14.12.23 Einigung erzielt

Zwar ist die Richtlinie noch nicht endgültig verabschiedet. Aber die Unterhändler des Parlaments und der Staaten haben sich im Dezember im Trilog geeinigt. Insofern ist zu hoffen, dass die endgültige Verabschiedung durch diese beiden Gremien im Prinzip nur noch eine Formsache sein müsste. Denn das Parlament hatte seine Linie schon im Sommer festgelegt. Allerdings müssen sowohl der Ministerrat wie auch das Parlament dem jetzt von ihren Unterhändlern ausgehandelten Kompromiss noch zustimmen. Es scheint jedoch, dass das Bestreben Aller ist, die seit Jahren auf der Agenda stehende Richtlinie noch vor dem Ende dieser Legislatur Gesetz werden zu lassen. Dann jedoch muss jedes Mitgliedsland die Richtlinie noch durch sein eigenes Parlament verabschieden.

Worauf die EU-Gremien sich jetzt verständigt haben

Das übergeordnete Ziel ist es, vereinfacht gesagt, bei den Produktionsprozessen die Menschenrechte zu stärken und auch den Umweltschutz. Vor allem Kinderarbeit und Zwangsarbeit sollen praktisch vermieden werden. Es soll auch um besseren Arbeitsschutz gehen. Waren, die in die EU gelangen, sollen unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt werden. Erreichen will die EU dieses Ziel, indem große Unternehmen nicht mehr von solch billiger Arbeit wie bisher profitieren sollen. Denn sie sollen für die Lieferkette Verantwortung übernehmen. Das heißt, sie sind in Zukunft auch für das Handeln ihrer Geschäftspartner verantwortlich.

Und wenn die Richtlinie so verabschiedet wird, werden sie ggfs. auch für die Überwachung des Vertriebs der Ware und sogar für das Recycling zuständig. Damit würde z.B. der bisherige haarsträubenden Praxis ein Riegel vorgeschoben, neuwertige Ware, die die Kunden an ihr Unternehmen zurückschicken, auf dem Müll (oft in Afrika oder Asien) zu entsorgen.

Damit all das kontrolliert werden kann, sollen die Unternehmen einen Plan erstellen, den sie einreichen müssen. Der soll die Übereinstimmung ihres Geschäftsmodells mit den Zielen des Pariser Klimaschutz-Abkommens sicherstellen.

Ein Beispiel für die Entsorgung komplett neuer Ware

Adidas will aus Plastikmüll das WM-Trikot der deutschen Nationalmannschaft fertigen. Wohl auch manche der ca. 200 verschiedenen Artikel rund um das Team. Die Herstellung basiere auf sog. Marketing-Forecasts, also geschätzten Annahmen, wie viele Artikel sich von all dem wohl verkaufen lassen. Um genügend Produkte zur Verfügung zu haben, wird Adidas wohl von einem Sieg der Mannschaft ausgehen. Verlieren die Deutschen jedoch, hat Adidas viel zu viel produzieren lassen. „Es ist bei Adidas ein offenes Geheimnis, dass diese überschüssigen Produkte und Stoffe am Ende vernichtet werden.“

Wer von der Richtlinie betroffen ist

Die Eu-Richtlinie soll für große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen gelten, die einen Jahresumsatz von mindestens 150 Millionen Euro haben. Das Gute an der Richtlinie ist, dass sie einen Schutz für in Europa tätige Unternehmen vorgesehen hat, indem sie einen Wettbewerbsnachteil verhindert. Denn auch Firmen mit Sitz außerhalb der EU fallen unter das Gesetz, wenn ihr Umsatz innerhalb der EU 300 Mill. übersteigt. Zur Kontrolle soll die Kommission dazu eine Liste dieser Unternehmen veröffentlichen.

Der Finanzsektor ist von dem jetzigen Entwurf der Richtlinie ausgenommen.

Konsequenzen der EU-Richtlinie

Da die EU-Richtlinie weiter geht als das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, wird es sich auch in Deutschland auswirken. Denn die Unternehmen werden dann nach jetzigem Stand für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sein. Gerichte könnten die Unternehmen, so der Europarechtsprofessor René Rapasi,  zivilrechtlich zur Verantwortung ziehen und Schadensersatzansprüche gegen sie geltend machen. Unionsvertreter aus Deutschland fürchten deswegen einen großen Bürokratieaufwand und einen Nachteil gegenüber Firmen aus Drittstaaten. 2023 trat das deutsche Gesetz in Kraft. Zunächst gilt es für Unternehmen mit 3000 Mitarbeitern. Ab 2024 gilt es  auch für Unternehmen mit 1000 Mitarbeiter*innen mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland. Das EU-Lieferkettengesetz würde auch Unternehmen ab 500 Beschäftigten mit einem hohen Umsatz erfassen.

