vor der immensen Herausforderung, ihre weltpolitische Position sowohl wirtschaftlich als auch militärpolitisch neu zu bestimmen. Dabei spielt das Verhältnis zu den USA eine zentrale Rolle.
1.Bevölkerungszahlen und Landflächen
2023 liegt die Weltbevölkerung bei 8 Milliarden Menschen. Dabei ist jetzt Indien mit einer Bevölkerung von 1,43 Milliarden Menschen das größte Land der Welt und seine Bevölkerung wächst weiter. China hat 1,4 Milliarden Menschen, aber seine Bevölkerung schrumpft.
Die Nato, ein Bündnis von verschiedenen Staaten, umfasst 954,5 Millionen Menschen, wobei demnächst mit Schweden weitere 10,6 Millionen hinzukommen.
Die EU der 27 Mitgliedsländer hat nach dem Brexit 447,7 Millionen Bürger auf einer Fläche von 4 Millionen Quadratkilometern. Frankreich ist das flächenmäßig größte und Malta das kleinste Land in der EU.
Die USA, das größte Einwanderungsland weltweit, hat 2023 in 50 Bundesstaaten 340 Millionen Einwohner bei ständigem Zuwachs. Mit einer Fläche von 9 626 632 Quadratkilometern sind die USA damit flächenmäßig mehr als 2- mal so groß wie die EU und das bei einer geringeren Einwohnerzahl.
Russland dagegen schrumpft kontinuierlich und hat gegenwärtig 144 Millionen Einwohner. Japan folgt mit 123 Millionen.
2. BIP pro Kopf
Für Zwecke des Vergleichs der jeweiligen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Länder wird oft der Durchschnittswert des Bruttoinlandprodukts (BIP) pro Kopf und Jahr herangezogen. Es betrug in der EU 2021 rund 25.6050, – Euro, in der Eurozone der 20 EU – Länder rund 29.180, – Euro. Das BIP pro Kopf in den USA betrug dagegen zur gleichen Zeit 70.248,63 US -Dollar. Es lag damit, legt man den Umtauschkurs Euro gegen Dollar mit 1,09 zu Grunde, weit mehr als doppelt so hoch wie in der EU.
Der Durchschnittswert BIP pro Kopf sagt allerdings nichts aus über die Einkommens- und Vermögensverteilung. Diese ist in den USA weit stärker gespreizt als in der EU.
3. Militärausgaben und Indikatoren zur relativen militärischen Stärke
Die Ausgaben
Zur Einschätzung der militärischen Stärke eines Landes oder eines Bündnisses werden verschiedene Indikatoren herangezogen. Eines davon ist der Anteil der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt. Im Jahre 2022 lag der Anteil der Militärausgaben am BIP in den USA bei rund 3,45%. Das sind 877 Milliarden US Dollar. In der EU wendeten die Mitgliedsstaaten im Schnitt dagegen nur rund 1,64% des BIP der Gemeinschaft auf. Dies sind weniger als die Hälfte der US – Ausgaben.
Die NATO-Staaten sind nicht mit den EU – Mitgliedsstaaten gleichzusetzen, da z. B. Österreich nicht zur Nato zählt, wohl aber das Nicht-EU-Land Großbritannien. Die Militärbudgets der 27 europäischen NATO-Mitglieder belief sich 2019 auf 427 Milliarden Euro, also auf gut die Hälfte des US – Budgets jedoch bei weit größerer Bevölkerung in der EU als in den USA.
Das Militärmaterial
Weitere Indikatoren sind die Verfügung über weltweit operierende Flugzeugträger und die Bereithaltung von Atomsprengköpfen entweder für Interkontinentalraketen oder für den Transport mit Flugzeugen bzw. Unterseebooten. Die USA haben 11 atomgetriebene Flugzeugträger, China 3, in der EU hat Italien 2 und Frankreich einen. Russland verfügt auch über einen Flugzeugträger. Aber der befindet sich seit Jahren in Reparatur.
