Rahmenbedingungen

800px-Glass_Dome_of_Reichstag_building,_Berlin, Olga ERnst, Cc BY-Sa.jpg

Olga Ernst, CC BY-Sa

Deutschland gehört zu den Gründungsmitgliedern der EG, bzw. EWG, bzw. der EU. Es liegt fast genau in der geographischen Mitte der EU. Kein anderes Land in Europa hat so viele verschiedene Nachbarn: Dänemark im Norden, Tschechien und Polen aus dem früheren Ostblock, Österreich im Süden, die BeNeLux-Länder und Frankreich im Westen. Mit all diesen Ländern und auch mit der Schweiz lebt Deutschland heute in Frieden ohne irgendwelche Gebietsstreitereien. Angesichts der Geschichte kann dies nicht oft genug positiv hervorgehoben werden.

Politische Grundtatbestände

Deutschland ist heute ein föderaler Bundesstaat aus -zunächst elf, seit der Wiedervereinigung 16 Ländern. Diese wurden zum Teil nach dem 2. Weltkrieg „zusammengesetzt“ wie Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westphalen im Westen oder nach der Wiedervereinigung Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern im Osten. Die Hauptstadt war bis zur Wiedervereinigung Bonn. Heute ist es Berlin. Das Gebäude des Parlaments, der Deutsche Bundestag beeindruckt durch die symbolisch zu verstehende begehbare gläserne Kuppel, durch die man auf die Volksvertreter hinunterschauen kann.

Die überaus komplexe deutsche Geschichte soll hier nur stichpunktartig erwähnt werden, zumal ein sozialgeschichtlicher Ansatz hier nicht zu leisten ist. Vgl. dazu die drei Bände „Deutsche Gesellschaftsgeschichte“ von Hans-Ulrich Wehler entlang der Bereiche Wirtschaft, Herrschaft und Kultur.

1. Geschichte

Das Gebiet des heutigen Deutschland gehörte um Christi Geburt zum Teil den Germanenstämmen und zum Teil zum „Imperium Romanum“ mit seiner Hauptstadt Rom. So hat das römische Recht das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 maßgeblich geprägt. Auch die lateinische Schrift verdanken wir den Römern. Und die Sprache Latein war bis weit ins Mittelalter und darüber hinaus die Lingua Franca, zumindest bei den Mönchen und den Gelehrten. Die Römer bauten den Limes vom Rhein bis zur Donau, um sich vor den Germanen zu schützen. Der Rhein war die Verteidigungslinie mit den linksrheinischen Kastellen Mainz, Koblenz, Bonn und Köln. Trier war zeitweilig die Hauptstadt des Weströmischen Reiches. Der römische Kaiser Konstatin förderte ab 312 das Christentum. Die Römer brachten den Weinbau in die Gebiete nördlich der Alpen. Und sie bauten eine  Verkehrsinfrastruktur von Straßen auf,  die erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder erreicht wurde. Gleiches gilt auch für die römischen Wasserleitungen.

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation

Der nächste große Wendepunkt der Geschichte war die Bildung des Frankenreiches unter Karl dem Großen. Er ließ sich 800 im Dom zu Aachen als Kaiser krönen und war damit der erste Kaiser des „Heiligen römischen Reiches deutscher Nation“. Dieses umfasste zumindest zeitweilig Frankreich, Luxemburg und die Niederlande, sowie Spanien, Italien und  Deutschland, die heutigen Kernlande der EU. Seine Kaiser wurden von den kirchlichen und weltlichen Kurfürsten gewählt, dann in Frankfurt am Main  inthronisiert und vom Pabst in Rom gesalbt. Erst Napoleon löste dieses Reich 1803 auf und säkularisierte und mediatisierte es. Die linksrheinischen Gebiete, wie Elsass und Lothringen fielen dadurch an Frankreich. Die rechtsrheinischen Fürsten entschädigte Napoleon mit Besitz aus den säkularisierten Kirchengebieten. Dafür zahlt die Bundesrepublik noch heute jährliche finanzielle Entschädigung an die beiden großen Kirchen.

Einschneidende Ereignisse: Martin Luther und Religionskriege

Prägend besonders für Deutschland ist die Reformation durch Martin Luther von 1517. Sie hatte viele kirchenpolitische Auseinandersetzungen zur Folge bis hin zum 30-jährigen Krieg, der überwiegend auf deutschem Boden stattfand. Dieser war jedoch nicht nur ein Religionskrieg, sondern gleichzeitig ein erbitterter Kampf um territoriale Vorherrschaft. Die Verwüstungen dieses Krieges – die Schätzungen der Zahl der Toten schwanken zwischen 4 und 9 Millionen – warfen die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes um Jahrzehnte zurück. Der Frieden von Münster und Osnabrück von 1648 gilt als ein wichtiger völkerrechtlicher Vertrag. Er schaffte eine vorläufige Beruhigung des Religionskampfes durch die berühmte Formel: cuius regio, eius religio. Das bedeutete: die Untertanen mussten die Religion ihres Landesherren annehmen.

Preußen – Kriege und politische Kämpfe

Die weitere deutsche Geschichte ist geprägt durch das Erstarken des Königtums von Preußen. Friedrich, genannt der Große, ließ um Schlesien mit der Habsburger Kaiserin Maria Theresia kämpfen. Polen-Litauen teilte er zwischen sich und dem russischen Zarenreich auf. In den napoleonischen Kriegen focht Preußen an der Seite der russischen Zaren und von Österreich-Ungarn. 1848 wurde in der Paulskirche in Frankfurt am Main die erste deutsche Verfassung mit demokratischen Elementen erkämpft und  beschlossen. Doch die Restauration der alten Fürstenhäuser stemmte sich erfolgreich dagegen. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. nahm die ihm vom Parlament angebotene Kaiserkrone nicht an! Die industrielle Revolution war erfolgreich, die politische war gescheitert.

