Forderung und Ankündigung

Die EU-Mitgliedstaaten hatten am 8. November 2024  in Budapest in ihrer gemeinsamen Erklärung  zur Wettbewerbsfähigkeit Schritte hin zu einem „revolutionären Vereinfachungsprozess“ gefordert. Dazu kündigt die Kommissionspräsidentin nun  Omnibusgesetze an.

Ein “Omnibus” meint in der EU-Gesetzgebung eine Gesetzesinitiative, die Änderungen in mehreren Bereichen oder an verschiedenen bestehenden Regelwerken gleichzeitig einführt.

Das Vorzeigeprogramm der zweiten EU-Kommission unter Frau v. d. Leyen

Die EU will Unternehmen in Europa durch einen „beispiellosen“ Bürokratieabbau zu mehr Wachstum zu ermutigen.

Außerdem möchte die EU  die „fragmentierten“ Kapitalmärkte der EU endlich stärker integrieren.

Denn „ohne einen dringenden Kurswechsel und eine neue Herangehensweise steht die Zukunft der EU als Wirtschaftsmacht, Investitionsziel und Produktionsstandort auf dem Spiel“, heißt es in dem Entwurf der Kommission für die Sitzung am 29.1.2025.

Da wird der Entwurf für den Kompass für Wettbewerbsfähigkeit beraten. Er soll auf drei Säulen beruhen: der Verkleinerung der Innovationslücke zu den USA und China, der Verringerung strategischer Abhängigkeiten sowie der Vereinbarkeit von Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit. Es soll also nicht um die Abschaffung des Green Deal gehen, sondern um die Vereinbarkeit mit der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft.

Dafür sieht der neue Kompass sowohl eine Verringerung der regulatorischen Belastung  wie auch der Berichtspflichten vor.

Denn die EU-Wirtschaft schwächelt. Diverse Maßnahmen sollen sie in der beginnenden fünfjährigen Amtsperiode dieser Kommission ankurbeln. Der Bericht des früheren EZB-Präsidenten Draghi hatte von einem europäischen Bürokratiemonster gesprochen, von 13.000 Rechtsakten seit 2019. Unklar, ob es deshalb so viele sind, weil jeder Rechtsakt in 27 Sprachen ausgeführt wird. Das führe zu einem Mangel an Innovationen.

Vereinfachen und beschleunigen

Frau v. d. Leyen will nun den Schwerpunkt der Kommissionsarbeit einerseits auf den Abbau von Hindernissen für den Binnenmarkt legen. Es kann nicht sein, dass ein junges Unternehmen, das marktreif ist, in jedem der Staaten neue Anträge stellen muss, im Extrem also 27.

Andererseits will sie die Möglichkeiten der Finanzierung für die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China und den USA ausweiten.

Das regulatorische System soll deshalb in Zukunft auf Vertrauen und Anreizen beruhen statt auf detaillierter Kontrolle.

So sollen Grenzwerte für CO²  pragmatisch überprüft werden. Die Deregulierung soll zu Kostensenkungen für die Unternehmen führen. Das Regime soll maßgeschneidert sein für sog. Mid-Caps. Das sind Unternehmen, die größer als kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind, aber kleiner als große multinationale Konzerne.  Es geht nur noch um Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern und darum, deren  Berichtspflichten (CSRD) zu verringern. Die Kommission gibt ein Versprechen, diese für alle privaten Unternehmen um 25 Prozent zu reduzieren. Auch das soll Kostensenkungen auslösen.

Außerdem soll es  für Unternehmen, die in mehreren EU-Mitgliedstaaten tätig sind, ein spezielles „28. Rechtsregime“ geben.

Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft

Eine „engere Abstimmung zwischen öffentlichen und privaten Sektoren“ soll dabei helfen, gegen die wachsenden Bedrohungen der digitalen und physischen Infrastruktur anzukommen.  In strategisch wichtigen Sektoren soll es außerdem bei öffentlichen Auftragsvergaben eine „europäische Präferenz“ geben. Eine EU-Plattform soll überdies den gemeinsamen Einkauf kritischer Rohstoffe vereinfachen. Ein sog. Wettbewerbsfähigkeitscheck soll die erwarteten Auswirkungen von EU-Vorhaben auf die Kostenunterschiede im Vergleich zu anderen internationalen Wettbewerbern bewerten. Hierzu gehört wohl auch die geplante Verschiebung der Erhöhung der CO²-Abgaben.

