Demokratie versus Autoritäre Regierungen

Welches System ist überlegen? Darüber haben politisch Interessierte in den letzten Monaten, ja Jahren viel diskutiert. Es schien so, dass viele Menschen ihre Demokratie nicht mehr zu schätzen wussten und sich nach einfachen Regeln, von oben verordnet, sehnten. So lauteten Fragen: Gehen autoritär regierte Staaten mit vielen Krisen effektiver um? Und akzeptieren deren Bürger:innen die Ergebnisse eher als die in Demokratien?

Nun spricht Vieles, was in 2022 passiert ist, dagegen.

1. Der brutale russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das russische Regime als Diktatur erwiesen, die sich an keinerlei internationale rechtliche Vereinbarung hält. Und das, obwohl die gleiche Nomenklatura  die Verträge ausgehandelt und unterschrieben hat.

2. Der lang andauernde und extrem mutige Aufstand der iranischen Frauen und inzwischen weiter Teile der Bevölkerung gegen das Mullah-Regime. Und das, obwohl das totalitäre Regime diesen Volksaufstand mit extremer und blutiger Härte bekämpft.

3. Das kurzzeitige Aufflackern chinesischen Unmuts gegen die von oben rigoros durchgesetzte Null Covid-Strategie, die zum Kompletten Lock Down ganzer Städte und Regionen führte.

4. Der Ausgang der amerikanischen Midterm-Elections, der Zwischenwahlen, zwei Jahre nach dem Sieg des Demokraten Joe Biden bei den Präsidentschaftswahlen. Denn die Demokraten haben bei der Nachwahl im Senat jetzt den 51. von 100 Sitzen gewonnen.

Welche Rolle spielen die Midterm-Elections und wie verlaufen sie in der Regel

In den USA wählen die Menschen alle vier Jahre ihren Präsidenten. Außerdem wählen sie das Repräsentantenhaus (435 Abgeordnete) für zwei Jahre sowie alle zwei Jahre ein Drittel des Senats (100 Sitze) für sechs Jahre. Die Midterm-Elections finden jeweils zwei Jahre nach der Präsidentenwahl statt, also alle vier Jahre.

Jeder der 50 US-Bundesstaaten hat nur zwei Senatoren und jeder Senator ist auf sechs Jahre gewählt. Das aber heißt, der Senat und damit auch jeder Senator ist wesentlich gewichtiger als ein für zwei Jahre gewählter Abgeordneter im Haus, also im Repräsentantenhaus.

In aller Regel gehen die Midterm-Elections gegen die Partei aus, die den Präsidenten stellt. Dieses System der sog. checks and balances (geteilte Macht) zwingt den regierenden Präsidenten, mit der Oppositionspartei, also in der Mitte des Kongresses Kompromisse zu suchen. Er kann dann, also bereits nach der Hälfte der ersten Amtszeit seine politische Agenda nicht mehr voll durchsetzen. Besonders im Senat wirkt sich der Verlust der Mehrheit für die Agenda des Präsidenten negativ aus.

Drei Ausnahmen bestätigen die Regel

Von dem Verlust der Mehrheit der Partei des Präsidenten im Senat bei den Zwischenwahlen hat es seit 1900 nur drei Ausnahmen gegeben.

Präsident Franklin D. Roosevelt gewann bei seinen ersten Midterms. Die Menschen waren froh, nach der Weltwirtschaftskrise einen zupackenden Präsidenten zu haben, der mit unkonventionellen Mitteln Arbeitsplätze schaffte. Dadurch konnte er Viele aus der Existenz- bedrohenden Armut holen.

Präsident Bill Clintons Partei behielt nach seiner Wiederwahl, also in seiner 2. Amtszeit die Mehrheit. Die Wähler:innen gaben damit ihrer Meinung Ausdruck, dass sie das Abwahlverfahren des Repräsentantenhauses gegen Clinton missbilligten.

Und schließlich unterstützten die Wähler:innen Präsident George W. Bush während des Irak-Krieges.

Alle drei Situationen sind Ausnahme-Zeiten.