Ein deutsches Reich

Der Historiker Wehler spricht von „defensiver Modernisierung“. Heinrich Heine musste fliehen und schrieb aus dem Pariser Exil: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht!“.  Wilhelm I. führte Krieg gegen Frankreich, u.a. um Elsass-Lothringen wieder Deutschland zuzuschlagen. Wilhelm ließ sich nach diesem Krieg 1870/71 in Versailles zum deutschen Kaiser krönen, ein Ausdruck imperialer Großmannssucht. Eine gewollte Demütigung gegenüber dem unterlegenen Nachbarn. Auf  das Kriegsende folgt 1871  die Gründung des „Deutschen Reiches“ unter Führung Preußens und damit die Beendigung der vorherigen Kleinstaaterei. Diese hatte allerdings eine enorme kulturelle Vielfalt hervorgebracht, die bis heute nachwirkt. Die Verfassung von 1871 führte zwar ein Wahlrecht ein, jedoch ein Dreiklassenwahlrecht, das vor allem die Groß-Grundbesitzer privilegierte.

Industrialisierung

1832 verkehrte die erste Dampf getriebene Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth. Vorne weg lief ein Eisenbahner mit einer roten Fahne, um vor dem Herannahen des fauchenden Ungetüms zu warnen. Die Industrialisierung in Deutschland fand vorrangig im Ruhrgebiet mit seinen Vorkommen aus Kohle und damit der Stahlherstellung statt. Zur ersten schweren Wirtschaftskrise kam es als Gründerkrise Anfang der 1870er Jahre. Die erste politische Partei war die Sozialdemokratische Partei, gegründet 1863 in Leipzig als Arbeiterpartei in Reaktion auf frühkapitalistische Ausbeutung und Verarmung der Arbeiterschaft.  Reichskanzler Bismarck verhängte ein Verbot über die SPD. Gleichzeitig bekämpfte er sie jedoch mit ersten sozialpolitischen Gesetzen. Später verfolgten die Nationalsozialisten die Partei und viele ihrer Mitglieder erbarmungslos.

Die Urkatastrophen des 20. Jahrhunderts

a) 1918 bis 1932

Heute bezeichnen viele den ersten Weltkrieg  von 1914-1918 als die erste Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Das kaiserliche Deutschland unter Wilhelm II. trägt ein gerüttelt Maß an Mitschuld an diesem Krieg, zumindest daran, dass der Kaiser und seine Mitstreiter die Kämpfe nach den ersten erfolglosen Gefechten endlos und brutal weiter führen ließen. So setzte Deutschland z.B. als erstes Land Giftgas ein.  Auslöser für den Krieg war das tödliche Attentat von Sarajewo auf den österreichischen Thronfolger gewesen, ein zunächst nur lokaler Konflikt zwischen Österreich und Serbien. Doch auf Grund eines Netzwerkes gegenseitiger Beistandsverpflichtungen eskalierte der Konflikt „schlafwandlerisch“ (wie Christopher Clark meint) und wurde zu einem Weltkrieg.

Beteiligte am Krieg

Auf der einen Seite standen das kaiserliche Deutschland an der Seite von  Österreich-Ungarn sowie die osmanische Türkei und Bulgarien und Italien.

Auf der anderen Seite kämpften Frankreich, das mit Russland verbündet war, sowie Großbritannien und schließlich die USA. Später wechselte z.B. Italien die Fronten, denn die Entente-Mächte versprachen ihm Gebiete aus dem Kaiserreich Österreich. Der Krieg fand vorrangig auf französischem und auf russischem Boden als Stellungskrieg statt. Die riesigen Friedhöfe der Gefallenen z. B. in Belgien und in Verdun, das in Frankreich liegt,  lassen Besucher noch heute erschrecken. Sie mahnen.

Der Versailler Vertrag besiegelte die deutsche Niederlage und gab Elsass-Lothringen erneut an Frankreich. Der Vertrag erlegte Deutschland weitere Gebietsverluste und große Reparationszahlungen auf. Auch die anderen, auf Seiten Deutschlands beteiligten Länder erfuhren maximale Gebietsverluste

Die Dolchstoßlegende

In den Folgejahren dienten die Gebietsverluste den Nationalsozialisten als Vorwand, das „Diktat von Versailles“ abzulehnen und Revanche zu fordern. Die deutsche Generalität hatte, als sie den Verlust des Krieges realisierte, die Mähr verbreitet: „Im Felde unbesiegt!“  Aufgrund der Kriegsschauplätze außerhalb Deutschlands fiel diese Mär, die sog. Dolchstoßlegende in Deutschland auf äußerst fruchtbaren Boden. Außerdem hatten die besiegten Generäle   es wohlweislich der sozialdemokratischen Regierung nach der Revolution von 1918 „überlassen“,  den Versailler Vertrag zu unterschreiben. Wilhelm II., der Kaiser, hatte sich überdies rechtzeitig ins holländische Asyl begeben. Der Versailler Vertrag und die nationalistisch-revanchistische Propaganda in seinem Gefolge legten die Saat für den 2. Weltkrieg 1939-1945.

Die Zwischenkriegszeit

Die Weimarer Verfassung baute auf der von 1871 auf, schrieb aber das allgemeine Wahlrecht, d.h. auch das für Frauen zum Berliner Reichstag fest. Ansonsten hatten die Grundrechte nur deklamatorische Bedeutung, d. h. sie konnten nicht vor Gericht durchgesetzt werden. Die politisch instabilen Verhältnisse zwischen 1918 und 1933 begünstigten den Aufstieg der Nationalsozialisten. Es gab Straßenschlachten, nicht nur von Seiten der SA, sondern auch zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten. Und die Hungersnöte zu Beginn der 20er Jahre taten ein Übriges. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 führte zu einer bis dahin unbekannt hohen Arbeitslosigkeit. Die Regierung Brüning setzte als Antwort fälschlicherweise auf eine Sparpolitik und verschärfte  die Krise dadurch zusätzlich.

b) 1933-1945

1933 kamen die Nationalsozialsten unter Hitler – formal gesehen – legal an die Macht. Tatsächlich aber hatte die marode Stahlindustrie Hitler die Macht „erteilt“. Denn sie setzte darauf, über Rüstungsaufträge Profite machen zu können. Dies geschah entgegen den Wünschen der exportorientierten Wirtschaft, die Frieden bevorzugte. Die barbarische Schreckensherrschaft der deutschen Faschisten führte nicht nur zum Verbot der Gewerkschaften, sowie der demokratischen Parteien. Sondern in den 12 Jahren ihrer Herrschaft kam es zu einem in der menschlichen Geschichte einmaligen, systematisch am Schreibtisch geplanten und industriell betriebenen Genozid. Dieser begann zunächst als Judenentrechtung und zunehmend als Verfolgung in Deutschland. Er endete in der  Vernichtung der sowohl  in West- wie auch in Osteuropa lebenden jüdischen Bevölkerung in allen ab 1939 von Deutschland besetzten Staaten  [es sei denn es gab Rettungsbemühungen wie z.B. in Dänemark] (vgl. hier).

