Zustandsbeschreibung der Natur heute

Unsere Landschaft,  Feuchtgebiete und Seen, Flüsse, Wälder und auch unsere Agrarflächen, sowie unser Artenreichtum,  sind nach Meinung der Wissenschaft und der EU-Kommission zu 80% nicht mehr intakt. Das gilt besonders  für die für unsere Ernährung unverzichtbaren Bestäuber. Wir Menschen haben uns die Natur so „zurecht gebogen“, wie es für unsere Bearbeitung am einfachsten ist.  Das betrifft alle Bereiche, sogar „städtische Gebiete“. Unser Ackerbau, unsere Viehzucht, unser Fischkonsum, unsere Holzwirtschaft sind auf das für uns Nützlichste ausgerichtet. Das ging jahrzehntelang gut. Das menschliche Handeln ist nun „die den Planeten formende Kraft“. Damit ist er der verantwortliche Faktor für die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Dieses Ergebnis hat die dafür zuständige Wissenschaft mit der Ausrufung einer neuen erdgeschichtlichen Epoche untermauert (Die Zeit, Nr.30, 2023). Die Umweltschädigung ist inzwischen weit fortgeschritten. Die Veränderung bzw. Zunichtemachung der intakten Natur rächt sich jetzt. Allen Versuchen,  möglichst vielfältige Ursachen dafür rückgängig zu machen,  kommt deshalb besondere Bedeutung zu.

Kern-Element des Green Deal

Dazu hatte die EU-Kommission im Sommer 2022 das dafür erforderliche „Gesetz zur Wiederherstellung der Natur“ vorgelegt. Die Kommission schreibt: Die Folgenabschätzung habe gezeigt, „dass der Nutzen der Wiederherstellung der Natur die Kosten bei Weitem überwiegt“.  Gleichzeitig will die Kommission auch die Richtlinie zur Bekämpfung des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft präzisieren und zur verbindlichen Verordnung hochstufen, weil die bisherigen Vorschriften sich als “ nicht streng genug erwiesen“ haben.*

Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur durchlief (alleine) verschiedene Ausschüsse. Aber es scheiterte in drei Ausschüssen. Zunächst stimmte der Agrar- und dann der Fischereiausschuss dagegen. Schließlich gab es am 27.6.23 sogar im federführenden Umweltausschuss einige Stimmen mehr gegen das Gesetz als dafür. Umweltschützer reagierten entsetzt: „Ohne eine dringende und massive Anstrengung zur Wiederherstellung der Natur werden wir die Klima- und Biodiversitätskrise nicht überleben.“

Der EU-Umweltministerrat der Staaten

Er hatte am 20.6.2023 getagt. Zwar hatte er eine Reihe von Änderungen am Kommissionsvorschlag vorgenommen. Sie sollten „der Flexibilität der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der Verordnung (dienen), während gleichzeitig gleiche Bedingungen für alle gelten und der Verwaltungsaufwand verringert wird“. Aber eine „breite Mehrheit“ von 20 Staaten hat das Gesetz angenommen. Insofern war die nach der Ratssitzung erfolgte Ablehnung im Umweltausschuss ein Paukenschlag.

Unterstützung von ungewöhnlicher Seite

Denn auch 60 der größten europäischen Unternehmen, wie z.B. Nestlé, Unilever und Ikea, haben sich klar für das Gesetz ausgesprochen. Unterstützung gab es ebenfalls von Agrarverbänden und Energieunternehmen, wie WindEurope oder SolarPower Europe. Sie machen deutlich, wie wichtig das Gesetz für die Sicherung der Lebensmittelproduktion ist.  Und, so die Verbände, es steht dem Ausbau erneuerbarer Energien nicht im Wege. Natürlich haben Umweltverbände und Zivilorganisationen das Gesetz stärkstens unterstützt. Allein eine Million Einzelpersonen haben mit Unterschriften, e-mails oder Twitter-Nachrichten etc. Einfluss genommen. Und 600 Wissenschaftler*innen haben ihre Position nochmal gemeinsam unterstrichen und schriftlich eingereicht.

Gegenwind mit Fehlbehauptungen und Angstkampagnen

Seit der Veröffentlichung des Textes hat es massive Fehlbehauptungen von Seiten der Landwirtschaft gegeben. Tenor: unsere Ernährungssicherheit ist dadurch nicht mehr gegeben. Dabei liefern unsere Landwirte das in Deutschland erzeugte Fleisch schon seit Jahren bis nach  Kasachstan, weil die Mengen hier nicht mehr nachgefragt sind.