Kritik an der Richtlinie

Die EU-Kommission hatte 2020 eine Umfrage zu der Akzeptanz eines Gesetzes zur Einhaltung der Menschenrechte im Produktionsprozess  durchgeführt. Die Mehrheit sprach sich „für eine branchenübergreifende, europäische Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten aus“.

Deshalb ist die Enttäuschung darüber groß, dass die EU nun nur eine Richtlinie verabschiedet und nicht eine für alle Staaten gleichermaßen gültige Verordnung. Denn die Erfahrung habe gezeigt, dass ohne Verordnung ein (löchriger) Flickenteppich in Europa entstehe. Die jeweiligen Parlamente können die Richtlinie in ihrem Staat stark verändern. Bis ggfs. ein Vertragsverletzungsverfahren der EU greifen könnte, vergehen meist Jahre – d.h. Zeit, die sich das betreffende Land „kauft“, um seine Industrie vor den Auswirkungen zu schützen.

Die Meinungen in den verschiedenen Unternehmensbereichen gehen allerdings weit auseinander. Während einige Bereiche Druck machen, die Regelung endlich zu verabschieden, geht der Druck anderer in Richtung deutlicher Abschwächung der Anforderungen.

1.2.2024 Die deutsche FDP meldet – mal wieder – Bedenken an

Zwei Minister wollen die EU-Richtlinie blockieren. Sie sehen zu viele „zivilrechtliche Folgen“ auf die Unternehmen zukommen. Die Firmen würden zu sehr in die Pflicht genommen (Tagesschau). Ihr Argument: Das deutsche Lieferkettengesetz sehe keine Haftungsregelung vor, während das Ergebnis der Trilog-Verhandlungen dazu führen würde,  „dass Unternehmen für Pflichtverletzungen in der Lieferkette in erheblicher Weise zivilrechtlich haften“, so die FDP. Bei den ersten Verhandlungen im Rat hatte Deutschland zwar einer Verabschiedung eines Gesetzes zugestimmt, aber eine diplomatische Note vorgelegt, die eine „Safe Harbour“-Klausel enthielt. Diese sollte es den Unternehmen erleichtern, die gesetzliche Haftung zu verringern. Im Trilog kam man der FDP entgegen. Später jedoch entschied sie, dass ihr das nicht reiche. Offenbar ist sie auch gegen die Absenkung der Grenze der betroffenen Unternehmen auf 500 Mitarbeiter*innen. Der Mittelstand müsse geschont werden. Da das in der EU jetzt häufiger passiert, heißt es dazu „the German Vote“.

Die Einstellung großer Unternehmen in Deutschland zur Richtlinie

Unter dem Link Klimaliste gibt es eine Aufzählung bedeutender Unternehmen unter dem Gesichtspunkt ihrer Einstellung zu den neuen Anforderungen an sie. Überraschend ist dabei, dass außer häufigen Ablehnungen bei Chemiebetrieben und Maschinenbauern viele Unternehmen nicht nur abwartend, sondern durchaus positiv eingestellt sind. Anders wird die Lage von den großen Wirtschafts-Verbänden angesehen. Allerdings überwiegt hier die Skepsis und nicht die Ablehnung.

Allerdings stammt die Umfrage aus der Zeit, bevor Anfang Februar eine Abstimmung stattfinden sollte. Sie gibt also die Einstellung zu den – hohen Zielen der Richtlinie wieder, auf die sich die Unterhändler im Dezember 2023 geeinigt hatten.

Und nun?