Der zweite Weltkrieg

Das faschistische Deutschland „vereinnahmte“ im März 1938 Österreich und marschierte im März 1939 in Böhmen und Mähren ein. Und das obwohl der britische Premier Chamberlain gerade erst im Herbst 1938 Hitler die „Übernahme“ des Sudetenlandes zugestanden hatte. Schon ein halbes Jahr nach der Annexion der tschechischen Gebiete, am 1. September  1939 begann Hitler den 2. Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen. So entwickelte sich die zweite Urkatastrophe im 20. Jahrhundert.  Am 19. Mai 1940 folgte der Überfall auf Frankreich nach dem „Durchmarsch“ durch Belgien. Auch Großbritannien griff Hitler mit Bomben an. Die Besetzung der Niederlande, Dänemarks und Norwegens, aber auch Griechenlands folgten.  Zunächst kämpfte das faschistische Italien an der Seite Deutschland. Wofür eigentlich?

Ziel: Die Weltherrschaft für das Großdeutsche Reich

Hitler kämpfte für die Vorherrschaft des Deutschen Reiches in ganz Europa bis zum Ural. Das umschloss einerseits die wirtschaftliche Ausbeutung. Andererseits war Ziel, die schon lange vorher geplante massenhafte Vernichtung der „östlichen Untermenschen“ zum Wohle der „überlegenen arischen Herrenmenschen“. Hitler kämpfte wohl auch für eine Weltherrschaft unter faschistischer Kontrolle. 1941, am 22. Juni folgte in Polen auch der Angriff auf die Sowjetunion (SU). Diese neuerliche Ausweitung des Krieges geschah auf dem Gebiet, das die SU aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes von Hitler „zugesprochen“ bekommen hatte und das die SU besetzt hielt. Dennoch rechtfertigten die Nazis ihren Angriff als Präventivkrieg.

Blutgetränkte Erde

In den Staaten in  Osteuropa gab es nach der Besatzung durch Nazi-Deutschland keine eigenen Regierungen mehr. Das Ziel und auch das Ergebnis war: Die Nationalsozialisten konnten in diesen Ländern ohne jede Kontrolle wüten.  (Timothy Snyder, Bloodlands) Schon kurz nach Beginn des Angriffs auf Polen gab es Massenerschießungen – auch von Polen. Die neuen NS-Behörden errichteten mehrere große Konzentrationslager – in der Regel zum Zweck der massenhaften Vernichtung.

Nach dem Angriff auf die in Polen stationierten Sowjet-Soldaten begann auch  die systematische, penibel geplante Vernichtung aller in den Gebieten wohnenden oder aus ganz Europa dorthin deportierten Juden. Der Mord geschah zunächst durch Fahrten in Lastwagen, in die die Abgase der Fahrt geleitet wurden oder aber durch Erschießungen – allein in der Schlucht von Babyn Jar in der Ukraine erschoss die SS innerhalb weniger Tage 30 000 jüdische Menschen.

Gaskammern schon zuvor in Deutschland

Aber bereits ab Herbst 1941 wurden Gaskammern u. a. in Ausschwitz und Belzec, ab 1942 in Treblinka, Sobibor, und wohl auch in Majdanek errichtet. Vorher hatte man die Ermordung durch Gas bereits in Deutschland an Menschen erprobt, die in Nervenheilanstalten lebten. Später kamen weitere Vernichtungslager in den eroberten Gebieten dazu, wie z.B. Maly Trostinez bei Minsk. So wurden 6 Millionen Juden und andere Menschen systematisch ermordet. Das waren die Menschen, die die NS-Bürokraten aufgrund der Nürnberger Gesetze von 1936 als Juden abstempelten und auch Sinti und Roma, Homosexuelle und politische Gegner. Sogar als behindert geltende Menschen aus den besetzten Gebieten deportierten und ermordeten die Nazis.

Die Rolle der Wehrmacht

An den Verbrechen war auch die deutsche Wehrmacht beteiligt, nicht nur die Einsatzgruppen von SS und SD. Auch viele normale Polizeigruppen, die in den „Osten“ abkommandiert wurden, machten -meist ohne Widerstand- mit! Allerdings kam der einzige – nach Beginn des Krieges noch mögliche – Widerstand gegen die NS-Herrschaft ebenfalls aus dem Militär. Am 20. Juli 1944 scheiterte das letzte von mehreren Attentatsversuchen zur Tötung Hitlers. Es blieb ein Fanal des militärischen Widerstandes, der Teil verschiedener Widerstandsgruppen war.

Mit maßgeblicher Hilfe der USA, die in der Normandie am D-day im Juni 1944 landete, konnten die Alliierten  Hitler-Deutschland nach weiteren verlustreichen Kämpfen besiegen.  Die Sieger teilten das Deutsche Reich in vier Besatzungszonen auf: zwischen den USA unter Franklin Delano Roosevelt, der Sowjetunion unter Stalin, Großbritannien unter Winston Churchill bzw. C. Attlee und Frankreich unter Charles De Gaulle.

Befreiung und Wiederaufbau

Der 8. Mai 1945 ist der Tag der bedingungslosen Kapitulation. Hitler hatte sich ein paar Tage zuvor  durch einen von seinem engsten Getreuen ausgeführten „Selbstmord“ jeder Verantwortung entzogen, nachdem er versucht hatte, möglichst viel von Deutschland mit in den Untergang zu reißen.

Der 8. Mai ist als Tag der Befreiung von der NS- und Hitler-Diktatur über weite Teile Europas anzusehen. Bundespräsident Steinmeier sagte anlässlich der 75. Wiederkehr dieses Datums 2020: „Es gibt keine Erlösung von unserer Geschichte. Man kann dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben“. Diese  Feststellung darf aber nicht als resignativ missverstanden werden. Sie ist als eine immerwährende Aufforderung zur Aufarbeitung zu verstehen, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Ebenso ist sie als Aufruf zur Völkerverständigung und zur Lösung von Konflikten mit friedlichen Mitteln gemeint, sowie als Mahnung gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus. Sie soll auch auffordern, für die Achtung der Menschenrechte einzutreten.

