Estland gehört zu den baltischen Staaten und grenzt im Osten an Russland und im Süden an Lettland. Nach Norden liegt es am Finnischen Meerbusen und nach Westen an der Ostsee. Estland hat sehr gute Beziehungen besonders zu Finnland, aber auch gute kulturelle Verbindungen zu Deutschland. Die Hauptstadt ist Tallin, das frühere Reval. Estland umfasst 45.339 Quadratkilometer und ist damit etwas größer als die Schweiz und etwas kleiner als das deutsche Bundesland Niedersachsen. Estland hat eine Bevölkerung von 1,33 Millionen und damit 29 Einwohner pro Quadratkilometer. Es ist also ein relativ dünn besiedeltes Land. Estland ist heute eine parlamentarische Demokratie.
1. Geschichte
Der Deutsche Orden setzte sich mit seinen Bestrebungen der Christianisierung im Gebiet des heutigen Estland fest. 1252 übernahm er mit den dortigen Vasallen die autonome Landesverwaltung. 1561 endete die Herrschaft des Deutschen Ordens. Danach übernahmen die Städte der Hanse, – ein Bund von 194 Städten in 16 Ländern -Selbstverwaltungsaufgaben. Hansestädte sind: Lübeck, Wismar und Danzig in Deutschland, Riga in Lettland, Deventer in den Niederlanden, Visby in Schweden, Bergen in Norwegen, La Rochelle in Frankreich, Turku in Finnland, aber auch Städte im Inland wie Dortmund. Die Oberschicht der Staatsbürger in Estland und die Gutsbesitzer waren deutschsprachig. Bis 1885 war Deutsch Unterrichts- und Behördensprache.
Der große Nachbar nach Osten
Im Großen nordischen Krieg eroberte das zaristische Russland das Gebiet, das dann von 1710 bis 1918 die „Ostseeprovinz Gouvernement Estland“ bildete. Auf Grund einer Russifizierungs- Kampagne der russisch-zaristischen Regierung nach 1885 löste dann russisch die deutsche Sprache als Amtssprache ab. Russland zeigte sich auch hier als imperialistisches, expansives Land, und dies unabhängig von der Staatsform. Das betraf das Zarenreich genauso wie die Sowjetunion und auch das heutige autokratische Regime unter Putin.
Gut 20 Jahre unabhängig
Während des Zerfalls des russischen Zarenreiches im Zusammenhang mit der Oktober-Revolution von 1917 erlangte Estland am 24. 2. 1918 die Unabhängigkeit. Die Estnische Verfassungsgebende Versammlung bestätigte am 24. 11. 1918 das aktive und passive Wahlrecht für Männer und Frauen. Es orientierte sich damit an westlichen Vorbildern. 1921 wurde Estland Mitglied im Völkerbund.
50 Jahre geknechtet
Durch den Hitler-Stalin Pakt von 1939 wurde das gesamte Baltikum (3 Staaten) der sowjetischen Einfluss Sphäre zugeschlagen. 1940/41 wurden massenhaft Esten, vorrangig aus dem Besitz- und Bildungsbürgertum ins Innere des kommunistischen Reiches, meist gleich in den Gulag deportiert.
Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 war Estland von deutschen Truppen besetzt. Auch hier exekutierte das nationalsozialistische Regime seine Genozid Politik. Etwa 1000 einheimische Juden und ca. 10 000 Juden aus Ost- und Mitteleuropa wurden in Estland im Holocaust ermordet.
1944 wurde Estland erneut von Russland annektiert, diesmal von der Roten Armee. Wieder kam es zu Deportationen. In der Sowjetunion war es verboten, Lieder aus Vaterlandsliebe zu einem anderen Land als der Sowjetunion zu singen. Hierzu gehörten die Hymnen der baltischen Staaten. Bei Verstößen drohte die Deportation nach Sibirien.
Der Weg in die Unabhängigkeit
1988 in der Zeit der Perestroika versammelten sich auf dem Sängerfestplatz in Tallin 300 000 Esten, um erstmals wieder ihre Hymne „Mein Vaterland, mein Glück und meine Freude“ gemeinsam zu singen. Damit begann die „Singende Revolution“, die 1991 zur erneuten Unabhängigkeit führte. Hunderttausende sangen patriotische Lieder und am 23. August 1989, genau 50 Jahre nach Abschluss des perfiden Hitler-Stalin-Paktes bildeten 2 Millionen Menschen eine Kette von Tallin über Riga nach Vilnius über 600 Kilometer, den „baltischen Weg“ (Wikipedia). Im Gegensatz zu Lettland und Litauen hatte die Unabhängigkeitsbewegung in Estland keine Toten zu beklagen.
