Im Dezember 2023 sollte Zulassung auslaufen

Im Dezember wäre die Zulassung für das Totalherbizid ausgelaufen. Aber die Kommission selbst hat nun im Alleingang entschieden, den Natur-Killer Glyphosat erneut zuzulassen. Die Kommission hatte von Beginn an den Vorschlag für die Verlängerung vorgelegt. Sie hatte mehrere Gutachten in Auftrag gegeben. Die hatten angezweifelt, dass Glyphosat krebserregend sei.

Was Wissenschaftler*innen zu den Wirkungen des Giftes sagen

Befasst haben sich damit insgesamt 96 Wissenschaftler*innen. Die EU jedoch hat auch viele Studien herangezogen, die die Industrie in Auftrag gegeben hat. Diese gehen von der Unbedenklichkeit für Krebserkrankungen aus.

Aber die IARC, die internationale Agentur für Krebserkrankungen, hat vier von 12  der Unternehmensstudien überprüft. Sie erkannten darin das genaue Gegenteil, nämlich:  „hinreichende Beweise für die Karzinogenität in Tierstudien“. Wie sich herausstellte, wurden in allen Hersteller-Krebsstudien statistisch signifikante Tumorbefunde übersehen oder ignoriert. Laut den geltenden Regeln genügen zwei voneinander unabhängige Studien mit positiven Krebsbefunden, um eine Substanz als krebserregend einzustufen.

 Keine qualifizierte Mehrheit im Rat für die Verlängerung

Die Kommission hatte es in 2023 zweimal nicht geschafft, eine qualifizierte Mehrheit im Rat der Mitgliedstaaten für ihren Vorschlag der Verlängerung zu organisieren. In einem solchen Fall ist sie tatsächlich berechtigt, allein zu entscheiden.

Und schon im Vorfeld  hatte die Kommission angekündigt, nicht auf die Ergebnisse der Wissenschaft zu hören. Dabei gilt u.a. Glyphosat als eine sog. Ewigkeitschemikalie, die sich nicht abbaut (ECI Save Bees and Farmers, Newsletter Nov. 2023). Und eine Bürgerpetition gegen die Weiter-Zulassung hatte über 1 Million Stimmen erzielt.

Nun hat die Kommission den Wirkstoff also trotz allem erneut zugelassen. Und das gleich für 10 weitere Jahre!  Es gibt nur geringe Einschränkungen auf EU-Ebene, stattdessen viele Aufgaben für die Mitgliedstaaten. Sie sollen auf Glyphosat basierende Produkte u.a. vor der Zulassung kritisch prüfen und auch gewisse Abstände einhalten – als wenn Winde die Gifte der riesigen Maschinen nicht verwehen würden.

Wie  die Kommission zu ihrer Entscheidung kommt

Wissenschaftler*innen und Umweltschützer*innen haben die Gutachten, die die Kommission in Auftrag gab, stets angezweifelt. Ihr Kommentar ist, dass die Gutachten sehr industriefreundlich seien.  Dem amerikanische Konzern Monsanto hatte den Grünkraut-Vernichter auf den Markt gebracht.  Im Gedächtnis ist, dass der Chemie-Konzern Bayer vor ein paar Jahren mit Monsanto fusionierte. Und dass unmittelbar im Anschluss Monsanto in den USA  Prozesse durchzustehen hatte und auch weiterhin hat von Klägern gegen Glyphosat und dessen Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Schon damals entstand die Besorgnis, dass die Fusion für Bayer zum falschen Zeitpunkt geschah. Im Nov. 2023 z.B. haben sie zum dritten Mal in Folge verloren. Allein in diesem Fall kostet das Bayer/Monsanto $ 332 Mill. In einem 4. inzwischen verlorenen Urteil soll der Konzern 1,5 Mrd. Dollar zahlen. Wird das Urteil bestätigt, könnte das beginnen, an die Substanz des Unternehmens zu gehen.

Das Unternehmen hat in den USA versucht, den Supreme Court anzurufen. Es erhoffte sich einen Befreiungsschlag, um von weiteren Klagen verschont zu werden. Aber das oberste US-Gericht hat die Klage nicht angenommen. Bayer hat daraufhin 4,5 Milliarden Dollar an Rückstellungen vorgenommen.

Über Bayer ist nun zu lesen: „Im vergangenen Jahr verdiente der Konzern allein mit seiner Landwirtschaftssparte mehr als 25 Milliarden Euro. Zu dem Rekordergebnis trug besonders das Herbizidgeschäft bei. Im Vergleich zum Vorjahr konnte Bayer den Umsatz um satte 44 Prozent steigern. Als Grund nennt das Unternehmen ‚Preissteigerungen aufgrund von Versorgungsengpässen für glyphosathaltige Produkte‘ unter anderem im europäischen Markt. “  ? Hört sich an wie: an den Haaren herbeigezogen.

Abstimmungsverhalten in der EU

Frankreich hat sich in der Abstimmung enthalten. Und eine Reihe anderer EU-Länder auch. In der deutschen Regierung hat sich mal wieder die FDP durchgesetzt. 2017 stimmte sie für das Verbot. Da sie neuerdings gegen das Verbot war, musste sich die deutsche Regierung nun enthalten. Angeblich sei der FDP-Verkehrsminister wegen der Deutschen Bahn dagegen. Denn sie wolle ihre Gleise weiterhin mit dem Einsatz des Allround-Giftes freihalten. Allerdings hatte die Bahn bereits 2019 gegenteilig beschlossen und im März 2023 angekündigt, es nicht mehr verwenden zu wollen. Ob sie nun wohl dabei bleibt?