Reparationen

Durch die großzügige Marschall-Plan-Hilfe aus den USA  konnte Deutschland, natürlich auch mit Hilfe eigener Anstrengungen, die Wirtschaft sehr schnell wieder aufbauen. Im Gegensatz zur DDR mussten von Westdeutschland kaum Reparationen geleistet werden. Das war nur für Russland durch den Abbau einiger Industrieanlagen im Westen Deutschlands der Fall. Leider konnten die osteuropäischen Staaten das Angebot aus den USA nicht annehmen. Es wurde ihnen von Russland verboten. Die Form der Solidarität der USA, eines früheren „Feindes“ trug ganz wesentlich zu der schnellen Erholung West-Europas nach dem Krieg bei. Sie sollte nicht vergessen werden, gerade auch bei den Diskussionen über den EU Wiederaufbau-Fonds nach der Corona Krise.

Der westliche Teil Deutschlands

Die Bundesrepublik lebte nach westlichem demokratischen Vorbild. Das Grundgesetz von 1949 ist die freiheitlichste Verfassung, die Deutschland je hatte. Alle Grundrechte sind individuell einklagbar und in ihren Wesensbestandteilen unveränderbar. Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. CDU und CSU, Neugründungen nach 1945, ermöglichten sowohl katholischen als auch evangelischen Christen die Mitgliedschaft. Sie überwanden so den Kulturkampf früherer Jahrzehnte. Der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer von der CDU organisierte die Westbindung und den Eintritt in die Nato. Bundeskanzler Willy Brandt von der SPD ebnete dann durch seine Ostpolitik – „Wandel durch Annäherung“ – mit den Weg  zur Wiedervereinigung von 1989/90 und letztlich auch zum Zusammenbruch der Sowjetunion.

Die Bedeutung der Studentenrevolution

Ein Einschnitt in der bundesrepublikanischen Geschichte war die sog. Studentenrevolution von 1968 parallel zu der in Frankreich. Sie wandte sich gegen „den Muff von 1000 Jahren unter den Talaren“ der Professoren in den Universitäten und besonders  gegen die Verdrängung der Geschichte durch die „Väter“. Danach wurde das kulturelle Klima in der Bundesrepublik ein anderes. Damit begann auch die Aufarbeitung der Vergangenheit und konnte sich gegen immer erneute Versuche der ewig Gestrigen und ihres Mantras: „damit muss  endlich Schluss sein“ behaupten. Dazu trug u.a. Bundespräsident Roman Herzog bei, als er forderte, den Tag der Befreiung von Auschwitz, den 27.1.1945 zum Holocaust-Gedenktag in Deutschland zu machen. Während die Aufarbeitung bis dahin vor allem von eher „links“ zu verorteten Menschen getragen wurde, nahm nun auch die CDU, die Herzog nominiert hatte, den Auftrag an. Seitdem wurden z.B. auch Schulen und andere Jugendorganisationen in die Gestaltung dieses Tages einbezogen.

Abriegelung der sog. DDR

Durch den Bau der Berliner Mauer 1961 wurde Deutschland in zwei Teile getrennt. Im Osten wurde die sog. DDR unter kommunistischer Diktatur wie in der Sowjetunion hinter den eisernen Vorhang verbannt. Die DDR war in den Warschauer Pakt integriert mit 400 000 Soldaten auf 17 Millionen Einwohner. Außerdem baute die DDR ein umfassendes Spitzelsystem auf, die Stasi, das bis in die einzelnen Familien hinein reichte. Sie war ein perfides Unrechtssystem.

Die Wiedervereinigung

Bundeskanzler Helmut Kohl von der CDU organisierte die Wiedervereinigung, den politischen Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik – ein sensationeller Erfolg. Ein Preis dafür war der endgültige Verzicht auf die deutschen Ostgebiete, insbesondere Vorpommern, Ostpreußen und Schlesien. Die wirtschaftliche Vereinigung ist dagegen sehr kritisch zu sehen. Es ist bis heute nicht nachvollziehbar, wie die Treuhandgesellschaft zur Abwicklung und Privatisierung der staatlichen Betriebe der ehemaligen DDR am Ende Schulden in Höhe von 200 Milliarden DM angehäuft hatte. Die Abwicklung hinterließ nicht nur  viele Industriebrachen, sondern Millionen Arbeitslose und häufig perspektivlose Menschen bis zur Hälfte des ersten Jahrzehnts nach 2000.

Der Mauerfall

Der Fall der Berliner Mauer wurde von den Menschen der DDR in einer mutigen, aber friedlichen Revolution -den Montagsdemonstrationen- erkämpft und von Michail S. Gorbatschow zugelassen.

2. Grunddaten

Das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937, also zur Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus, umfasste 47o.000 Quadratkilometer, die „alte“ Bundesrepublik hatte 249.000 Quadratkilometer und die ehemalige kommunistische DDR 108.000. Die wieder vereinigte Bundesrepublik hat also gegenüber 1937 nach einem verbrecherischen Krieg ein Gebiet von minus 113.000 Quadratkilometer an Polen „verloren“, und zu einem kleinen Teil an Russland (Nordost-Ostpreußen). Sie hat heute mit über 80 Mill. Einwohnern also ca. 357.000 km².(alle Zahlen gerundet)

1871 betrug die Bevölkerungszahl  41 Millionen. 1937, als die Propaganda den Krieg vorbereitete mit dem Slogan  „Volk ohne Raum“ waren es 67,7 Mill.

Ein ständiger Strom von Einwanderern

2020 hat Deutschland 83 Mill. Menschen. Offiziell behauptet die Bundesregierung noch immer (bis 2021), Deutschland sei kein Einwanderungsland. Aber 2019 hatten 21,2 Millionen in Deutschland lebende Personen einen Migrationshintergrund, das sind 26%. Davon hatten 52 % die deutsche Staatsangehörigkeit, also mehr als 10 Millionen. Migrationshintergrund bedeutet, dass die Person selbst oder zumindest ein Elternteil aus dem Ausland nach Deutschland eingewandert ist (Wikipedia). Die „alte“ Bundesrepublik, also Westdeutschland hat zunächst ab 1945 ca. 12 Millionen Flüchtlinge aus dem Osten aufgenommen und integriert.