Die USA verfügen über 5428 Atomsprengkörper, Frankreich über 290, Russland über 5977 und China über 350.
Die Stabilität der Währung
Ein weiterer Indikator für die wirtschaftliche Kraft eines Landes oder eines Staatenbundes ist die Stabilität der jeweiligen Währung. Bis heute ist der US – Dollar die weltweite Leitwährung. In Krisenzeiten erfolgt die Flucht in den sicheren Hafen des US – Dollar.
Der Euro, der mittlerweile von 20 EU – Staaten verwandt wird und den es inzwischen 25 Jahre gibt, ist nach dem US – Dollar die zweitwichtigste Währung der Welt.
Nobelpreise
Ein weiterer Indikator für die wirtschaftliche Kraft eines Landes ist sein Innovationspotential. Dies kann gemessen werden an der Zahl der gewonnenen Nobelpreise.
Die USA haben seit 1901 107 Nobelpreise in Medizin bzw. Physiologie, 95 in Physik und 72 in Chemie gewonnen. Es folgen Großbritannien mit 31, 26 und 28. Die Zahlen für Deutschland lauten 16, 25 und 30. Diese Zahlen berücksichtigen, dass manchmal Nobelpreise an mehrere Forscher gleichzeitig vergeben werden (Angaben von Wikipedia). Aber die Abstände zwischen den USA einerseits und den europäischen Ländern Gro0britannien und Deutschlands andererseits verdeutlichen die massiven Forschungsanstrengungen in den USA. Das gilt selbst dann, wenn man berücksichtigt, dass einige der ausgezeichneten US-Forscher ursprünglich aus Europa stammten.
Technische Innovationen
Die großen technischen Innovationen besonders im IT-Bereich kommen fast ausschlie0lich aus dem „Silicon Valley“ in Kalifornien. Es sei nur auf Microsoft und Google verwiesen. Amazon hat seinen Sitz in Seattle. Auch META, der Facebook- Konzern von Mark Zuckerberg, ist ebenfalls an der US-Westküste ansässig.
Weltweit führend ist die Filmindustrie aus Hollywood bei Los Angeles.
Ebenfalls in Seattle ist der US-amerikanische Flugzeugbauer Boing zu finden. Lediglich mit ihm kann der europäische Flugzeug- und Helikopterbauer Airbus, ein gemeinsames Projekt mehrerer europäischer Länder, mithalten.
Erstes Zwischenfazit
Die USA sind gemessen am BIP pro Kopf viel reicher als die Bürger*innen der EU, sie ist wirtschaftlich stärker und innovativer. Aber vor allem sind die USA die führende Militärmacht – weltweit und auch gegenüber der EU. Lediglich in Bezug auf die Zahl der Atomsprengkörper kann Russland mit den USA gleichziehen. Es ist ansonsten eine unterentwickelte und im Hinblick auf seine zukünftige Entwicklung verkommene Regionalmacht.
Die USA haben einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat mit dem Recht, durch ein Veto Resolutionen dieses Gremiums zu blockieren. In der EU ist es nur Frankreich, das einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat der UN hat.
Westeuropa hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auf den militärischen Schutzschirm der NATO, angeführt von den USA, verlassen. Dies hat bis zum völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine im Jahre 2022 gut funktioniert und bewährt sich auch seitdem. Aber die USA verlangen seit langem und jetzt besonders mit Recht höhere Militärausgaben von Westeuropa. Vereinbart sind mindestens 2% des jeweiligen BIP. Angesichts der russischen Aggression gegenüber der Ukraine erhält diese Vereinbarung erneute Dringlichkeit, zumal die gesamte EU dies nicht erfüllt.
