Die Autorin ist Europaabgeordnete aus Baden-Württemberg. Sie ist Mitglied in den Ausschüssen für Verkehr und Tourismus, sowie Landwirtschaft und ländlicher Raum.

Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung

Anna DEPARNAY-GRUNENBERG  in Brussels, 2020 EU-EP  Javier BERNAL REVERT

  • Alt- und Primärwälder können bis zu viermal so viel Kohlenstoff speichern wie bewirtschaftete Wälder – sie machen jedoch nur 1,2% der gesamten EU-Landfläche aus
  • Die letzten Alt-und Primärwälder Europas befinden sich hauptsächlich in Osteuropa (v.a. in Rumänien, Polen, Tschechien) und in Skandinavien
  • Die EU kann und MUSS! diese Wälder durch KartierungenKompensationen und Überwachung sowie eine gute Einbindung der lokalen Bevölkerung besser schützen

Was ist das Besondere dieser Wälder?

Etwa 4,9 Millionen Hektar der EU-Wälder sind sogenannte „Primärwälder“ oder „alte Wälder“. Dabei handelt es sich um Wälder, die einer natürlichen Dynamik folgen. Sie existieren in ihrem ursprünglichen Zustand  und sind von menschlichen Eingriffen weitgehend verschont geblieben. Somit gibt es uralte Bäume, viel Totholz, wenig Unterholz und eine immense Artenvielfalt, darunter viele Arten, die nirgendwo sonst vorkommen. Aufgrund der säulenartigen Bäume und des teppichartigen Unterholzes werden sie oft als kathedralartig beschrieben. Sie sind das natürliche biologische Erbe Europas, so wie die alten Tempel es für unsere Kultur sind.

Zu wenig und zu „zersplittert“

Zwar mögen knapp 5 Millionen Hektar viel erscheinen, doch machen diese wertvollen Wälder nur 3 % der gesamten bewaldeten Fläche der EU aus. Bezogen auf die gesamte EU-Landfläche sind es nur 1,2 %. Zudem sind diese Altwälder in Wirklichkeit zu selten, zu klein und zu „zersplittert“. Dabei ist ihr Schutz von entscheidender Bedeutung für die Erhaltung der biologischen Vielfalt und für den Kampf gegen die Klimakrise.

Primärwälder können als wahre Alleskönner zusammengefasst werden. Sie beheimaten eine größere biologische Vielfalt, liefern Süßwasser von besserer Qualität als Sekundärwälder, junge Wiederaufforstungswälder oder Plantagenwälder. Sie speichern zudem mehr Kohlenstoff.  Bewirtschaftete Wälder weisen pro Hektar 300 bis 600 Kubikmeter Holz vor (und speichern dementsprechend Kohlenstoff).  Im Vergleich dazu können Alt- und Primärwälder bis zu 1600 Kubikmeter Holz pro Hektar vorweisen. Damit  entspricht das einer viel höheren Kohlenstoffspeicherung.

Und sie sind im Schwinden begriffen

Dennoch werden die Alt- und Primärwälder Europas und der Welt jedes Jahr kleiner. Die wirtschaftlichen Interessen an den Wäldern oder das Fehlen an Wissen bezüglich Ihrer Wichtigkeit sind die zwei Hauptursachen für diesen Schwund

Welche Instrumente gibt es, um Alt- und Primärwälder zu schützen?

Zum Schutz unserer Alt-, Primär oder Urwälder sind mehrere grundlegende Schritte zu unternehmen, die bis heute ausgeblieben sind. 

Definitionen schaffen

Uns ist allen bekannt: wir können erst dann etwas schützen, wenn wir es begriffen und definiert haben. Für den Schutz und Erhalt von Alt- und Primäroder Urwäldern ist deshalb zunächst eine für Europa allgemeingültige Definition notwendigDie Forststrategie betont diese mangelnde Präzision in der Systematik. Die EU-Kommission hat angekündigt, bis  zum Ende des Jahres eine nachvollziehbare Definition    auszuarbeiten und vorzustellen.  