Die sog. Gastarbeiter

Dann kamen die sog. Gastarbeiter aus Italien und Spanien und Portugal, aus Griechenland und der Türkei. Sie kamen Ende der 50er und in den 60er Jahren zu den Zeiten des „deutschen Wirtschaftswunders“, den Boom-Jahren. Die Bezeichnung Gastarbeiter sollte deutlich machen, dass sie nach getaner Arbeit doch bitteschön in ihr Heimatland zurückkehren „mögen“. Doch viele blieben. Außerdem kamen Ende der 50er Jahre bis zum Mauerbau am 13.8.1961  viele Flüchtlinge aus der „DDR“ hinzu. Auch nach der Wiedervereinigung wanderten viele Ostdeutsche auf der Suche nach Arbeit nach Westdeutschland. Angefangen mit den neunziger Jahren flohen Viele aus den ehemals jugoslawischen Kriegsgebieten zu uns und 2015ff kamen ungefähr eine Million Flüchtlinge, zuerst aus Ägypten und dann aus Syrien und Afghanistan, aus dem Irak, aus Eritrea und weiteren afrikanischen Staaten.

Wirtschaftliche Situation

Die Wirtschaft ist durch einen sehr hohen Industrialisierungsgrad gekennzeichnet.  Zunächst waren es die Werke zur Stahlproduktion, die auf der Kohleförderung im Ruhrgebiet aufbauten.  Inzwischen verlagerte sich der Schwerpunkt auf die Pharmaindustrie, die Nachfolgeunternehmen der IG Farben, sowie auf den Maschinenbau. Außerdem ist die Automobilproduktion bei VW, Daimler und BMW sehr stark. Bis zum Ende der neunziger Jahre gab es eine enge Zusammenarbeit in der sog. „Deutschland AG“. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs (schon zur NS-Zeit tätig) hatte bis zu 30 Aufsichtsratsmandate in anderen Aktiengesellschaften inne, davon 20 als Vorsitzender. Deren „Bosse“ saßen wiederum im Aufsichtsrat der Deutschen Bank oder anderer Banken. Zur Zeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde diese „Deutschland AG“ zwar entflochten u. a. durch Begrenzung der Zahl der Aufsichtsratsmandate bei einer Person. Dabei ging es auch darum, die Unternehmen stärker der Konkurrenz auf dem Weltmarkt auszusetzen. Schröder und auch Angela Merkel waren aber immer „Autokanzler“. Sie schützten und hofierten diese Branche besonders.  Deutschland kennt als einziges Land in Europa kein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Und der Ausbau der Autobahnen hatte immer Vorrang vor der Schiene.

Psycho-soziale Faktoren

Die deutsche Nachkriegs-Wirtschaft entwickelte sich sehr schnell zum Exportweltmeister. Es wurde fast immer viel mehr exportiert als importiert. Die Folge sind Devisenüberschüsse, die als Goldbarren in den Tresoren der Bundesbank lagern – 1.710 von insgesamt weltweit 3.378 Tonnen! Die enorme Wirtschaftskraft hat mehrere Gründe: Viele Menschen wollten nach den Gräueltaten der NS-Zeit alles „vergessen“ und flüchteten sich in die Arbeit. Der Fleiß und die Sparsamkeit  in Deutschland kommen in dem Spruch aus Baden-Württemberg – das sind die, die alles können außer Hochdeutsch – zum Ausdruck: „Schaffe, schaffe, Häusle baue, Hund verkaufe, selber belle!“. Die Währungsreform von 1948 ließ Jeden mit 40,- DM und später noch einmal 20,- DM neu starten – freilich die alten Vermögen blieben erhalten. Sie wurden nur umgerechnet. Der Umrechnungskurs der DM z. B. zum US Dollar begünstigte den Export. Der Marshallplan der USA war eine großartige Starthilfe nach dem Krieg, eine Hilfe zur Selbsthilfe.

Soziale Situation

Hinzu kommt ein sehr wesentlicher Faktor. Nach dem 2. Weltkrieg gibt es nur noch Einheitsgewerkschaften. Das bedeutet, es gibt Industriegewerkschaften wie die IG Metall und nicht kommunistische oder sozialdemokratische oder christliche Gewerkschaften. Die deutschen Gewerkschaften verstanden und verstehen sich, als – wenn auch kritische – Partner der Unternehmen. Sie wollen mitbestimmen und nicht wie z.B. in Frankreich eine Gegenmacht sein. Die betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung hat sich bewährt. Sie hat mit dazu beigetragen, dass es in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in Europa relativ wenige Streiks gibt.

Die Wachstumsraten des realen BIP lagen in Deutschland 2009 aufgrund der Finanzkrise bei minus 5,7%. Während der Corona Krise 2020 liegen sie weit niedriger als geschätzt, bei  minus 4,6% (statista, August 2021). In allen anderen Jahren waren sie positiv, im Schnitt bei jeweils 1,5% plus im Vergleich zum Vorjahr. Das BIP pro Kopf beträgt 41 510,- Euro pro Jahr. Unter Berücksichtigung der Umbrüche durch die Wiedervereinigung ein respektabler Spitzenplatz innerhalb der EU! Der EU-Durchschnitt beträgt 31 110,- Euro.

Arbeitende Bevölkerung

Im Juni 2020 gab es saisonbereinigt 44,5 Millionen Beschäftigte, was einer sehr hohen Erwerbstätigen Quote von 75,9% entspricht – prozentualer Anteil der Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren, die einen Beruf ausübten. 33,7 Millionen davon waren sozialversicherungspflichtig, d.h. sie mussten Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung, zur Arbeitslosenversicherung und zur Rentenversicherung abführen. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes gab es 3,95 Millionen Selbständige, davon 2,65 männlich und 1,3 Millionen weiblich. Es gab 2,5 Millionen Beamte. Die Zahl der Angestellten lag 1991 bei 14,58 Millionen und nahm bis 2019 auf 26,46 Millionen zu. Die Entwicklung bei den Arbeitern läuft genau umgekehrt: Waren es 1991 noch 14,56 Millionen, so lag die Zahl 2019 deutlich niedriger bei 8,26 Millionen.

