Die EU hat nach fünfjährigen Verhandlungen einen großen Durchbruch erreicht. Vorläufig zunächst noch, weil nochmal alle Gremien zustimmen müssen. Aber in den Verhandlungen ist Einigkeit erzielt worden, auch wenn ein Staat wie Deutschland sich enthalten hat. Es geht um eine Richtlinie über die Offenlegung von Ertragsteuer-Informationen durch bestimmte Unternehmen und auch deren Zweigniederlassungen, selbst wenn sie auf den Bahamas liegen. Konkreter beschrieben ist es eine Richtlinie über die Pflicht öffentlicher länderbezogener Berichterstattung. Für multinationale Unternehmen mit weltweit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz gilt dann eine bedeutende Änderung der Rechnungslegung. Sie sollen aufgrund des sog. Country-to-Country Reporting jährlich die Nettoumsätze, Gewinn oder Verlust vor Steuern und die tatsächlich in den einzelnen Staaten gezahlten Ertragsteuern veröffentlichen.
Eine einheitliche Besteuerung in EU-Ländern allerdings ist nicht in Sicht. Sie bedürfte der Einstimmigkeit. (vgl. dazu hier)
Bisheriger jährlicher Verlust
Den EU-Ländern entgehen geschätzt bisher durch die Steuervermeidung bei der Körperschaftsteuer und durch aggressive Steuerplanung dieser Unternehmen jährlich Einnahmen in Höhe von mehr als 50 Mrd. €. Denn die großen Unternehmen verschieben ihre Gewinne jeweils in Staaten mit besonders niedrigen Steuersätzen.
Der steuerpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Sven Giegold kommentiert die Einigung so: „Länderbezogene Steuertransparenz ist ein scharfes Schwert gegen Steuervermeidung. Wenn große Unternehmen ihre Gewinne und gezahlten Steuern pro Geschäftsland offenlegen müssen, wird Steuerdumping jedes Jahr für alle sichtbar.“ Das werde dem Ruf der Unternehmen schaden, meint er.
Ein erster Schritt zu mehr Umverteilung
Der IWF, der Internationale Währungsfonds hat am 1.4.2021 ein bemerkenswertes Statement abgegeben. Ausgerechnet er stellt das Thema Gerechtigkeit ins Zentrum seiner Argumentation dazu, was zu tun ist, um die demokratischen Gesellschaften zusammen zu halten. Bislang nicht gerade ein Thema für Mainstream-Ökonomen. Dabei spricht der IWF direkt auch das oben behandelte Thema der Steuervermeidung an, das endlich geregelt werden müsse! Aber auch die einzelnen Regierungen fordert der IWF auf, den Wohlstand von oben nach unten z.B. durch Steuererhöhungen für Wohlhabende umzuverteilen. Er schlägt dafür Erhöhungen der Erbschaftssteuer vor oder höhere Abgaben für Immobilien. Sogar eine zeitweise Anhebung der Einkommenssteuer für Gutverdiener hält er ggfs. für richtig.
Die Einigung der EU kommt daher zu einem höchst wichtigen Zeitpunkt. Der portugiesischen Ratspräsidentschaft sei Dank. Denn nicht nur die Staatsschulden sind wegen Covid 19 allseits stark gewachsen, sondern die Gesellschaften driften trotz staatlicher Anstrengungen zur Bekämpfung der Pandemie unübersehbar auseinander.
Der Umgang mit den Staatsschulden
In der unmittelbaren Zukunft geht es deshalb nicht nur um die gesellschaftlich notwendige Umverteilung. Diese gibt dem Staat die Möglichkeit zu mehr konsumtiven Ausgaben. Für die Zukunft geht es aber auch darum, wie die Staaten die immensen Schulden, die sie 2020 und 2021 angehäuft haben, wieder zurückfahren. Und darüber hinaus, wie sie die noch größeren Schulden, die sie tätigen müssen, um den Klimawandel zu stoppen, schultern können. Allein zur Reduktion der Treibhausgase auf Null bis 2050 rechnet McKinsey mit 28 Billionen Euro.
Die Notwendigkeit eines neuen Kostenbegriffes
Unser Staat sowie Länder und Kommunen weisen bisher in ihrer Haushaltsführung jährlich immer nur die Einnahmen und die Ausgaben aus. In der Bilanz sind aber z.B. die Wertzuwächse durch Infrastrukturmaßnahmen nicht ablesbar. Diese Ausgaben benennt die Finanzwirtschaft Investitionen. Sie sind quasi gut angelegtes Geld. Der Nutzen von Investitionen hält viele Jahre vor. Der gesellschaftliche Nutzen, den das staatliche Handeln hat, bleibt jedoch in der finanzwirtschaftlichen Betrachtung bisher weitgehend unsichtbar. Der Wert von Straßen, Brücken, Schulen, Forschungseinrichtungen usw. taucht dort ebenso wenig auf wie in der politischen Bewertung bzw. Diskussion. Um es anders auszudrücken: der Kostenbegriff hat starre Grenzen. Die Kosten erscheinen so z.T. als immens bzw. nur unter dem Begriff Schulden. Das führt zu der konservativen Forderung, wir müssen die Schuldenbremse einhalten und brauchen die schwarze Null.
Das Preis-Nutzen-Verhältnis muss beziffert werden
Neuseeland z.B. ist in der Aufstellung der gesellschaftlich geschaffenen Werte oder der Bilanzen diesbezüglich schon einen Schritt weiter. Damit eine breite Mehrheit die großen Herausforderungen der Zukunft annimmt, ist Folgendes erforderlich. Nicht nur die Politik, sondern auch die Bevölkerung muss verstehen: staatliche Investitions-Ausgaben schaffen einen gesellschaftlichen Mehrwert. Wenn dieser auch zahlentechnisch durch neue Begriffe sichtbar gemacht werden kann, hilft das der Akzeptanz der auf unsere Gesellschaft zukommenden Ausgaben. Im Bundesfinanzministerium wird angeblich darüber nachgedacht, jedem Preisschild auch ein Nutzenschild zuzuweisen.
Eine neue Konzeption der Rolle des Staates
Den Ausgaben des Staates muss daher der zukünftige Nutzen der Investitionen im Klimaschutz oder in anderen Bereichen gegenüber gestellt werden. Die Analyse der Staatsschulden muss deshalb zu einer Aufteilung zwischen langfristig wirkenden Investitionen und Ausgaben zur Bekämpfung von Konjunkturkrisen unterscheiden. Der politische Ansatz konservativer Parteien, alle Staatsschulden noch immer zu verteufeln, geht an den Notwendigkeiten einer zukunftsgerechten Steuer- und Ausgabenpolitik vollends vorbei. Selbst führende Wirtschaftswissenschaftler, wie z.B. der Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaft (IW), Michael Hüther, lehnen inzwischen das alte ordoliberale Modell ab und befürworten den vorsorgenden Staat.
(Quellen: Europäischer Rat, consilium.europa.eu, press-release und Zeit-online,1.6.2021, Wirtschaft und Die Zeit, 27.5.2021, Politik)