Schützen, was wir kennen

Weiter muss eine bessere und aktuellere Kartierung der Primärwälder durchgeführt werden, damit diese auch effektiv geschützt werden können. Die bislang nicht kartierte Fläche beläuft sich auf ca. 4,4 Millionen Hektar, Zu dem  Ergebniskommt eine aktuelle Studie der Europäischen Kommission (4/2021). Das entspricht einer Gesamtfläche von mehr als der Größe der Niederlande. Hier müssen wir die Chancen der Digitalisierung nutzen!

Schutzflächen implementieren, besser verwalten und ausweiten 

Natura2000 ist das europaweite Schutzgebietsnetzwerk, begründet durch die Flora-Fauna-Habitat Richtlinie (FFH) und die Vogelschutzrichtlinie. Beide zusammen bilden das Rückgrat des europäischen Naturschutzes. Es wird ergänzt durch spezielle Arten- und Biotopschutzregeln auch jenseits der Schutzgebiete. Um einen effektiven Schutz der Ökosysteme und einen guten Erhaltungszustand zu garantieren, braucht es  fundierte Managementpläne. Diese stellen klare Regeln auf. Diese sind  einerseits für die oft begrenzte, dennoch nötige Bewirtschaftung der Gebiete relevant. Andererseits sind sie für den besseren Schutz bedrohter Tiere, Pflanzen und Lebensräume notwendig.

Die EU-Biodiversitätsstrategie

Sie hat den besseren Erhalt unserer Wälder und den Kampf gegen die Klima- und Biodiversitätskrise zum Ziel. Dazu sollen bis 2030 mindestens 30% der Landfläche (und auch der Meeresgebiete) unter Schutz gestellt werden. Dabei sollte die EU sich entschließen,  5 bis 10% der Flächen sogarganz von der Ressourcennutzung auszuschließen (das sog. “re-wilding” ).                                                                                                               

Geschädigte Ökosysteme sollen künftig wiederhergestelltwerden (sogenannte Restauration).

Sinnvoll – aber nicht genug

All das ist sinnvoll. Aber die letzten Primär- und Altwälder müssen schon zuvor dringend gerettet werden. Sie sollten selbstverständlich unter strengsten Schutz gestellt werden.

Wir brauchen Kompensationen, denn aus wirtschaftlicher Not wird die ökologische Not vergrößert

Die wertvollen Alt- und Primärwäldern in Osteuropa sind an Schönheit und Artenreichtum auf unserem Kontinent kaum zu übertreffen.  Ausgerechnet in diesen kommt es immer wieder zu illegalen Holzrodungen im katastrophalen Ausmaß. Lokale Armut, sowie Korruption sind die Haupttriebkräfte für die gesetzeswidrige Entnahme von Holz aus den Wäldern.

Auch Umweltschutzorganisationen heben hervor,  die Wälder würden oftmals aus Unwissenheit und Not abgeholzt. Die uralten Bäume (teils über 400 Jahre altsind wirtschaftlich kaum interessant, da sie in der Mitte oft hohl und morsch sind. Die Wälder werden also oft für schlechtes Brennholz gerodet!

Anna D.-G  im Wald in Rumänien mit einem alten Hohlbaum

Die lokale Bevölkerung einbeziehen

Damit sich das ändert, muss die Not der Bevölkerungernst genommen werden. Dazu sind Kooperationen zu initiieren. Nur wenn die lokale Bevölkerung gute wirtschaftliche Alternativen hat und wenn sie um den wahren Wert der Primär- und Altwälder weiß, wird sie die Erhaltung mit- und vorantragen.

Wirtschaftliche Kompensationsmechanismen für den Walderhalt, aber auch für die naturnahe Wiederbewaldung, können durchaus Wirkung entfalten. Sie  werden in den nächsten Jahren sicherlich vermehrt diskutiert werden. Auch im Rahmen der Konvention zum Erhalt der biologischen Vielfalt gehört dieser Ansatz durchaus auf die Tagesordnung.