Wertung

Es gibt wohl kein Land in der EU, das mehr vom Gemeinsamen Markt profitiert als Deutschland. Insofern ist es mehr als gerechtfertigt, dass Deutschland der größte Nettozahler zum EU Haushalt ist. Im Februar 2020 also vor der Corona Pandemie lag die Arbeitslosenquote bei niedrigen 3,2%.

3. Entwicklungstendenzen

1994 zählte der Deutsche Gewerkschaftsbund 9,8 Millionen Mitglieder, 2019 waren es nur noch 5,9 Millionen. Hierin kommt auch der Wandel zu den Angestelltentätigkeiten im Dienstleistungssektor zum Ausdruck. Deutschland hat aber nicht wie Großbritannien alles auf die Karte Dienstleistungssektor, besonders bei den Finanzdienstleistungen gesetzt,  sondern an gewichtiger Industrie festgehalten.

Aber obwohl der Computer auch von Konrad Zuse in Deutschland erfunden wurde, kommen alle Innovationen im Bereich der Informationstechnologien aus dem Silicon Valley in den USA. In Bezug auf die digitale Infrastruktur hinkt Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern wie u.a. Süd Korea oder Estland massiv hinterher. Mit Ausnahme von SAP  war der einzige Tech Konzern in Deutschland  Wirecard. Dieser ist 2020 wegen veruntreuter Milliarden Euro und einer mangelnden Aufsicht untergegangen.  In Bezug auf Hochgeschwindigkeitszüge ist die von Siemens entwickelte Technik kaum konkurrenzfähig. Die in Deutschland erfundene, zukunftsweisende Technik der Magnet-Schwebebahn ist in Deutschland nicht zur Anwendung gekommen. Die einst stolze Deutsche Bank ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst – nach der Verwicklung in riskante Geschäfte im Zuge der weltweiten Finanzkrise 2008/9 und in viele Skandale wie Geldwäsche, s.u..

Besondere Vertrauensverluste

Und nun auch noch „die Vorzeige-Branche“, die Automobilindustrie. Sie ist seit mehreren Jahren – offenbar auf Grund (verbotener) gemeinsamer Absprachen – in den Dieselskandal verwickelt. Noch schlimmer:  dies wird „gedeckt“ durch das Kraftfahrtbundesamt. VW hat auf höchster Stelle zugegeben, VW habe mit den Abgasmanipulationen die Verbraucher systematisch betrogen und belogen. Am 18.8.2020 wird gemeldet:  Daimler habe sich in Vergleichsverhandlungen in den USA sowohl mit Behörden als auch mit Klägern in Verbrauchersammelklagen auf die Zahlung von 2,2 Milliarden US Dollar geeinigt. Dies ist ein klares Indiz für, die ebenfalls systematische und bewusste Manipulation der Abgaswerte durch Daimler. Was ist aus der bisher weltweit anerkannten Marke „Made in Germany“ geworden, wenn selbst die „besten“ Ingenieure angewiesen werden, zu betrügen? Die EU Kommission hat inzwischen gegen ein Kartell der Automobilhersteller hohe Geldstrafen verhängt! (vgl. dazu europaedia, hier:  Kartellpolitik, Punkt 3)

Langfristige gesellschaftliche Auswirkungen

Der Vertrauensverlust zwischen Automobilkäufern und  Anbietern betrifft nicht nur ihr „Innenverhältnis“, sondern strahlt auf die Gesellschaft insgesamt aus: Wenn die da oben so „bescheißen“, dann werde ich auch immer egoistischer, fahre die Ellbogen aus und lasse mir nichts mehr gefallen! Schlimmer noch – auch das Vertrauen in den Staat schwindet so.

Hinzu kommt jetzt der große Nachteil, der die wirtschaftliche Situation sowie die klimapolitische enorm erschwert. Die gesamte Branche der Automobilindustrie hat – aufgrund der jahrelangen „Protektion“  durch die Politik auf Bundes- als auch auf Landesebene- notwendige Innovationen verschlafen. Sei es das elektrisch angetriebene Automobil:  der Radius der Batterien ist immer noch sehr begrenzt. Die Ladestationen, falls vorhanden, sind sie nicht kompatibel etc. Die Wasserstofftechnologie als Antriebsart:  deren Entwicklung steckt noch in sehr kleinen Kinderschuhen.

Unbedingte Notwendigkeiten

Ein Land ohne nennenswerte Rohstoffe muss Innovationen vorantreiben, will es den Lebensstandard der Bürger*innen erhalten und nun auch noch den Klimaschutz vorantreiben. Entweder es gibt eine vorausschauende Hochschul- und Forschungsförderungspolitik oder es muss – wenn es zu spät ist – nur noch sehr teure Krisenpolitik betrieben werden.

Noch sind es die vielen, vielen mittelständischen Unternehmen in Deutschland, die die Wirtschaftsleistung und den Export aufrecht erhalten.

Behäbigkeit und Verschlafenheit

Deutschland hinkt auch in Bezug auf die Digitalisierung, insbesondere der Schulen im Vergleich zu anderen Ländern sehr stark hinterher. Schon in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat der Autor als Vorsitzender des Vereins „Schulen ans Netz“ in NRW zusammen mit anderen dafür gesorgt, dass Schulen mit Computern, ausrangierte und dann aufgearbeitete, kostenlos versehen wurden. Jetzt, fast 30 Jahre später wird aufgrund der Corona-Krise diskutiert, wie denn nun endlich die Schulen flächendeckend ausgestattet werden können.