Besonderheiten der US-Verfassung aus der EU-Perspektive
Entstehung westlicher Demokratien
Die USA sind die älteste Demokratie der Welt – ihre Verfassung datiert von 1787. Die USA sind ein Bundesstaat mit inzwischen 50 Einzelstaaten. Die Staaten der EU sind im Verhältnis dazu junge Demokratien. West-Deutschland gibt es seit 1949 und die Osteuropäischen Staaten erst seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989. Die Bürger*innen wählten das Europäische Parlament erstmals 1979. Aber bis heute fehlt ihm das entscheidende Budgetrecht im Sinne der Erhebung eigener Steuern.
Die amerikanischen Wahl-Regeln
Trotz der Gleichförmigkeit in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit weist die US-amerikanische Verfassung einige Besonderheiten gegenüber europäischen Demokratien auf. Der amerikanische Kongress, also das Bundesparlament als 1. Kammer wird alle 2 Jahre komplett neu gewählt. Gleichzeitig wird jeweils ein Drittel der 100 Senatoren der 2. Kammer, dem Senat gewählt. Der Präsident, die Präsidentin der USA, wird alle 4 Jahre gewählt. Dies bedeutet praktisch einen ständigen Wahlkampf zwischen Republikanern und Demokraten, den zwei maßgeblichen politischen Parteien. Dabei sind seit einigen Jahren unbegrenzte Wahlkampfspenden besonders aus der Wirtschaft nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts erlaubt. Das führt dazu, dass die Wahlkämpfe in den USA mit – aus europäischer Sicht – unfassbar hohen Geldbeträgen für mediale Werbung geführt werden.
Andere amerikanische Institutionen
In den USA gibt es nur einen kleinen Sender, der den europäischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern vergleichbar ist – public broadcasting service (pbs). Alle großen Networks sind privatwirtschaftlich organisiert, d.h. sie werden ausschließlich durch Werbung finanziert und ihre Inhaber wie Robert Murdock verfolgen weitgehend eine konservative politische Agenda.
Die 9 Richter des obersten Gerichts werden ernannt nach Vorschlag des Präsidenten und Bestätigung durch den Senat. Vor allem gilt die Berufung auf Lebenszeit. Momentan gibt es eine sehr konservative Mehrheit im Supreme Court. Denn Präsident Trump konnte in seiner Amtszeit 3 Ernennungen durchsetzen. Und die Urteile erfolgen sehr oft entlang der Parteilinie des Präsidenten, der sie vorgeschlagen hat.
Die US-Verfassung garantiert eine fast unbegrenzte Meinungsfreiheit, die aus europäischer Perspektive in manchen Fällen irritierend ist. So sind z. B. die Lügen des früheren Präsidenten Trump, dass ihm die Wahl 2020 gestohlen wurde, durch die Meinungsfreiheit gedeckt und deshalb unbeanstandet.
Historische Besonderheiten
Gemäß der Verfassung der USA hat jeder Bürger das Recht, Schusswaffen zu tragen. Entsprechend kommt es immer wieder zu Schießereien auch an Schulen mit tödlichem Ausgang – viel mehr als in europäischen Ländern.
Die Südstaaten der USA waren geprägt von Baumwollfarmern als Sklavenhalter. Ihre Sklaven ließen sie besonders aus Schwarzafrika holen. Der Rassismus aus dieser Frühzeit der USA ist bis heute nicht vollständig überwunden. Und der Polizei wird oft ein einseitiges Vorgehen gegen Afroamerikaner vorgeworfen – das sog. racial profiling. Im Übrigen gilt in einigen Bundesstaaten noch die Todesstrafe in Bezug auf Kapitalverbrechen. Auch das betrifft überwiegend die schwarze Bevölkerung.
Die Sozialpolitik
Im Verhältnis zur EU, besonders im Verhältnis zu Deutschland, ist in den USA die Sozialpolitik nur rudimentär entwickelt. Besonders in den Südstaaten sind die Gewerkschaften schwach. Es gibt keine gesetzliche Krankenversicherung. Es kommt also für die normalen Arbeitnehmer*innen auf private Vorsorge an. Trotz der Reformen von Präsident Obama haben 25 – 37 Millionen Amerikaner keine Krankenversicherung. Die Bundesstaaten regeln den Bezug von Arbeitslosengeld. In der Regel wird es für maximal 26 Wochen gewährt.