Der nächste siebenjährige Haushalt wird wohl einen speziellen Wettbewerbsfonds vorsehen. Dieser soll Investitionen in künstliche Intelligenz, Raumfahrt, saubere und Biotechnologien fördern. Das Programm InvestEU soll mit ungenutzten Mitteln  aufgebessert werden und in innovative Projekte gelenkt werden und so  Investitionen bis zu 50 Milliarden anschieben. Im Finanzbereich möchte die Kommission Erleichterungen schaffen. Wichtig findet sie auch,  grenzüberschreitende Investitionen durch Abschaffung von steuerlichen Hindernissen zu fördern. Auch Börsen, Handelsplätze und Fonds  sollen durch Marktorientierung konsolidiert werden.

Fünf-Punkte-Plan zum Bürokratieabbau

Die Kommission will inzwischen neben den Berichtspflichten zum Green Deal mit 37 Richtlinien auch die Regeln für Investitionen, Produktsicherheit, Cybersicherheit und Landwirtschaft überarbeiten. Bezogen auf die Produktsicherheit sollen in Zukunft große Mittelständler von den gleichen Ausnahmen profitieren wie kleine und mittlere Unternehmen. Die Vereinfachung wird die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen und das europäische Lieferkettengesetz betreffen. Die Antidiskriminierungsrichtlinie soll erst gar nicht in Kraft treten, so wie viele weitere noch in Abstimmung befindliche Richtlinien.

Das betrifft z.B. auch einen noch in den Verhandlungen befindlichen Gesetzesvorschlag zur Eindämmung der Verschmutzung durch Mikroplastik. In einem „ungewöhnlichen Schritt“ schlug die Kommission vor, Verpflichtungen zur Überwachung des Transports von Mikroplastik zu verringern. Das löste heftige Reaktionen im Rat aus. Mehrere Delegationen befürchten, dass dieser Schritt die Umweltambitionen der EU verwässern könnte.

Durchsetzungsvorgaben der EU

Die Kommission selbst will drei (inzwischen fünf) Omnibuspakete bis zum Sommer 2025 vorlegen, das erste am 26.2.25

Und sie fordert die Mitgliedsstaaten auf, der Kommission „proaktive Updates“ zu ihren Strategien zum Bürokratieabbau bereitzustellen. Die Strategien sollen die „Umsetzungs-Roadmap“ oder den Aktionsplan der Kommission „komplimentieren“. Außerdem soll  jeder EU-Kommissar jährlich zwei „Dialoge“ mit „zentralen Interessengruppen, die von EU-Gesetzgebungen betroffen sind“ führen – darunter Unternehmen und NGOs. EU-Industriekommissar Stéphane Séjourné forderte einen „Vereinfachungsschock“ für die kommenden fünf Jahre. Und er äußert: diese Initiative markiere einen Wandel im Denken für Europa.

Ablehnung der Reduktion von Berichtspflichten

Ein Verbund zahlreicher Investoren aus der Finanzbranche (mehr als 150)hat sich zusammengeschlossen. Diese Wirtschaftsvertreter sehen die Vereinfachungsbemühungen äußerst kritisch. Sie plädieren dafür, dass die EU-Kommission ihre Ambitionen und vor allem auch ihre Integrität aufrecht erhält. Falls sich die Pflichten der Unternehmen deutlich reduzieren würden, könne das zu weiteren juristischen Unsicherheiten führen. Nicht nur Investitionen würden so vermutlich gefährdet, sondern sogar Europas langfristige Wettbewerbsfähigkeit.

Da 80% der Unternehmen entlastet werden sollen, könnte das auch bei Investoren und Aufsichtsbehörden zu Schwierigkeiten führen, den Einfluss von Firmen auf das Klima einzuschätzen, fürchten nun Kritiker. Außerdem sehen sie Transparenz und und vor allem soziale Verantwortung in Gefahr. Denn in Zukunft sollen nur noch Unternehmen ab 1000 Mitarbeitern Rechenschaft ablegen.

Der EGB, der Europäische Gewerkschaftsbund sowie Umwelt- und Sozialverbände sehen bisherige Treffen, organisiert vom Wirtschaftskommissar V. Dombrovskis, dazu als chaotisch, intransparent und undemokratisch an, bzw. als Veranstaltungen, die Lobbyverbänden die Möglichkeit übergroßen Einflusses geben. Bei letzteren gibt es allerdings solche, die am liebsten alle Regeln zum Green Deal wieder abschaffen würden.