Für Europa ist nun eine große Chance vertan, selbst wenn einzelne Staaten den Gebrauch möglicherweise weiter einschränken. Denn es gab auch Länder, die gegen die Verlängerung gestimmt haben und die nun evtl. verärgert sind. Unseren Bestäubern wird ein kleinteiliges Vorgehen aber vermutlich kaum helfen. Dabei hängen dreiviertel unserer Lebensmittelprodukte von Biene und Co. ab. Und ihr Rückgang ist längst unübersehbar.

Die Situation in Deutschland

Schon die CDU-Agrarministerin hatte ein Verbot des Breitbandherbizids, das alle Grünpflanzen vernichtet, ab 2024 geplant. Sogar der Bundesrat stimmte dem zu. Und auch im Koalitionsvertrag der rotgelbgrünen Regierung war vereinbart, das Gift in Deutschland ab 2024 nicht mehr zu verwenden.

„Das EU-Recht erlaubt in dieser Frage allerdings keine nationalen Alleingänge. Schon im Frühjahr war in Luxemburg das nationale Verbot für Glyphosat  gerichtlich aufgehoben worden. Der Grund: Solange der Wirkstoff EU-weit zugelassen ist, sei ein nationaler Sonderweg unbegründet.“ Geklagt hatte ? Na wer wohl? Der Bayer-Konzern.

Die Bundesregierung kann die Anwendung  mithilfe der Pflanzenschutz-Anwendungs-Verordnung in begründeten Fällen einschränken. Der Landwirtschaftsminister will das nun prüfen. Denn laut Pflanzenschutzgesetz kann er Verschärfungen der Verordnung mit der Zustimmung weniger Minister von SPD und Grünen vornehmen. Allerdings müsste den Änderungen wohl auch der Bundesrat zustimmen.

Datenlücken bei Grundlagen der Entscheidung

Die EU hat ein kleines Türchen offen gelassen:  Die Antragsteller für das Verbot sollen innerhalb von drei Jahren Daten zu Auswirkungen auf die Biodiversität nachliefern. Denn immerhin hatte die EFSA (EU Behörde für Lebensmittelsicherheit), auf deren Votum die Kommission sich gestützt hat,  Datenlücken mit Blick auf den Artenschutz eingestanden. Und sogar sie sieht ernährungsbedingte Risiken für Verbraucher!

Argumente der Kritiker

Jutta Paulus, studierte Pharmazeutin und versierte Chemikerin, war als umweltpolitische Sprecherin der europäischen Grünen die zuständige Verhandlerin für das Gesetz. Das Ergebnis bezeichnet sie als Skandal und kommt zu folgender Bewertung:

„Die Wiederzulassung von Glyphosat steht sinnbildlich für alles, was in der europäischen Naturschutz- und Agrarpolitik falsch läuft. Glyphosat wieder zuzulassen und gleichzeitig ein Renaturierungs-Gesetz (für dessen Verhandlung sie auch zuständig war) zu verabschieden, ist an Absurdität kaum zu überbieten.“ (FAZ)

Johann G. Zaller, Professor am Institut für Zoologie der Universität für Bodenkultur Wien, urteilt:  „Im Grunde genommen ist der Vorschlag eine Verhöhnung der ökologischen Wissenschaften.“ Und: „Der Vorschlag der EU-Kommission offenbart ein systematisches Leugnen des dramatischen Rückgangs der Biodiversität und der wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass Glyphosat dazu beiträgt. Auswirkungen auf Bodenorganismen und Bodengesundheit werden im Vorschlag nicht einmal erwähnt, obwohl evident ist, dass die Böden in ganz Europa mit Glyphosat kontaminiert sind.“

Artenvielfalt für weitere 10 Jahre durch Rückgang bedroht

Schon 2017 hatte die EU das Verbot von Glyphosat abgelehnt, sodass es die Artenvielfalt weiter schädigen und dezimieren konnte. Untersuchungen haben wiederholt darauf hingewiesen, dass es bei Honigbienen auf ihre kognitiven Fähigkeiten und auf ihr Immunsystem wirkt. Und bei Hummeln wird die Lernfähigkeit beeinträchtig. Das verringert ihre Fortpflanzungsfähigkeit. Die Abtötung aller Wildkräuter auf den Äckern der Großagrarier, die damit das Pflügen und Eggen im Frühjahr einsparen, vernichtet die Nahrungsgrundlage für alle Insekten und damit dann für die Feldvögel wie unsere Lerche, das Rebhuhn u.a.

Die EU aber hatte sich in ihrem Green Deal nicht nur die Bekämpfung und Eindämmung der Klimakrise auf die Fahnen geschrieben. Sondern das zweite große Gebiet auf dem sie punkten wollte, war es, den weiteren Verlust der Biodiversität zu stoppen. Ohne Einbeziehung der Agrarpolitik sowie eine durchgängige Reduzierung der Ackergifte wird der weitere Verlust nicht aufzuhalten sein.