Die zwei Jahre Amtszeit von Joe Biden bisher

In den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit hatte Biden es schwer, seine höchst ambitionierte Agenda umzusetzen. Im Senat hielten die Demokraten zwar die Hälfte der Stimmen, also 50 Sitze. Da der Senat von der Vizepräsidentin geführt wird, gibt ihre Stimme in der Regel den Ausschlag. Davon musste sie 26 mal Gebrauch machen.  Mit ihr hatte Biden also 51 Stimmen. Aber es gibt in den Reihen der demokratischen Senatoren einen Abweichler, der äußerst konservativ ist. Er hat sich gegen viele Gesetze der Demokraten gesperrt, sogar gegen das große Investitions-Paket. Dieses sollte endlich die marode Infrastruktur, wie z.B. all die in die Jahre gekommenen Brücken ersetzen und so auch viele Arbeitsplätze schaffen. Präsident Biden konnte durch den hinhaltenden Widerstand aus den eigenen Reihen viele seiner Wahlkampf-Versprechen nur sehr verzögert und deutlich abgespeckt realisieren.

Praktisch alle Analysten hatten vor der Wahl u.a. deshalb einen Verlust der Mehrheit im Senat vorausgesagt.

Auch hatte Donald Trump, der Verlierer der Präsidentschaftswahl viele republikanische Hardliner als Kandidaten für den Senat aufgestellt. So wie Trump selbst noch immer von der ihm gestohlenen Wahl schwadroniert, taten es viele seiner Kandidaten. Und da die juristischen Verfahren gegen Trump selbst wegen seines versuchten Putsches am 6.1.2021 noch ausstehen, befürchteten Viele, dass seine Kandidaten einen Sieg einfahren könnten.

Was  die Zuwahl eines Sitzes im Senat für Bidens Regierung so besonders macht

Nun aber hat Bidens Partei nicht nur keinen Sitz verloren, sondern im Gegenteil sogar einen Sitz hinzu gewonnen.

Aber nicht nur das. Die Kandidaten, die Trump ausgewählt und unterstützt hat, sind durch die Bank gescheitert.

Das ist ein großer Sieg für die amerikanische Demokratie. Diesen Sieg haben vor allem die amerikanischen Wähler:innen erzielt!  Sie sind nicht nur standhaft und besonders zahlreich zur Wahl gegangen. Das ist bemerkenswert, denn die Republikaner haben das Wählen in der Zwischenzeit in den Staaten, in denen sie die Mehrheit haben, erschwert (z.B. Wahlkreise anders geschnitten, Briefwahl eingeschränkt usw.) Und die Wähler:innen haben, wenn sie republikanisch gewählt haben, das dort getan, wo nicht Trump-Leute aufgestellt waren.

So haben sie der republikanischen Parteispitze signalisiert: Trennt Euch endlich von Trump. Der passt nicht in unser demokratisches System.  Pikanterweise hat z.B. der stellvertretende Gouverneur von Georgia (Republikaner) nach der Wahl bekannt, dass er einen weißen Stimmzettel abgegeben habe. Denn er habe sich nicht durchringen können, den von Trump aufgestellten Kandidaten zu wählen.

Mit der errungenen Mehrheit kann Präsident Biden nun nicht nur noch viele Pläne in seiner Regierungszeit umsetzen, sondern:

Die Mehrheit im Senat gibt der regierenden Partei umfassendere Macht

Die Demokraten erhalten jetzt in jedem Senatsausschuss die Mehrheit und den Vorsitz. Das erlaubt ihnen, die Tagesordnung jeder Sitzung zu bestimmen. Damit können sie ihre politischen Vorhaben wesentlich besser und schneller durchsetzen. Außerdem erhalten die Demokraten jetzt mehr finanzielle Mittel und mehr Personal. (Bisher war all das gleich aufgeteilt.) Da die Demokraten nun auch wichtige Posten eher und schneller besetzen können, wirkt sich das nochmal positiv aus. Die Republikaner können das nicht mehr verzögern oder verhindern. Welche Posten?

Obere Richter werden in den USA vom Präsidenten nominiert und vom Senat bestätigt. In den nächsten zwei Jahren könnten  etwa 70 Posten neu zu besetzen sein.

Falls sogar ein Supreme Court Richter, also ein Richter des obersten Verfassungsgerichtes neu benannt werden müsste, könnte er oder sie ebenfalls problemlos bestätigt werden.