Dem schwachen Sozialstaat in den USA entspricht eine erzwungenermaßen große Mobilität der Arbeitnehmer sowohl zwischen den Berufsarten als auch in Bezug auf regionale Veränderungen des Wohnsitzes.
Abschlussbemerkung
Die politische Geschichte der USA ist seit ihrer Gründung 1787 geprägt einerseits durch die Beständigkeit der Demokratie und ihrer Institutionen – hart umkämpft im Bürgerkrieg der Nordstaaten gegen die Südstaaten -, andererseits durch heftige Schwankungen zwischen Isolationismus einerseits und weltpolitischen Eingriffen andererseits.
Die EU
Das EU-Parlament wird im Gegensatz zu den USA nur alle 5 Jahre neu gewählt. Dies bedeutet, dass die EU-Kommission, die Exekutive, die der Bestätigung des Parlaments bedarf, auch auf 5 Jahre bestimmt wird. Die 27 Richter des Europäischen Gerichtshofes werden nur für eine bestimmte Amtszeit ernannt, nämlich maximal für 12 Jahre. Die Begrenzung der Amtszeit der Obersten Richter garantiert eine gewisse Flexibilität bzw. Anpassung an neue gesellschaftliche Realitäten in der Rechtsprechung dadurch, dass neue Richter mit frischen Ansichten zum Zuge kommen.
Europäische Länder mit Hilfe der USA im 20. Jhdt.
Europa schuldet den USA Dankbarkeit für ihr militärisches Engagement im 1. und besonders im 2. Weltkrieg. Ohne ihr direktes Eingreifen in Europa, sowie auch durch die militärische Unterstützung des damaligen Verbündeten, der Sowjetunion, wären Nazi-Deutschland, das faschistische Italien und Japan nicht entscheidend besiegt worden. Ohne die USA hätten sich die westeuropäischen Staaten nicht so schnell von den verheerenden Folgen des 2. Weltkrieges erholt. Auf Grund des Marshallplanes wurden in den Jahren 1948 bis 1952 Hilfen im damaligen Wert von 13 Milliarden US Dollar zur Verfügung gestellt, was nach heutiger Kaufkraft 134 Milliarden $ entspricht (Wikipedia). Diese US-amerikanischen Hilfen waren ein entscheidender Impuls für die europäische Integration. Außerdem wurde im Rahmen des Marshallplanes die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit gegründet.
Europa heute und die amerikanische Unterstützung
Europa schuldet den USA derzeit große Anerkennung für die militärische Unterstützung der Ukraine gegen den imperialistischen russischen Überfall auf die Ukraine seit Februar 2022. Ohne die diesbezüglichen Leistungen aus West- und Osteuropa klein reden zu wollen, ist zu konstatieren: ohne die USA hätte sich die Ukraine nicht so kraftvoll verteidigen und den Aggressor zurückdrängen können. Die Ukraine kämpft aber nicht nur um ihr Existenzrecht in anerkannten Grenzen. Sondern sie kämpft auch für die Freiheit und Sicherheit Europas.
Die EU ist vergleichsweise jung. Sie ist ein Staatenbund auf dem steinigen Weg zum Bundesstaat und das noch immer ohne das Recht auf die Erhebung eigener Steuern. Sie ist überdies durch das Einstimmigkeitsprinzip in der Außen- und Sicherheitspolitik zwischen allen 27 Mitgliedsstaaten zu langwierigen Abstimmungsprozessen gezwungen. Es gibt zwar (aller)erste Ansätze zur Koordination der militärischen Beschaffungen, aber es gibt keine europäische Armee. Und es wird noch immer lange dauern, bis eine geschaffen werden wird.
