Jean Monnet, Gründungsvater der EU: „Europa wird in Krisen geschmiedet und wird die Summe der Lösungen sein, die für diese Krisen gefunden werden.“

Turbulenzen

Donald Trump ist mit den Schockwellen, die er in seiner 2. Amtszeit durch die westliche Welt sendet, überaus erfolgreich. Endlich ist Europa aufgewacht. Trump hatte zwar schon in seiner ersten Amtszeit darauf gedrängt, dass jedes NATO-Land mindestens zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes zahlen müsse. Andernfalls stünde die NATO nicht zu dessen Verteidigung bereit. Dennoch ist in Europa zur Zeit der amerikanischen Biden-Regierung  wenig bis nichts voran gekommen.

Seit Januar 2025 nun spricht Trump nicht nur von 2%, sondern von 3,5 bis  5 %, die jedes Land ausgeben müsse. Nach dem inszenierten Streit mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj sowie dessen Rauswurf aus dem Weißen Haus, hat Trump am 4.3.25 auch alle Waffen-Lieferungen an die Ukraine eingestellt. Und das, obwohl die Vorgänger-Regierung sie genehmigt hat. Besonders gravierend: er hat ohne Vorwarnung auch den Satelliten-Schutzschild über der Ukraine abgeschaltet und damit den wichtigen Austausch von Geheimdienstinformationen verhindert. Außerdem haben Äußerungen von Musk über sein Starlink, die Verbindungen über die die ukrainischen Militärs miteinander kommunizieren, ebenfalls für Aufregung gesorgt. Für deren Bereitstellung hat Polen bisher jährlich 46 Millionen Euro gezahlt. Aber Polen sei bereit, sich mit anderen Anbietern zu befassen, schrieb der polnische Außenminister Sikorski, falls sich Elon Musk, Eigentümer der Starlink-Muttergesellschaft SpaceX, „als unzuverlässig erweist“,

Staats- und Regierungschefs begrüßen die Überlegungen der Kommission

Schon am 6. März sind daher alle europäischen Staatenlenker zu einem Sondergipfel zusammen gekommen, um über eine europäische Aufrüstung zu beraten. Mit Ausnahme des Ungarn, Orban, ist ganz Europa entsetzt, zumal Russland seine Angriffe aus der Luft nun nicht nur ungehindert fortsetzen kann, sondern auch noch verstärkt. Die Rede ist seitdem u.a. von einer Koalition der Willigen. Denn man ist sich einig, auch Großbritannien und Norwegen dazu zu nehmen und Ungarn, sowie die Slowakei ggfs. außenvor zu lassen.

Am 18. März soll das EU-Parlament zu der Frage diskutieren, wie die im Plan vorgesehenen 800 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre zusammen kommen sollen. Denn ein Großteil soll aus den Haushalten der einzelnen Staaten kommen. Dafür benötigen die Staaten mehr Spielraum bei ihren Ausgaben. Und deshalb will die Kommission die nationale Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts aktivieren. Sie geht davon aus, dass eine durchschnittliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben jeden Mitgliedslandes um 1.5% über vier Jahre zusammen 650 Milliarden Euro ergeben. 

Die Kommission schlägt überdies vor, dass die Staaten die Gelder aus dem Kohäsionsfonds verstärkt für Rüstungsausgaben verwendet. Nach Widerspruch hat sie den Vorschlag ergänzt um Nutzung dieser Gelder auch für  Wohnungsbau und Chipfabriken. Bei diesen Verwendungszwecken lockt sie mit höheren Vorschüssen sowie einer 100prozentigen Erstattung. (Europe.Table,Till Hoppe)

Wer wieviel zahlen soll

Noch besteht keine Klarheit über die Art der Berechnung der finanziellen Beiträge der teilnehmenden Staaten. Bisher liegt  nur ein Vorschlag vor. Dieser  sieht vor, das Bruttonationaleinkommen (BNE) als Indikator heranzuziehen. So würden Beiträge entsprechend des „wirtschaftlichen Gewichts“ der Länder verteilt. Dieses Modell würde sicherstellen, dass Länder, die bislang weniger als nord- oder osteuropäische Staaten beigetragen haben, künftig ihren „fairen Anteil“ leisten, erklärte ein EU-Diplomat.

Zusätzlich fordern die EU-Mitgliedstaaten Klarheit darüber, wie die 18 Milliarden Euro aus den unerwarteten Gewinnen eingefrorener russischer Vermögenswerte in die Berechnungen einfließen sollen.

Die übrigen 150 Mrd. Euro soll die EU als Darlehen aufnehmen. Die Kommission schlägt sie vor allem für die gemeinsame Beschaffung in Europa vor. Es geht dabei um die Entwicklung von Luft- und Raketenabwehrsystemen, Artillerie, Flugkörpern und Munitionsdrohnen, aber auch um Cyberabwehr. Die Staaten müssen die Anträge dafür im Nov. 2025 stellen.

