Existiert im EU-Parlament eine Brandmauer?

Seit der Europa-Wahl im Juni 2024 gibt es im EU-Parlament drei rechte, rechtspopulistische bis rechtsextreme Fraktionen neben der konservativen EVP.

Eine Fraktion benötigt mindestens 23 Mitglieder aus sieben Staaten.

Während die EVP mit 188 Sitzen die dominierende Partei geworden ist, liegen die „Patrioten für Europa“ von Viktor Orban angeführt,  mit 84 Sitzen immerhin auf dem 3. Platz der großen Parteien. Sie haben damit die Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“, der EKR um sechs Sitze überholt. Denn die Partei, in der Melonis Abgeordnete den Ton angibt, kommt nur auf 78 Sitze.

Außerdem hat sich mit 25 Sitzen noch die Fraktion des ESN, des „Europa der  Souveränen Nationen“ neu gegründet. (alle Angaben von Statista, vom Juni 2024). Im ESN ist die AFD mit 15 Mitgliedern die größte nationale Vereinigung geworden. Sie war aus der im vorigen EU-Parlament existierenden ID verbannt  worden, nachdem es einen Skandal um ihr Mitglied M. Kr. gegeben hatte. (Dieser kandidiert übrigens derzeit für den Bundestag.)

Zu dieser Rechtsaußen Fraktion, deren Mitglieder Europa am Liebsten ganz abschaffen würden, gibt es die sog. Brandmauer. Ob das aber bedeutet, dass mit ihr oder ihren Mitgliedern niemand verhandelt, wenn eine Mehrheit gegen einen Gesetzentwurf gefunden werden soll, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall hat sich die EVP mit Manfred Weber (CSU) an der Spitze in der zu Ende gegangenen Sitzungsperiode 2024 nicht gescheut, sich Mehrheiten von der ID zu holen. Und wer schließt aus, dass die EVP nicht auch eine Unterstützung aus dem ganz rechten Lager stillschweigend duldet.

Was Probleme mit der Brandmauer sind

Das lässt sich derzeit am Besten an einem Beispiel aus Deutschland zeigen. Drei Wahlen haben im Herbst 2024 in ostdeutschen Bundesländern stattgefunden. In allen drei Ländern haben die Mehrheiten in der Mitte, also in den traditionellen demokratischen Parteien CDU, SPD, FDP und Grüne nicht zu einer mehrheitsfähigen Regierungsbildung ausgereicht. Mit der AFD aber wollte keine dieser Parteien (sofern sie überhaupt vertreten ist) in einem der drei Länder koalieren.

Außer der AFD hat erstmals auch das BSW (Bündnis Sarah Wagenknecht) kandidiert und ist auf Anhieb in alle drei Landtage mit einem hohen Stimmenanteil eingezogen. In zwei der Länder an der Regierung beteiligt, ist Sachsen jedoch den Weg einer Minderheitsregierung aus CDU und SPD gegangen. Der Ministerpräsident hat 8 Minster aus der CDU berufen. Die SPD hat zwei Ministerien bekommen. Aber natürlich gab es vorher Gespräche mit „den Anderen“, denn es muss ja sichergestellt werden, dass die Regierung einen Haushalt beschließen kann und weitere Gesetze auf den Weg bringen kann. Und da zeigt sich das Problem mit der Brandmauer. Es findet längst auch auf einer anderen Ebene statt, von der Öffentlichkeit weniger beachtet.

Die Besetzung der Ausschüsse

Die Ausschüsse werden entsprechend der Fraktionsstärke im Landtag besetzt. Die (großen) Fraktionen handeln den jeweiligen Vorsitz untereinander aus. Sieben Parteien sind in den Landtag eingezogen. Die CDU liegt mit 31,9 % knapp vor der AFD mit 30,6 %. Die AFD hat damit nur einen Sitz weniger als die CDU. Das BSW hat mit 11,8% die SPD, die in Sachsen schon immer schwach war, mit 7,3 % deutlich überholt. Die Grünen, die vorher an der Dreier-Koalition beteiligt waren, haben immerhin noch 5,1 % Prozent geholt. Aber auch mit einer grünen Beteiligung an einer neuen Regierung würde eine Dreierkoalition von CDU, SPD und Grünen nicht die Stimmenmehrheit haben. Daher nun also die Entscheidung des Ministerpräsidenten zu einer  Minderheitsregierung mit „Konsultationsmechanismus“.