Zweites Zwischenfazit
Die EU hat in der Vergangenheit gut daran getan, eng mit den USA zu kooperieren, besonders im Rahmen der NATO aber auch im Rahmen der G 7 Staatengemeinschaft. Das sind die führenden Wirtschaftsnationen: die USA, Kanada, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und die EU. Die Zusammenarbeit war geboten auf Grund der gemeinsamen Werte und auf Grund der relativen Kräfteverhältnisse. Die EU ist bisher allenfalls Juniorpartner der USA.
Alle notwendigen Versuche der EU, an weltpolitischer Souveränität und Bedeutung zu gewinnen, sollten keinesfalls gegen die USA gerichtet sein, sondern nur in enger Kooperation mit ihnen.
Inzwischen ist durch die Aggression Russlands gegen die Ukraine eine Zeitenwende eingetreten. Es ist deutlich geworden, dass durch den Krieg ein Systemwettbewerb entstanden ist. Und dieser richtet sich gegen „den Westen“ insgesamt.
Die neuen globalen Herausforderungen ergeben sich nun auch mit dem kommunistischen China. Wie Russland ist es ebenfalls eine aggressive imperiale Macht und befindet sich ebenfalls im Systemwettbewerb mit unserer freien Welt. Eine militärische Konfrontation (wegen Taiwan) ist nicht ausgeschlossen.
Das Verbindende zwischen den USA und der EU
Die EU und die USA vereinigen 50% des weltweiten Bruttoinlandsproduktes auf sich. Allein in dem Monat Februar 2023 importierte die EU Waren im Wert von 26 Milliarden Euro aus den USA. Aufs Jahr bezogen importierte die EU 2019 aus den USA Waren und Dienstleistungen im Wert von 823 Milliarden. Sie exportierte für 670 Milliarden. Die jeweiligen Leistungsbilanzpositionen wie Geldtransfers sind integriert.
Auf dem EU-USA Gipfel 2003 wurde die Schaffung des offenen Luftraumes – Open Aviation Area – vereinbart. 2004 folgte der Beschluss, die beiden Satellitensysteme – Gallileo (EU) und GPS (USA) – aufeinander abzustimmen und kombinierte Signale zu verwenden.
Der Klimaschutz
Sowohl die USA unter der Präsidentschaft von Jo Biden und seiner demokratischen Administration wie auch die EU- Kommission unter Leitung von Ursula von der Leyen haben sich dem Umweltschutz und den Herausforderungen der globalen Klimakrise verschrieben. Die USA haben dazu den „National Environmental Policy Act (NEPA)“ und den “Inflation Reduction Act“ vom August 2022 verabschiedet. Letzterer umfasst das höchste Budget für Investitionen in den Klimaschutz auf föderaler Ebene, nämlich 391 Milliarden US-Dollar. Das Ziel lautet, bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 50% zu senken.
Die EU erlässt seit Jahren innerhalb des „Green Deal“ ein Klima- und Artenschutzgesetz nach dem anderen.
Die USA subventionieren massiv unternehmerische Projekte zu Klimaschutz – (vgl. DIE ZEIT: Lockruf aus den USA, 11. Mai 2023, S.23), auch wenn die Unternehmen aus dem Ausland in die USA übersiedeln. Hier bahnt sich ein Subventionswettbewerb zwischen den USA und der EU an.
Die Kontroversen
Bereits seit mehr als 10 Jahren ist Kalifornien Vorreiter bei der Verschärfung von Abgaswerten für PKW. Dies rührt u.a. daher, dass die kalifornischen Großstädte besonders anfällig sind für Smog. Die verschärften Abgaswerte galten mit einer gewissen Zeitverschiebung weltweit, weil der kalifornische Markt zu groß ist, als dass die Autobauer ihn vernachlässigen könnten. Freilich haben sich die europäischen Autohersteller, besonders die aus Deutschland, durch Lobbyarbeit darum bemüht, die Vorgaben aus Kalifornien zu verwässern bzw. zu verzögern, im Ergebnis letztlich vergeblich (Vgl. Der Spiegel online, 30.12.2012: “Wie Kalifornien der Autowelt die Trends diktiert“).