Die Kommission würde die dazu benötigten Mittel gerne im Rahmen der Sicherheitsaktion für Europa ( Security Action for Europe: SAFE) aufbringen. Sie bietet sich überdies als zentrale Beschaffungsstelle an.

Die Dringlichkeit aller Überlegungen kommt darin zum Ausdruck, dass die EU-Kommission zum 2. Gipfel  ihr neues „Readiness 2030“-Programm vorgelegt hat. Demnach soll Europa innerhalb von fünf Jahren kriegstüchtig sein. Das ist die Zeitspanne, die Russland laut Brüsseler Einschätzungen für eine Neuaufstellung seiner Streitkräfte benötigen würde.

Und wie  das Parlament reagiert

Die Kommissionspräsidentin möchte nun ( 11.3.25) ihren Plan wegen der Dringlichkeit direkt dem Rat vorlegen und nicht dem Parlament. Damit will sie die Realisierung beschleunigen, denn reguläre Verfahren können Jahre dauern.  Außerdem waren sie in Punkto Verteidigung bislang über all die Zeit, in denen sie diskutiert wurden, kaum erfolgreich.  Nach Artikel 122 des EU-Vertrages ist das Vorhaben jedoch möglich, erregt allerdings viel Widerstand im Parlament.

In seiner Sitzung am 13.3. hat das Parlament zugestimmt, dass die Milliarden im Dringlichkeitsverfahren auf den Weg gebracht werden. Das Europäische Programm für die Verteidigungsindustrie (EDIP) soll demnach Anfang Mai schlussendlich durch das Parlament gehen. Verhandeln, ob sie Änderungsanträge einbringen sollten, wollen dazu zwei Ausschüsse: der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) und der Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung (SEDE). Optimistisch stimmt, dass das EU-Parlament bereits vor zwei Jahren dem Gesetz zur Unterstützung der Munitionsproduktion in einem beschleunigten Verfahren zugestimmt hat.

Da außerdem die demokratische Mitte des Parlaments die Dringlichkeit sieht und betont und da ja auch bereits  SEDE, der zukünftige  Verteidigungsausschuss mit einer starken Vorsitzenden, Frau Strack-Zimmermann eingerichtet ist, scheint das Momentum für große Fortschritte in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung jetzt gegeben.

Nicht unwichtig, dass im größten und wirtschaftsstärksten europäischen Land, Deutschland,  die blamable Politik des „German Vote“ der Vergangenheit angehören wird. Die Schuldenbremse wird zugunsten höherer Verteidigungsausgaben reformiert und ein Sondervermögen aufgenommen werden.

Was das Parlament außerdem für wichtig hält

Dazu gibt es eine Entschließung des Parlaments, die besagt:

Die Abhängigkeit von Nicht-EU-Ländern sollte massiv verringert werden. (Gemeint sind dabei wohl vor allem die USA).

Das Weißbuch zur Verteidigung soll „wirklich wegweisende und dringend erforderliche Anstrengungen“ und Maßnahmen „wie sie in Kriegszeiten zum Einsatz kommen würden“ aufzeigen.

Die EU muss nicht nur die Ukraine -ohne jede Reichweitenbeschränkung- unterstützen, sondern auch selbst widerstandsfähiger werden.

Russland halten die Parlamentarier  für „die größte direkte und indirekte Bedrohung für die EU“.

Angesichts des Verhaltens der USA gegenüber Russland, der NATO und Grönland und der europäischen Sicherheit dürfen die Verteidigungsbemühungen der EU „in ihrem Umfang nicht begrenzt oder fragmentiert bleiben oder nur schleppend Ergebnisse liefern“. Überdies müssen die europäischen Verteidigungsbemühungen sich auch auf die Bereiche Industrie, Technologie und Nachrichtendiensten erstrecken. Ziel sei eine voll funktionsfähige europäische Säule der NATO, die in der Lage ist, bei Bedarf autonom handeln zu können.

Geforderte Änderungen bei EU-Abläufen

Die EU müsse ihre Verwaltung in die Lage versetzen, bei Bedarf nicht nur autonom zu handeln. Sondern sie müsse auch im Kriegsfall oder bei anderen Krisen größeren Ausmaßes fähig sein, die notwenigen Verfahren in Gang zu setzen und „deutlich schneller“ durchlaufen.  Die Parlamentarier befürworten die Schaffung eines Rates der EU-Verteidigungsminister. Außerdem fordern sie von der Beschlussfassung mit Einstimmigkeit einen Übergang zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit für EU-Entscheidungen in diesem Bereich. Und sie bestehen darauf, dass die Entscheidungsfindung in der europäischen Verteidigung weniger komplex sein soll.

Sie sprechen sich  für eine deutliche Steigerung der gemeinsamen Beschaffung von Rüstungsgütern durch die EU-Mitgliedstaaten aus. Auch drängen sie darauf, die Finanzen für Verteidigung innovativ und unverzüglich und nicht erst bei den nächsten Haushaltsberatungen zu erhöhen.