In Deutschland dauern Großprojekte aus den verschiedensten Gründen immer länger. Der Berliner Flughafenbau ist eine endlose Geschichte mit der üblichen Kostenexplosion geworden. Über Stuttgart 21 lässt sich Ähnliches sagen. Während die Schweiz ihre Tunnelprojekte für die schnelle Eisenbahnverbindung von Rotterdam bis Genua bereits fertiggestellt hat, braucht der viergleisige Ausbau auf deutscher Seite noch bis 2035, wenn denn die Planungen einzuhalten sind…

Skandale

Geldwäsche

„Deutschland ist ein Geldwäsche-Paradies“ titelte die Wochenzeitung DIE ZEIT im Wirtschaftsteil am 14.11.2019. Die EU hatte die 5. Geldwäsche Richtlinie herausgegeben. Deutschlands darauf hin novelliertes Geldwäsche-Gesetz sieht verschärfte Meldevorschriften für Notare, Immobilienmakler, Goldhändler, Auktionshäuser und Kunsthändler vor. Doch es ist nach wie vor problemlos möglich, eine große Immobilie mit Bargeld zu bezahlen! „Steuerschulden dürfen nicht bar bezahlt werden, einen Millionenvilla schon“ heißt es in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 27.10.2019. Eine Studie schätzt: in Deutschland werden  im Jahr 100 Milliarden Euro  aus Mafiageschäften, Drogen- oder illegalen Waffenverkäufen, Menschenhandel etc. gewaschen, meist durch Barzahlungen. „Bargeld gibt Freiheit, es gibt keine Spuren“ heißt eine Überschrift in dem Zeit-Artikel. Selbst wenn ein Notar  ausnahmsweise  seinen Verdacht melden sollte, kann es Monate dauern bis die Anzeige bearbeitet wird. Im September 2019  lagen bei der deutschen Financial Intelligence Unit (FIU)  48.229 nicht bearbeitete Meldungen. Allerdings ist die FIU durch Bundesfinanzminister Schäuble nur dem Zollamt unterstellt worden anstatt dem Bundeskriminalamt (BKA). Warum denn wohl? Was ist das für ein Rechtsstaat?

Betrügereien

Ein weiterer Skandal ist das Mautdebakel. Verkehrsminister Scheuer unterschrieb die Verträge mit den zukünftigen Mautbetreibern für Kraftwagen auf deutschen Autobahnen, bevor der EUGH entschied. Und der entschied negativ. So muss der deutsche Steuerzahler wahrscheinlich mehr als 500 Millionen Euro an Entschädigungen an die Mautbetreiber zahlen. Der Minister von der CSU blieb weiter im Amt. Außerdem ist die langjährige staatliche Duldung der sog. Cum Ex bzw. Cum Cum Geschäfte zu nennen. Finanzdienstleister ließen sich für erworbene Wertpapiere, die weiter veräußert wurden, die  Kapitalertragssteuer zweimal von den Finanzämtern erstatten. Nur eine Erstattung wäre gerechtfertigt gewesen. Derartige illegale Geschäfte lösen nicht nur Kopfschütteln aus sondern auch Wut. Auch hier erodiert das Vertrauen in den Rechtsstaat! Aber die Politik wundert sich über das Aufkommen der AFD.

Die Schattenwirtschaft in Deutschland wird für das Jahr 2003 auf 16,7% des BIP geschätzt. Von da ab sei sie rückläufig und soll  2020 bei 9,1% liegen (statista unter Berufung auf einen in diesem Gebiet besonders ausgewiesenen Experten).

Abhängigkeiten

Die Kanzlerin hat sich persönlich für die Fertigstellung der Gas Pipeline North Stream 2 von Russland nach Deutschland eingesetzt. Die Pipeline umgeht die baltischen Staaten und Polen und stellt eine Alternative zu Gaslieferungen durch die Ukraine dar.  Außerdem gerät Deutschland durch die 2. Gasleitung in weitere energiepolitische Abhängigkeit von Russland. Viele EU-Länder sind aus all diesen Gründen gegen das Projekt. Durch die Unterstützung hat die deutsche Kanzlerin nicht gerade EU- und nachbarschaftsfreundlich gehandelt. Auch die USA sehen das Projekt unter geopolitischen Gesichtspunkten kritisch, haben aber unter dem neuen Präsidenten Biden einen Kompromiss mit Deutschland gefunden. Zur Sicherung der Energieversorgung Deutschlands ist das Projekt nach Meinung Vieler nicht notwendig. Es ist ein Projekt, das die Herrschaft von Putin und den Oligarchen, die ihn umgeben, sichern hilft. Überdies unterstützt es Putin darin, den Spaltpilz in Europa zu  fördern.

Angriffe gegen Deutschland

Am 9.3.2021 veröffentlicht eine von der EU eingesetzte Task Force auf EUvsDisINFO (vgl. dazu Europaedia: Instrumente, dort Öffentlichkeitsarbeit) einen Bericht über die Jahre 2015 bis 2020. Sie weist darin nach: Deutschland ist in Europa das besondere Ziel russischer Desinformationskampagnen. Zu Spanien haben die Mitarbeiter 40 Fälle gemeldet und Frankreich betreffend 300.  Zu Deutschland dagegen sind es 700 Fälle. Während sich die russische Seite immer als gesprächsbereit darstellt, wird der deutschen Seite – in den russischen Medien – immer wieder Feindlichkeit gegenüber Russland vorgeworfen, sowie das Schüren Russland-feindlicher Verhaltensweisen. Auch wird Deutschland als der Treiber von antirussischen Sanktionen in Europa dargestellt. Die Drohung des russischen Außenministers Lawrow vom 12.2.2021 – an die EU gerichtet – „Wer  Frieden will, muss sich auf  Krieg vorbereiten“ , passt gut in diese Desinformationskampagne hinein. Den Satz verwendete er in einer Botschaft, in der er der EU mit einem möglichen Abbruch der Beziehungen droht, um gleich zu betonen, Russland selbst wolle das allerdings nicht.

Auch aus solchen über Jahre gesammelten Informationen der EU sollte Deutschland seine Haltung Russland gegenüber überdenken.

Eine Vergangenheit, die sich immer wieder bemerkbar macht

Trotz umfangreicher Bemühungen um die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit und dem Versuch, daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen, gab es 2019 rund 2000 antisemitische Straftaten gegen Juden und jüdische Einrichtungen. Besonders aufhorchen ließ der Mordanschlag gegen die Synagoge in Halle und zufällige andere Opfer. Schulen, die von jüdischen Kindern besucht werden, müssen ständig bewacht werden. Die Lernfähigkeit von Gesellschaften scheint doch sehr begrenzt zu sein. Ich weiß sehr wohl, was es bedeutet, „dass ich so traurig bin…..“

Lichtblicke

Der Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International betrug 2019 für Deutschland 80. Deutschland gehört damit zu den Top 10 Staaten- relativ wenig Korruption-, angeführt von Dänemark mit 87. Schlusslicht ist Somalia auf Platz 9. Bemängelt wird,  die Finanzierung der politischen Parteien sei in Deutschland nicht transparent genug.