Steuern und Subventionen
Seit Jahren gibt es Auseinandersetzungen zwischen den USA und der EU um die Besteuerung von IT-Konzernen wie Apple, Google, Facebook, Amazon usw. Dies Konzerne verschieben ihre Gewinne weltweit so, dass sie im Endeffekt nur minimale Steuern zahlen müssen. Inzwischen gibt es eine Einigung über einen Mindeststeuersatz von 15 %, der zu entrichten ist, egal wo die Gewinne entstanden sind. Dies gilt ab 2024 für global agierende Unternehmen mit einem Mindestumsatz von 750 Millionen Euro – „Framework on Base Erosion and Profit Shifting“, das 2021 im Rahmen der OECD von 137 der 141 Mitgliedsländer verabschiedet wurde.
Eine weitere Kontroverse bezog sich auf die Zulässigkeit von Subventionen für Boing einerseits und Airbus andrerseits. Am 15.6.21 einigten sich die USA und die EU darauf, die gegenseitigen Milliarden schweren Strafzölle für 5 Jahre auszusetzen – Motto: Kooperation statt langwierige Gerichtsprozesse.
Abhängigkeiten in Europa gegenüber Diktaturen
Die USA und auch die EU – Kommission haben schon lange vor Beginn des brutalen Überfalls Russlands auf die Ukraine vor der Fertigstellung der Gaspipeline Nordstream II von Russland nach Deutschland gewarnt: Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland sei besonders für Deutschland gefährlich. Doch die Regierung Merkel unter SPD-Beteiligung wollte nicht hören und versuchte mit allerhand Tricks, die Pipeline fertigzustellen, was allerdings nicht gelang, bevor der Überfall Russlands auf die Ukraine begann. Inzwischen hat die Bundesregierung ihre Nutzung ausgesetzt.
Datenschutzfragen anders bewertet
Eine der ungelösten Kontroversen zwischen den USA und der EU betrifft den Datenschutz. Im März 2022 unterzeichneten US – Präsident Biden und EU- Kommissionspräsidentin von der Leyen eine grundsätzliche Vereinbarung bezüglich des transatlantischen Datenflusses. Dies wurde möglich, nachdem die USA ihre Datenschutzbestimmungen im „Data Privacy Framework“ angepasst hatten. Daraufhin legte die EU- Kommission am 13. 12. 2022 den Entwurf eines Angemessenheitsbeschusses vor. Ihre Bewertung des US-Rechtsrahmens kam zu dem Schluss, dass er genügend Garantien biete, die den EU – Standards vergleichbar seien. Am 13.4.2023 hat jedoch der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres im EU – Parlament diesen Entwurf eines Angemessenheitsbeschlusses abgelehnt. Der EUGH hatte am 18. Juli 2020 das “EU-USA Privacy Shield Abkommen“ für ungültig erklärt, sodass neu verhandelt werden musste.
Am 22.5.23 hat die EU-Kommission als Wettbewerbsbehörde gegen den Facebook Konzern META – Umsatz 2022 118 Milliarden US Dollar – ein Bußgeld in Höhe von 1,2 Milliarden Euro verhängt wegen des Verstoßes gegen die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGV). Es geht dabei um die nach europäischem Recht unerlaubte Weitergabe von persönlichen Daten der europäischen facebook – Nutzer in die USA. Denn dort dürfen sie auch von Geheimdiensten eingesehen und ausgewertet werden. META will Einspruch einlegen, sodass auch hier letztlich wieder der EUGH entscheiden muss.