Nun muss sich die deutsche Regierung bei der Abstimmung enthalten. Das kommt einem N E I N gleich. Die FDP hat außerdem – ohne das in der Regierung abzustimmen – an die anderen Mitgliedsländer geschrieben, es ihr doch gleich zu tun. (Europe Calling, Eil-Webinar “EU-Lieferkettengesetz, 9.2.2024)

Am 9.2. hieß es in den Nachrichten, die Abstimmung würde verschoben. Offenbar will Belgien, das die Ratspräsidentschaft inne hat, versuchen, einen neuen Kompromiss zu finden. Schließlich hat man die Richtlinie über zwei Jahre verhandelt. „Der Ruf Deutschlands als verlässlicher Partner in der EU wird von der FDP aufs Spiel gesetzt“, so die Chefverhandlerin des EU-Parlaments im Trilog-Prozess, die niederländische EU-Abgeordnete Lara Wolters (S&D). Am 28.2.2024 kommt es zur Verschiebung der Abstimmung. Unmittelbar vor der Abstimmung gab es einen „unerwartet breiten Widerstand auf der Ebene der Mitgliedstaaten“. Dieser „kam nach wochenlanger intensiver Lobbyarbeit, die von nationalen Industrieverbänden und deutschen Ministern der FDP initiiert wurde.“ Die belgische Präsidentschaft will einen weiteren Versuch unternehmen, die Richtlinie doch noch zu retten.

Wie die deutsche Wirtschaft durch die Blockade des Gesetzes weiter ins Hintertreffen gerät

Die USA haben bereits ein Lieferkettengesetz! Da VW aber noch in China produziert und offenbar nicht ausreichend auf das amerikanische Gesetz achtet, sollen nun Tausende Autos von VW in amerikanischen Häfen „festhängen“. Das berichtet die Wirtschafts Woche aufgrund eines Artikels der Financial Times. Es gebe zumindest ein wichtiges elektronisches Bauteil in den Autos, das gegen  das US-Gesetz gegen Zwangsarbeit verstoße. VW habe die amerikanischen Behörden sofort darüber informiert. Das Teil stamme von einem „indirekten Zulieferer weiter unten in der Lieferkette“  und sei ohne Kenntnis von VW eingebaut worden. Es solle nun ausgetauscht werden, damit die Autos bis Ende März ausgeliefert werden können. Auf deutsche Nachfrage wollte sich der Konzern dazu nicht äußern.

Europa ist also keineswegs Vorreiter mit seiner Richtlinie! Sondern Nachzügler. Und der Anschlussprozess wird jetzt aus Deutschland heraus noch ausgebremst! Das ist nicht das erste Mal bei einem EU-Gesetz. Auch beim Verbrenner-Aus ab 2035 verlangte man eine Ausnahme – angeblich um Technologie-Offenheit zu bewahren. Radikaler Wirtschaftsliberalismus zum Nachteil von schneller Innovation und Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland.

15.3.2024 Belgien ist den Forderungen der FDP entgegen gekommen

Das Lieferkettengesetz soll nun nur noch für große Unternehmen gelten. Statt für Betriebe mit 500 Mitarbeitern soll es nun erst für solche mit 1000 Angestellten und Arbeiter*innen gelten. Statt getätigten 150 Millionen € Umsatz im Jahr zählt es nun erst ab 450 Mill. globalem Umsatz. Die jetzige Fassung schwächt auch die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Klage ab. Und es gibt jetzt eine Übergangsfrist von 5 statt von 2 Jahren.

Die Richtlinie ist mit diesen Veränderungen von einer qualifizierten Mehrheit der EU-Staaten verabschiedet worden – allerdings weiterhin ohne Zustimmung der Deutschen! Denn: „Wir hätten uns mehr Bürokratieabbau gewünscht“, bemängelt Herr Lindner nun. In Brüssel heißt es immer öfter kopfschüttelnd: The German Vote. Das Handelsblatt will erfahren haben, dass in dieser EU-Periode noch 14 Gesetze anhängig sind, bei denen ein deutsches Nein aufgrund „liberaler“ Bedenken zu erwarten sind.

Da die Lieferketten-Richtlinie  noch durch das EU-Parlament muss, bleibt abzuwarten, ob es auch diese Hürde nehmen wird. Am 19. März hat auch der Rechtsausschuss des EU-Parlaments mit 20 Ja zu 4 Neinstimmen dem Kompromiss zugestimmt.

Das Recht auf Reparatur – eine Richtlinie

Dieses Recht steht in den Startlöchern. Unterhändler von Rat und Parlament haben sich darauf geeinigt. Auch die offiziellen Abstimmungen des Parlaments sind am 23.4.2024 zustande gekommen. Der Rat muss noch zustimmen – warten wir´s ab. Stimmt er ebenfalls zu haben die Staaten zwei Jahre Zeit zur Umsetzung in nationales Recht.