2. Grunddaten
Nach einem Referendum im Jahre 2003 wurde Estland 2004 Mitglied in der EU und trat 2011 dem Euro bei. Seit 2004 ist Estland Mitglied der Nato. Dies ist besonders wichtig, da die Sowjetunion zwischen 1945 und 1990 eine gezielte Ansiedlung nicht estnischer Einwohner, insbesondere von Russen betrieben hat. So sollte in der Sowjetrepublik die Zusammensetzung der Bevölkerung zu Ungunsten der Esten verschoben werden. 2017 waren von der Bevölkerung 69% Esten, 25% Russen und 1,8% Ukrainer. Für Putin sind die dortigen Russen immer noch ein Faustpfand, mit deren „Schutz“ er eine Invasion in dies souveräne Land „rechtfertigen“ könnte. Diese Befürchtung ist nicht an den Haaren herbeigezogen. So hatte Russland die Souveränität der Ukraine völkerrechtlich verbindlich anerkannt gehabt. Dessen ungeachtet hat Russland die Krim annektiert und im Donbass den Separatismus aktiv unterstützt. Die älteren Russen in Estland tun sich schwer, die Sprache zu erlernen, um die estnische Staatsbürgerschaft zu erlangen.
Einschätzung
„Die Gefahr einer direkten Auseinandersetzung gilt als niedrig, aber mehr als 25 Jahre nach der Wiederherstellung der estnischen Unabhängigkeit gibt es noch immer kein von beiden Seiten ratifiziertes Grenzabkommen“ (Konrad Adenauer Stiftung 2018). Estland pocht auf das Friedensabkommen von Tartu aus dem Jahre 1920. Russland jedoch bevorzugt die Grenzziehung von 1990, die ihm Gebiete des früheren Estland erhält.
Entwicklungstendenzen
Im Gegensatz zu den Wohlfahrtstaaten Skandinaviens ist Estland eher durch marktliberale Züge der Wirtschaftsorganisation gekennzeichnet. Die Wachstumsraten des BIP waren seit dem EU Beitritt 2004 sehr hoch, nur 2009 gab es einen Einbruch von minus 14,4%. 2oo6 wuchs die Wirtschaft beispielsweise um 10,8%, 2007 um 7,6%, 2011 schon wieder um 7,4% und 2017 um 4,9%. Lag das BIP pro Kopf kaufkraftbereinigt 2005 bei 19.765,-, so waren es 2017 schon 31.750,- US Dollar. Damit lag Estland also schon über dem europäischen Durchschnitt.
Die Wirtschaftsstruktur
Sie ist gekennzeichnet durch Holz- und Möbelindustrie, Elektronik, Nahrungsmittelindustrie und im Energiebereich durch den unter Umweltaspekten sehr umstrittenen Abbau von Ölschiefer. In der Entwicklung und Anwendung der Informationstechnologie ist Estland weltweit vorne. Hier wurde Skype erfunden. In Estland können politische Abstimmungen für alle online durchgeführt werden. Es gibt die Möglichkeit einer E-Residency (Wohnsitz) für Ausländer: Verschlüsselung von Dokumenten, Erstellung von Bankkonten, Gründung von Unternehmen. Estland kann also als Vorbild bei der Digitalisierung gelten. Die estnische Wirtschaft leidet trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung unter dem Problem der Abwanderung junger, gut qualifizierten Arbeitskräfte.
Die Staatsverschuldung lag 2017 bei sensationell niedrigen 9%!
Leben und Kultur
Estland ist eine singende Nation. Die größte Volksliedersammlung der Welt umfasst 133 000 aufgenommene Lieder! (Visit Estonia). Obwohl die Esten nicht sehr religiös sind, glauben 69%, dass Bäume, besonders in den Märchenwäldern, eine Seele haben. Eine alte Eiche mitten auf einem Fußballfeld wurde 2015 zu Europas Baum des Jahres erkoren. Sie gilt als 23. Feldspieler!
Das Nationalgericht Estlands ist „Verivorst“, eine deftige Blutwurst, die vorrangig im Winter gegessen wird.
Der HDI lag 2016 bei 0,865 – ein hoher Wert, angesichts der oft tragischen Geschichte!