Stabilität

Deutschland – zunächst Westdeutschland – gehört zu den Gründungsmitgliedern von Euratom und der Gemeinschaft von Kohle und Stahl. Deutschland gehört zur Euro Zone und zum Schengen Raum. Die deutsche Wirtschaft ist bisher noch in Europa führend. Die Bundesregierung hat bis zum Beginn der Corona Pandemie eisern an dem jeweiligen Haushaltsausgleich mit einer „schwarzen Null“ festgehalten. Bis dahin war es auch gelungen, die Staatsverschuldung gemäß dem Maastricht Vertrag unter die Grenze von 60%  zu senken. Die Bundesregierungen waren bisher sehr stabil. Mit der Bundestagswahl 2021 ist Bundeskanzlerin Angela Merkel 16 Jahre im Amt. Sie hat den Ausstieg aus der Atomkraft bis 2022 forciert.  Auch den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 hat sie moderiert. Das ist zwar äußerst spät, aber zumindest ein Einstieg, der vorher undenkbar erschien.

Corona

Jetzt, wo die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sichtbar werden, hat die Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen wegweisenden Vorschlag entwickelt. Ein Wiederaufbaufonds der EU – kreditfinanziert – wird aufgelegt für die am stärksten von der Pandemie betroffenen Länder. Diese Gelder sollten zunächst ganz als Zuschüsse verteilt werden – endlich ein Akt von großzügiger Solidarität. Zwar hat er nicht die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten erhalten. Die sog. „sparsamen Vier“ bestanden darauf, zumindest einen Teil nur als Kredite zu vergeben. Aber der Fonds wird hoffentlich über den Tag hinaus positive Effekte erzielen.

Rechtliche Defizite

Der 1. Rechtsstaatsbericht der EU 2020 kritisiert mit Recht, dass in Deutschland die Staatsanwälte formal dem Weisungsrecht des jeweiligen Justizministers unterliegen.

Der 2. Rechtsstaatsbericht der EU vom Juli 2021 moniert den Auswahlprozess für oberste Richter in Deutschland. (DW Made for minds, 20.7.21)

Aber seit Mitte Juli liegt auch ein Rechtsstaatsverfahren gegen Deutschland vor wegen des arroganten  EZB-Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, eine sehr brisante Angelegenheit für Deutschland, aber auch für Europa. (Die Zeit, 29.7.2021) (s. dazu hier unter Institutionen, D. EU Parlament, dort Ergänzung)

Gesellschaftlicher Wandel

Die Kirchen

1990 verzeichnete die katholische Kirche in Gesamt-Deutschland 28,5 Millionen Mitglieder, was 35,4% der Bevölkerung entsprach. 2019 sind es noch 22,6 Millionen. Bei der evangelischen Kirche sieht die Entwicklung ähnlich aus: 1990 gab es 29,4 Millionen Mitglieder gleich 36,9%. 2019 waren es nur noch 20,71 Millionen (Statista). Dies bedeutet: nur noch etwas mehr als die Hälfte der Bundesbürger sind heute zu einer der christlichen Kirchen zugehörig. Während die Zahl der ev. Christen kontinuierlich schon ab 1965 gesunken ist, hat in der kath. Kirche die Aufdeckung der Missbrauchsfälle in den letzten Jahren sehr zu einem steilen Anstieg der Austritte beigetragen. Es gibt aber weitere Ursachen.

Die Parteien

Auch die früheren großen Volksparteien verzeichnen einen kontinuierlichen Mitgliederschwund. Hatte die SPD 1990 noch 943.000 Mitglieder, waren es 20 Jahre später am 31.12.2019 weniger als die Hälfte: 419.000. 1990 hatte die CDU 790.000 Mitglieder, Ende 2019 waren es 406.000, etwas mehr als die Hälfte. Dagegen hat sich die CSU im Verhältnis bisher ganz gut gehalten. Waren es 1990 186.000 Mitglieder, wurden Ende 2019 noch 139.000 gezählt. Die Linke hatte 1990 280.000 Mitglieder, 2019 waren sie auf weit weniger als ein Viertel 61.ooo geschrumpft. Und die FDP hatte 1990 noch 168.000 Mitglieder, 2019 waren es nur noch 65.000. Lediglich die Grünen, die 1990 nur 41.000 Mitglieder hatten, haben sich bis Ende 2019 auf 96.000 mehr als verdoppelt.

Insgesamt zeigen diese Zahlen – so wie auch die in Bezug auf die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften und in den christlichen Kirchen einen gesellschaftlichen Trend. Die Bindungskraft von Großorganisationen schwindet kontinuierlich. Der Hang zur Betonung des (hedonistischen?) Individualismus nimmt entsprechend zu.

Der HDI liegt 2018 bei 0,939. Damit liegt Deutschland auf dem 4. Platz der „glücklichsten“ Länder.

1024px-Weimar_Goethe-Schiller-Denkmal_2012_02, Andreas Praefcke, CCO.jpg

Die Dichterfürsten vor dem Weimarer Theater, Andreas Praefcke, CC O

Leben und Kultur

Die deutschen Staatsbürger sind „Weltmeister“ im Reisen. Trotz der grausamen Vergangenheit sind sie im Ausland beliebt, auch wenn sie oft als ziemlich humorlos gelten.

Johann Sebastian Bach ist auch mit seiner Kirchenmusik „urdeutsch“ und prägend für die späteren Komponisten. Nimmt man den deutschsprachigen Raum mit Österreich zusammen, sind Mozart und Beethoven die bekanntesten klassischen Musiker.

Die Melodie  von Beethovens 9. Symphonie – die Ode an die Freude – ist die Europa-Hymne.

In der klassischen Literatur sind wohl Goethe und Schiller, sowie Heinrich Heine und Thomas Mann weltbekannt. Auch die Philosophie ist zu erwähnen. In der „praktischen“ Philosophie muss Immanuel Kant aus Königsberg, heute Kaliningrad unter russischer Verwaltung, unbedingt genannt werden.

Im Ausland werden die Deutschen mit Sauerkraut und Bratwurst identifiziert. Das Oktoberfest ist synonym mit viel, viel Bierkonsum, während Rhein, Mosel und Ahr mit Wein in Verbindung gebracht werden.