Sein Problem ist überdies besonders die Besetzung der Ausschüsse. Denn die AFD hat z.B. den Vorsitz im Innenausschuss erhalten. Der Vorsitzende dort soll ein ehemaliger Polizist sein, der 2022 an nicht genehmigten Demonstrationen der Querdenker teilgenommen habe. Und dieser Ausschuss ist zuständig auch für den Verfassungsschutz. Der aber hat dem sächsischen AFD-Verband im Dez. 2023 eine „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ attestiert.

Sachsen hat am 15.1.2025 mit den Stimmen von CDU und  BSW eine aus fünf Abgeordneten bestehende Parlamentarische Kontrollkommission zur Überwachung des Verfassungsschutzes z.T. neu besetzt. Auch darunter befindet sich ein Vertreter der AFD, der Bundesschatzmeister der AFD. (Table. Briefings) Das bedeutet,  die AFD kontrolliert den Verfassungsschutz mit!

Auch der wichtige Vorsitz des Justizausschusses soll an die AFD vergeben sein. Ebenso der Vorsitz im  Finanzausschuss und der  im Bildungsausschuss.

Das Problem mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss

Das erregt Unmut nicht nur bei der mitregierenden SPD, sondern sogar innerhalb der sächsischen CDU.

Denn der Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundes-CDU vom Dez. 2018, also die sog. Brandmauer beschreibt, dass die AFD demokratische Institutionen und die repräsentative Demokratie verachtet. Dazu heißt es dort: „Deshalb sehen wir die AfD als politischen Gegner, mit dem es keine Zusammenarbeit geben kann. Zwischen Union und AfD kann es nur klare Kante und schärfste Abgrenzung geben. Koalitionen oder irgendeine andere Art der Zusammenarbeit sind für aufrechte Christdemokraten ausgeschlossen.“

Die AFD kümmert das wenig. Sie verfolgt eine klare Langzeitstrategie, die sich längst auszahlt. Das Vertrauen der Bürger*innen in die demokratischen Institutionen befindet sich Umfragen zufolge in einem Sinkflug.

Aber ob sich daraus Konsequenzen für die Regierung in Sachsen ergeben?

Das Überschreiten der Brandmauer aus der Mitte der Gesellschaft, also einer ursprünglich klar demokratisch agierenden Partei,  trägt dazu bei, die rechtsextremen Kräfte weiter zu legitimieren und -wie von der  AFD gewollt-  die Grenzen zwischen demokratischen Gepflogenheiten zu verwischen.

Schon seit längerem besteht die Angst, dass bei der nächsten Bundestagswahl (spätestens 2029) die AFD jede demokratische Mehrheitsbildung in der Bundesregierung verhindern könnte. Dann ist der Weg zu Verhältnissen wie am Ende der Weimarer Republik nicht mehr weit. Dieses Mal geschieht dieser Prozess allerdings sehenden Auges.

Was das für die EU heißt

Und auch in der EU wird es mit so vielen rechten bis rechtsextremen Stimmen nicht einfacher, eine Politik für eine Zukunft mit Fortschrittsindustrien und neuen Technologien zu machen. Denn rückwärtsgewandte Kräfte und mächtige Industrievertreter mit ihren Lobbygruppen arbeiten teilweise gemeinsam daran, bereits beschlossene Richtungsentscheidungen  wieder auszusetzen und an überkommenen Technologien festzuhalten. Nicht nur die AFD hat lauthals verkündet, die Windkraftanlagen alle abzureißen, wenn sie das Sagen hat. Solche Aussagen kommen gelegentlich auch aus der Spitze von konservativen Parteien. Und auch von dem Mann, der hofft, die Welt beherrschen oder lenken  zu können, kommen ähnliche Töne.

Schon jetzt hat Europa mit seinen 27 Staaten gegenüber China und auch gegenüber den USA, die jeweils Politik aus einem Guss machen können, einen Wettbewerbsnachteil. Europa muss deshalb alles daran setzen, eine zukunftsgerichtete, wirtschaftsstarke Kapitalmarkt- und Industriepolitik auf den Weg zu bringen. Und das unabhängig von ausländischen Interessen und Ressourcen, die jetzt versuchen, in Europa Fuß zu fassen.