Freihandelsabkommen
Die USA sind mit Kanada und Mexiko im Freihandelsabkommen NAFTA – „Nord American Free Trade Agreement“ – verbunden. Angesichts dieses großen Wirtschaftsraumes geht es der EU darum, ein entsprechendes Freihandelsabkommen TTIP: „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ – abzuschließen. Darüber wird seit Jahren verhandelt, bisher jedoch ohne durchschlagendes Ergebnis. Denn besonders auf europäischer Seite besteht erhebliche Kritik an Bestimmungen von TTIP. Diese lässt sich nach Themen folgendermaßen zusammenfassen:
- Geheimes bzw. undemokratisches Zustandekommen
- Private Schiedsgerichte als unkontrollierte Instanzen sollen für Investitionsschutz sorgen
- Aufweichung bzw. Umgehung von Arbeitnehmerschutzrechten
- Gefährdung des Klimaschutzes
- Aufweichung und Umgehung von Verbraucherschutz, Umwelt- und Gesundheitsstandards: die USA erlauben gentechnisch veränderte Nahrungsmittel, sie erlauben auch Chlor-gebleichte Hähnchen und Hühnchen und wollen sie dementsprechend exportieren
- Gefährdung europäischer Tierschutzstandards
- Gefährdung des Datenschutzes und der IT-Sicherheit
- Regulatorische transatlantische Kooperation unterliegt nicht der parlamentarischen Kontrolle: vgl. die Rücknahme der US-Regulierung in einigen Bereichen des Finanzsektors (Liste der Kritikpunkte laut Wikipedia)
Erneut TTIP?
Das grundsätzliche Problem ergibt sich auch aus dem Zeitverlauf: Die TTIP – Verhandlungen datieren aus einer Zeit, lange bevor Jo Biden Präsident wurde. Die Klimakrise war außerdem noch nicht ins Bewusstsein der führenden Politiker eingedrungen. TTIP ist daher sehr stark von den Interessen der Wirtschaft geprägt, die vorrangig ihre Profite maximieren und Umweltschäden externalisieren, d.h. auf die Gesellschaft abwälzen wollen. Jo Biden aber denkt anders: Die strategische Aufgabe des Staates sei es, hochwertige Jobs zu sichern, Umweltschutz zu gewährleisten und die Einkommensspaltung zu bekämpfen. Damit wird die Marktwirtschaft teilweise zur staatlichen Veranstaltung. Voraussetzung dafür ist eine funktionsfähige Demokratie mit möglichst von wirtschaftlichen Interessen unabhängigen Medien, sowie eine starke Zivilgesellschaft. Da allerdings 2022 bei den midterm elections die Republikaner eine (hauch dünne) Mehrheit im Repräsentantenhaus gewonnen haben, kann der Demokrat Biden nicht „durchregieren“ und seine Vorstellungen nicht direkt umsetzen (vgl. „Biden denkt anders“, DIE ZEIT, 12.5.2021, S.27).
Vorschlag
Am besten wäre es daher, die TTIP-Verhandlungen auf der Basis von Bidens Vorstellungen völlig neu zu beginnen. Seine Vorstellungen sind mit den gegenwärtigen Ideen der von der Leyen EU-Kommission besser vereinbar. Der hohe Stellenwert des Klima- und Umweltschutzes muss endlich berücksichtigt werden.
Generell gilt, transatlantische Kooperation auf der Basis ausverhandelter Kompromisse ist allemal besser als langwierige Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang.
Kommende Wahlen
Das Problem ist, dass im nächsten Jahr 2024 sowohl in den USA Präsidenten- als auch Kongresswahlen stattfinden als auch in der EU, Parlamentswahlen. Offen ist, ob der überzeugte Transatlantiker Biden wiedergewählt wird oder evtl. sogar der Isolationist und Demokratieverächter Donald Trump. Offen ist, ob Ursula von der Leyen wieder antritt und die Möglichkeit hat, das ambitionierte Projekt des „Green Deal“ weiter voranzutreiben.
Die Grundlagen der USA-EU Partnerschaft sollten jedenfalls nicht angetastet werden, denn die EU ist noch nicht so weit, um im globalen Wettbewerb auf eigenen Füssen zu stehen. Und dies gilt sowohl militärisch als auch ökonomisch. Außerdem gibt es mehr Verbindendes als Trennendes zwischen der EU und den USA.