Und der Senat kann nun unter Strafandrohung Beschuldigte vorladen.

Weitere Siege der Demokratie in den USA

Ebenfalls am 6.12.2022 ist ein jahrelanger Kampf um die Wahrheit bei den zu zahlenden Steuern betreffend das Familie-Unternehmen von Trump zu Ende gegangen. Die Jury hat die Trump Organisation jetzt in allen 17 Anklagepunkten einstimmig für schuldig befunden. Damit ist eine jahrelange und systematische Steuerhinterziehung bewiesen worden. Trump selbst war in diesem Verfahren nicht angeklagt.

Aber der Supreme Court hat im November bereits eine Klage von Trump persönlich abgelehnt. Trump wollte damit verhindern, dass ein Ausschuss des Repräsentantenhauses Einblick in seine persönlichen Steuerunterlagen nehmen kann. Der Ausschuss hatte die Herausgabe seit 2019 vergeblich verlangt.

Weitere Verfahren gegen Trump sind anhängig, so z.B. eins gegen widerrechtliche Mitnahme von top secret Unterlagen aus dem Weißen Haus nach seiner Abwahl.

Ob es zu einer Vorladung von Trump vor dem 6. Januar-Komitee kommt, das Trumps Rolle bei dem Putschversuch aufgearbeitet hat, ist  offen. Die Republikaner haben bei den Midterms im Haus eine Mehrheit von ca. 5-6 Stimmen erzielt. Allerdings sind sie bezogen auf Trump inzwischen gespalten. Und der Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses wurde immerhin von der republikanischen Abgeordneten Liz Cheney als Vize geleitet, einer entschiedenen Gegnerin Trumps.

Von den ca 2000 (bis 2500) Demonstranten, die vor das Capitol marschierten und z.T. gewaltsam eindrangen, wird gegen fast 1ooo bekannte Personen ermittelt. Fast 500 haben sich in ihren Verfahren schuldig bekannt. Bis Juni waren ca 200 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, der sog. QAnon-Schamane z.B. zu 41 Monaten.

Auch in Deutschland wehrt sich der Staat nachdrücklich

Der Putschversuch in den USA hat am 6.1.2021 die amerikanische Demokratie über Stunden in arge Bedrängnis gebracht. Und es ist erschreckend, wie lange der Rechtsstaat braucht, um die Hauptverantwortlichen überführen zu können. Wir haben damals hier geschrieben:

Weckruf für die Freiheit! Weckruf für die Demokratie! Schon länger beunruhigt in Deutschland das Treiben der sich so nennenden Reichsbürger. Sie lehnen nicht nur diesen Staat bzw. unsere Demokratie ab. Sondern sie machten auf ihre Gewaltbereitschaft schon 2016 durch einen tödlichen Schuss auf einen Polizisten aufmerksam. Dieser klingelte bei Einem von ihnen, um dessen Waffen einzuziehen.

Heute nun ist unseren vereinten Sicherheitskräften (3000 Mann) ein bedeutender Schlag gegen eine konkrete Verschwörung dieser Gruppe und auch von QAnon gelungen. Sie hatten gewaltsame Umsturzpläne gegen die deutsche Regierung  und hatten ein Team bestimmt, das die Macht übernehmen sollte. Zu der Gruppe gehört eine Berliner Richterin, die als AFD-Mitglied mal im Bundestag saß, sowie andere promovierte Personen. Auch mehrere Ex-Bundeswehr-Offiziere von Spezialeinheiten sind Teil der  terroristischen Verschwörung. Viele Waffen wurden beschlagnahmt und 25 Personen vorläufig festgenommen. 19 davon sind bis zum Abend in Untersuchungshaft genommen worden. Nicht nur in elf Bundesländern, sondern auch im Ausland fanden und finden Durchsuchungen statt.

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast sagte: „Es gibt Kräfte, die tagtäglich daran arbeiten, unsere Demokratie zu zersetzen.“ Das zeigt: „Unsere Werte müssen jeden Tag aufs Neue verteidigt werden“.

Aber die hier aufgeführten Siege zeigen: die Mehrheit der Menschen zieht die Demokratie der autoritären Herrschaft eindeutig vor.