Alle Äußerungen und Entscheidungen des EU Parlamentes zeigen, dass es Reaktionen auf die stark veränderte Weltenlage sind. Sie beweisen, dass die Mehrheit des Parlaments mit großer Sorge und Ernst darauf reagiert. Deshalb teilen wir hier das Abstimmungsergebnis mit:

Die Entschließung wurde mit 419 Ja-Stimmen, 204 Gegenstimmen und 46 Enthaltungen angenommen.

Verteidigungsforschung schnell voran bringen

Die Kommission will mit Hilfe eines kleinen Omnibus-Gesetzes die finanzielle Förderung dieser Forschung hochfahren. Dazu legt sie Ende April eine Verordnung vor,  die bestehenden Finanzierungsprogrammen mehr Flexibilität erlauben soll. Danach sollen die EU-Staaten Forschungs- und Kohäsionsgelder in Zukunft auch für die Entwicklung von Dual-Use-Produkten einsetzen können. Gezielte Änderungen an bestehenden EU-Finanzierungsprogrammen sollen schnellere, flexiblere und koordinierte Investitionen in Dual-Use-Projekte möglich machen.

Die letzte Dual Use Verordnung der EU stammt von 2021. Sie legt für alle EU-Staaten gemeinsame Genehmigungspflichten und Verfahrensweisen fest für Produkte, Software und Technologien, die zivil, aber auch militärisch genutzt werden können.

EDIP, Das Europäische Programm für Verteidigungsindustrie

Die Ausschüsse des Parlaments, die an der Ausarbeitung des EDIPs beteiligt sind: SEDE, ITRE und der Haushaltsausschuss (BUDG) legen gemeinsam Ende April 2025 fest, dass das Programm deutlich aufgestockt werden soll und dass bei der gemeinsamen Beschaffung mindestens 70% aus europäischer Produktion kommen soll. Das EU-Parlament hat im Anschluss verlautbart: Wir möchten die bisher vorgesehenen 1,5 Milliarden  -so der Ministerrat zustimmt- um 20 Milliarden aufstocken. Es geht um die Stärkung der Ostflanke und die Möglichkeit beschleunigter Beschaffungen. „Damit EDIP sein volles Potenzial entfalten kann und einen echten Mehrwert für die Verteidigungsbereitschaft schafft“, schreibt dazu die EVP. Und ergänzt: Im neuen Mehrjährigen Finanzrahmen (2028-2034) müssen wir weitere Mittel bereitstellen, um die europäische Verteidigungsindustrie auch strukturell sicher aufzustellen und die für Investitionen nötige Planungssicherheit herzustellen.

Ende Mai heißt es: der Europäische Investitionsfonds (EIF) wird über einen Risikokapitalfonds 40 Millionen Euro in „frühphasige“ Verteidigungsunternehmen investieren. Der EIF hatte bisher noch nie in die Verteidigung  investiert. Nach einer anderen Quelle ist aus dem Europäischen Verteidigungsfonds (EEF)  die Rede von 910 Millionen. Und vor allem, dass daran zum ersten Mal die ukrainische Verteidigungsindustrie an EEF-Projekten beteiligt wird.

Weitere Vorschläge zur Unterstützung der Ukraine

Im Jahr 2025 sollen 30,6 Milliarden Euro bereitgestellt werden, darunter 12,5 Milliarden Euro aus der Ukraine-Fazilität und 18,1 Milliarden Euro im Rahmen der G7-ERA-Initiative. Zudem wurde eine rasche Aufstockung der militärischen Hilfe beschlossen. Das soll insbesondere durch die verstärkte Lieferung von Luftverteidigungssystemen, Munition und Raketen geschehen, sowie durch eine intensivere Ausbildung ukrainischer Truppen.

Und der Europäische Rat rief die Mitgliedstaaten auf, auch zusätzliche Maßnahmen zur Unterstützung der ukrainischen Verteidigungsindustrie zu ergreifen. Deren Zusammenarbeit mit der europäischen Rüstungsindustrie sollen sie weiter vertiefen.

Die Haltung, dass die EU in der Ukraine-Frage ohne Ungarn agiert, könnte sich als neue Norm etablieren. Und das scheint niemanden in Brüssel zu stören.

Auf dem 2. Gipfel zur Verteidigung innerhalb von wenigen Wochen, am 19.3.2025 wies die Außenbeauftragte der EU auf ihren  „Kallas-Plan“ hin. Diesen hatte sie zuvor den Außenministern vorgelegt. Er beschreibt ein milliardenschweres Hilfspaket. Mit diesem plädiert sie  für die Bereitstellung von 20 bis 40 Milliarden Euro an Militärhilfe für die Ukraine. Er wird allerdings in der Abschlusserklärung nicht erwähnt.

Aber festzuhalten ist:

Die Regierungschefs und die große Mehrheit der Parlamentarier aus Europa haben verstanden, dass zuvorderst die Sicherheit der Ukraine für ganz Europa ausschlaggebend ist. Aber auch, dass längst nicht nur die Ukraine durch den russischen Imperialismus bedroht ist. Sondern in naher Zukunft auch Europa – zumal der amerikanische Schutzschild vermutlich für immer der Vergangenheit angehört.