Fazit
a) die Herausforderung der USA durch Kriege
Die EU – Bürger*innen sollten sich noch mehr über die USA informieren, über ihre Geschichte, ihre Pluralität auf Grund der ständigen Zuwanderung und über ihre Vitalität. Die USA haben bisher alle Herausforderungen überstanden. Und das sind viele. Da ist der Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten 1861-1865. Dann sind es die beiden Weltkriege 1914-18 und 1939-45. Jetzt ist es der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine seit Anfang 2022. Aber es sind auch die Weltwirtschaftskrise ab 1929, sowie die internationale Finanzmarktkrise ab 2008.
Die Herausforderung durch Trump
Und schließlich haben sie die Wahl Donald Trumps und in dessen Gefolge die Erstürmung des Kapitols durch einen aufgeputschten Mob mit ihren Institutionen und mit Hilfe des Rechtsstaats überstanden. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Aber jetzt im Mai 2023 z.B. wurde der Gründer der „Oth keepers“, Rhodes, dessen Anhänger das Kapitol im Januar 2020 gestürmt hatten, zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatten die Zertifizierung der Wahl Jo Bidens zum Präsidenten verhindern wollen, so wie Präsident Donald Trump schon vorher versucht hatte, den Verlust der Wahl anzuerkennen. Auch Trump selbst ist in eine Reihe von Gerichtsprozessen verwickelt und bereits einmal verurteilt worden. Das ist ein einmaliger Vorgang gegenüber jedem früheren Präsidenten. Noch will er 2024 wieder als Präsidentschaftskandidat der Republikaner antreten.
Sonderfälle in der EU
In der EU ist Frankreich besonders Amerika-kritisch. Dem muss entgegengewirkt werden, denn auch Frankreich ist, auf sich allein gestellt und ohne den Schutzschirm der USA weitgehend ohnmächtig. Demgegenüber ist Polen besonders den USA zugewandt, zum einen, weil die herrschende PIS-Partei Deutschland misstraut und zum anderen, weil so viele Polen nach Nordamerika ausgewandert sind, und deshalb oft transatlantische Familienbande bestehen.
Städtepartnerschaften zwischen EU und USA sollten ausgebaut und intensiviert werden. Eine frühere Publikation hatte in Bezug auf die USA den Titel: “Der fremde Freund“. Heute sollte es heißen: „Der verstandene, geschätzte und gut geheißene Freund“.
b) Partnerschaft zwischen USA und EU
Ebenso wäre es sehr wünschenswert, wenn Amerikaner sich stärker für die EU, ihre Geschichte, ihre Pluralität in Bezug auf 27 Mitgliedsstaaten informieren würden. Nur tiefgehendes Verständnis kann die transatlantische Freundschaft festigen, eine Freundschaft, die angesichts der heutigen globalen Herausforderungen, mehr denn je hochgehalten werden muss.
Die EU- Bürgerschaften sollten sich deshalb an der Seite der USA engagieren, nicht in voraussetzungsloser Loyalität, sondern in kritischer Partnerschaft. Dies gilt insbesondere für den gemeinsamen Kampf gegen die Klimakrise, den Systemwettbewerb mit dem kommunistischen China und die Abwehr des russischen Imperialismus.
c) Probleme in der EU lösen
Die EU muss, auch wenn sie eines Tages mit den USA auf Augenhöhe verhandeln will, ihre militärischen Fähigkeiten stärken und koordinieren. Sie muss ihre Entscheidungsverfahren straffen und vor allem das Einstimmigkeitsprinzip stark einschränken. Nur wenn sie weitere mutige Schritte auf dem Weg zu einem wirklichen Bundesstaat geht, wird sie in der Lage sein, die globalen Herausforderungen zu bestehen. Das sollte möglichst gleichberechtigt mit den USA und an ihrer Seite möglich werden.
veröffentlicht: Mai 2023