Kommunikation und Partizipation 

Wollen wir die alten Wälder schützen, so müssen wir selbst die Partnerschaften mit allen Beteiligten stärken. Dazu gehören Landbesitzer, Naturschutzorganisationen, lokale und regionale Behörden und lokale Gemeinschaften. In diesem Zusammenhang zeigen Forschungen:  vor allem Frauen tendieren dazu, strengere Regeln für die Waldnutzung aufzustellen, um die Wälder stärker zu schützen. Somit kann  besonders ein ‚Empowerment‘ von Frauen in lokalen Strukturen sehr lohnenswert sein.

Es geht darum, Gerechtigkeit im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung zu schaffen. Darüber hinaus ist das herkömmliche Schutzgebietsmanagement in integrierte Strategien umzuwandeln. Diese sollen sowohl die Klimawirkung und die biologische Vielfalt fördern. Aber sie sollen auch dem menschlichen Wohlbefinden dienen, zum Beispiel im Rahmen von Ökotourismus-Projekten . 

Bestehende Gesetze besser umsetzen und kontrollieren: Eine delikate Aufgabe

Natürlich müssen aber  die heute bereits bestehenden Schutzmechanismen angewandt werden. Das Einhalten der Verträge ist die absolute Minimal-Forderung! Zu Recht rufen wir und sämtliche Aktivisten immer nach neuen und strengeren Gesetzen und Auflagen. Doch gleichzeitig wird deutlich: s die Einhaltung der bestehenden Rechtslagen ist zuerst durchzusetzen.  Ausgerechnet hier wurde in der EU-Kommission jedoch in den letzten Jahren so viel Personal weggekürzt. Nun fehlt schlicht die (Wo-)Manpower, um Ermittlungen und eventuelle Vertragsverletzungsverfahren durchzuziehen. Dass mitten in der Krise nun der Klima- und Umweltschutz  auch noch an Personaleinsparungen scheitert, leuchtet mir nicht ein!

Ein Vertragsverletzungsverfahren

Doch die Konsequenzen werden deutlich. Im Februar 2020 leitete die EU Kommission – endlich nach vielen Klagerufen unsererseits – ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Rumänien ein. Der Grund: Rumäniens Regierung duldet großflächige illegale Abholzungen in Natura2000 und UNESCO-Welterbe-Gebieten. Mehr als anderthalb Jahre nach dem Aufforderungs-Schreiben der Kommission an Rumänien, bleibt jegliche Antwort aus. Aber leider bisher  auch eine Verfahrenskonsequenz. Das Vertragsverletzungsverfahren bleibt somit wirkungslos im ersten Schritt stecken. Deshalb fordere ich erneut die EU Kommission – in einem zweiten offiziellen Brief – auf, nicht locker zu lassen!

Ich halte euch auf dem Laufenden, was die EU-Kommission gegenüber der rumänischen Regierung zum Schutz dieser wahrhaftigen Juwelen unternimmt.

(vgl. auch hier  zum Gesetz der EU-Kommission gegen Entwaldung)    Ergänzung zu diesem Artikel von uns:

Der Evolutionsökologe sagt über „Uralte Bäume“

„Wenn sie einmal weg sind, sind sie weg… wir können uns nicht zu einem gesunden Wald zurückpflanzen.“ Das sagt der Evolutionsökologe Charles Cannon in seinem neuesten Forschungsergebnis. Denn: „Uralte Bäume“ sind „einzigartige Genspeicher“, die nicht durch Aufforstung ersetzt werden können. Sie haben zahllose Umwelt-Probleme und Wechsel überstanden und in ihren Genen gespeichert und geben diese genetische Resilienz auch an die sie umgebenden Bäume weiter. Und im Gegensatz zu alten Bäumen speichern sie noch einmal ein Vielfaches an Kohlendioxyd.

Und noch einmal Anna D.-G.:

Unterzeichnet bitte auch weiter fleißig die Petition gegen Kahlschläge, denn wir müssen der EU richtig Druck in Sachen Wald machen!