Am erfolgreichsten bei der Gegenkampagne war das Umschwenken von Manfred Weber  (EVP), dem Verlierer bei der Kandidatur um den Kommissionsvorsitz. Bis heute hat er den „Verlust“ nicht verwunden. Vor der Europa-Wahl 2024 geht er zum Gegenangriff über  – ohne  Rücksicht auf die Natur und unsere gefährdeten Lebensgrundlagen.  „Seine“ EVP hat einen Tabubruch eingeleitet. Sie arbeitet neuerdings mit Rechtskonservativen bis hin zu allen Stimmen vom Rechten Rand.

So waren im Umweltausschuss aufseiten der EVP viele „Stellvertreter“ eingesetzt, denn in den Ausschüssen gibt es keinen Fraktionszwang. Diejenigen Fach-Mitglieder, die vermutlich für das Gesetz gestimmt hätten, ersetzte die Fraktion durch „linientreue“ Abgeordnete (Stellvertreter),die nicht dem Ausschuss angehören.  (Bericht des  NABU- Vertreters in Brüssel)

Jubel im EU-Parlament

Das wirkliche Ziel des Chefs der Konservativen (EVP) war die völlige Verhinderung des Renaturierungsgesetzes.  „Sein“ (Webers) gleich zu Beginn abgestimmter Antrag scheiterte allerdings. Und das obwohl die deutschen FDP-Abgeordneten ebenfalls mit Weber und Co stimmten!

Eine knappe Mehrheit von 336 Abgeordneten (gegen 330 bei 15 Enthaltungen) konnte das bereits befürchtete komplette Scheitern am 12.7.23  abwenden. Jubel der Erleichterung.

Allerdings schwächten die Gegner danach das Gesetz durch 130 Einzelanträge entscheidend  – besonders die Landwirtschaft betreffend. So wurden  „die Renaturierung landwirtschaftlicher Flächen und die Wiedervernässung von Mooren im Gesetzesentwurf gänzlich gestrichen„. Das stellt erhebliche Einbußen am Gesetz dar. Auch die Gegenkampagnen der Fischereilobby wirkten sich aus. Die Änderungen begrenzen zudem die meisten zu ergreifenden Maßnahmen auf Natura 2000 – Gebiete. Selbst für Waldökosysteme gibt es nun gegenüber dem Kommissionsvorschlag Einschränkungen. Und „unsere“ zivilgesellschaftlichen Beteiligungs- und Klagerechte, vertreten durch Umweltorganisationen haben die Konservativen zusammen mit den ganz Rechten im EU-Parlament ebenfalls gestrichen.

Die unter Schutzstellung von 30% der Landes- und der Meeresflächen

Die Weltnaturkonferenz hatte 2020 die unter 30-prozentige Schutzstellung beschlossen. Und die EU-Kommission hatte dieses Ziel in ihren Entwurf zur Renaturierung aufgenommen. Auch hier haben die Gegner unter Federführung von M. Weber eine Abschwächung erreicht, aber das Ziel nicht kippen können. Der Kompromiss lautet jetzt 20%. Dies sollen die EU-Staaten bis 2030 umsetzen.

Der Trilog wird folgen

Obwohl die Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament nicht öffentlich sind, konnte der NABU den weiteren Fahrplan für den Trilog so beschreiben, dass wieder etwas Hoffnung aufkeimt. Das „Vier-Spalten-Dokument“ ist Grundlage für das Vorgehen. Drei Spalten sind der Eintragung der inzwischen bekannten Positionen der drei Gremien gewidmet.  Die vierte Spalte gibt -am Ende der Trilog-Verhandlungen – den ausgehandelten Kompromiss wieder. Da die Kommission, sowie der Rat in ihren Positionen beide einen Artikel zu Agrarökosystemen enthalten, können wir davon ausgehen, dass in der 4. Spalte dazu wieder ein – zumindest kleiner – Kompromiss enthalten sein wird. 

Das Gesetz zur Verringerung des Pestizid-Einsatzes

Die Verabschiedung des „Pestizid-Gesetzes“ verzögert sich weiter. Im vergangenen Dezember hatten einige Kritiker des vorgeschlagenen Gesetzes verlangt, eine zusätzliche Studie über die Auswirkungen des Vorschlags auf die Lebensmittelproduktion in Auftrag zu geben. Die verlangten Informationen liegen jetzt vor. Sie haben ergeben, dass die geplante Verringerung des Pestizid-Einsatzes keine Gefahr für die Lebensmittelsicherheit bedeutet.  Der Einsatz soll danach bis 2030 halbiert werden. Aber nun müssen Kompromisse zwischen den Fraktionen gefunden werden, um die Verordnung auf den Weg zu bringen. Die Abstimmungen in den Ausschüssen sind jetzt im Oktober erfolgt. Ob die Zeit bis zu den EU-Wahlen noch reicht, ist offen.

Trilog zum Renaturierungs – Gesetz bringt doch Schritt nach vorn