Was passierte am 6.1. auf dem Kapitol ?

Der 6.1.2021 auf dem Kapitol in den USA hat uns Zuschauer am Fernsehen entsetzt. Hier sollte die formelle Bestätigung des Machtwechsels nach der  Präsidentenwahl stattfinden. Doch ein vom abgewählten Präsidenten orchestrierter Putsch sollte sein Verbleiben im Amt mit Gewalt durchsetzen. Alle Verteidigungsinstitutionen rund um den Ort  waren offenbar lahmgelegt worden.  Wir mussten fassungslos dem sichtbaren Beweis  zuschauen: „Institutionen verteidigen sich nicht selbst“.   (US-Historiker Timothy Snyder)

Innerhalb von weniger als vier Jahren ist es Trump gelungen, fast die republikanische Partei zu kapern. Außerdem konnte Trump die gesamte äußere Befehlskette zur Verteidigung und Sicherung der rechtmäßigen Prozesse ruhig stellen. Und republikanische Senatoren waren im Kongress daran beteiligt, die Abstimmungsprozedur durch neue Anträge zu unterbrechen und zu verzögern. Denn sie wussten, dass Mike Pence kein Rechts-Mittel mehr in der Hand hatte, die Legalisierung der Wahl von Präsident Biden zu verhindern. So wäre der Staatsstreich um ein Haar gelungen.  Nicht nur in Washington D.C..  Auch in demokratischen Bundesstaaten gab es Angriffe auf Kongressgebäude.

Offenbar hat nur das mutige Eingreifen eines  Mannes den Sieg des Usurpators  verhindert.  Er half, dass schließlich doch noch die Nationalgarde aufzog. Er war dafür  n i c h t  zuständig!

Was bedeuten die Vorgänge für die Demokratie?

Der republikanische Präsident R. Reagan hat 1961 gesagt: „Freiheit ist nie mehr als eine Generation von ihrer Auslöschung entfernt. Wir können sie nicht vererben. Für sie muss gekämpft werden. Und sie muss von jeder Generation aufs Neue verteidigt werden.“ (eigene Übersetzung) Der italienische Faschist und Diktator Mussolini sagte dagegen laut M. Albright sinngemäß: „Man muss dem Huhn die Federn nur einzeln ausrupfen, dann fällt es lange nicht auf .“  Will heißen: die schrittweise Einschränkung der Freiheit muss jeweils gerade noch tolerierbar sein.  Die wirklichen Beweggründe sind unbedingt zu verschleiern.   Die Macht muss voll in den Händen des Usurpators liegen, bevor die Demokraten „aufwachen“.  Der Usurpator ist der, der widerrechtlich nach der Macht greift.

Mit Timothy Snyder gesprochen: Die Demokratie muss verteidigt werden, solange sie  n o c h  funktioniert. Und: Nötig sind scharfsichtige und mutige Menschen. Im Ernstfall müssen sie zu außergewöhnlichen Mitteln greifen, um Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat zu retten. Das ist im Einzelfall ggfs. als Widerstand zu bezeichnen.   In dem entscheidenden Moment  müssen sie notfalls bereit sein,  ausgegebenen Befehlen zuwider zu handeln.

Es ist  bitter zu erleben, dass es so weit ausgerechnet im Ursprungsland der Demokratie kommen konnte.  Das Kapitol war  dem zuvor von Trump angestachelten Mob schutzlos ausgesetzt. Über Stunden wurden von außen keine Gegenmaßnahmen ergriffen. Es ist kaum zu fassen, dass keiner der  Bedrohten   v o r h e r  rechtzeitig aufgewacht ist.  Kaum jemand kapierte, was Trump vorhatte, obwohl dieser Usurpator  monatelang seine Niederlage bei der Wahl geleugnet  hatte. Und er hatte  offen „wilde Tage“ angekündigt. Es war angemeldet, dass 30.000 seiner Unterstützer  aufmarschieren würden. Dennoch war das Kapitol nur im Innern, aber  mit viel zu wenigen Sicherheitskräften geschützt.

Jetzt ist zu hoffen, dass der Rechtsstaat zügig und hart durchgreift. Denn der Usurpator hat angekündigt: Dies ist nicht das Ende des Kampfes, sondern erst der Anfang.

Der nächste Versuch muss erstickt werden, bevor er passiert.

Was folgt daraus für die EU?

Wie ist der Schutz des Europäischen Parlaments und unserer nationalen Parlamente jeweils gegen einen angreifenden Mob organisiert? Welche Polizei ist in den verschiedenen Städten der europäischen Institutionen  verantwortlich? Wer kommandiert sie zu deren  Sicherung? Welche Maßnahmen und welche Kontrollen  gibt es, um im Falle eines Falles handlungsfähig zu sein?  Das bis gestern als unmöglich Eingeschätzte, kann heute oder morgen passieren. Das lehren uns nicht nur die Vorgänge in Washington D.C., sondern auch die Vorgänge in den letzten Monaten von 2020 in Deutschland sowie die Geschichte.

Unser Weckruf lautet daher  Wehret den Anfängen! (Vgl. dazu hier am Ende von deren Darstellung.)

Reaktionen auf den Putschaufruf

8.1. 2021 Prof. T. Snyder erläutert in einem Interview mit Moderator Krishnan auf channel 4 der BBC:   Es handelt sich bei dem Mob, der das Kapitol gestürmt hat, um Faschisten.  Seine Begründung: 1.Sie fußen auf der großen Lüge, 2. sie wollen die Wahlen abschaffen, 3. sie sind Rassisten und 4. sie berufen sich auf 1877. Damals wurde in den USA die Apartheit begründet. Er erläutert:  auf die Lügen folgen  permanente Anschuldigungen gegen die freien Medien. Die Behauptung lautet, die freien Medien  lügen. Durch permanente Wiederholung dieser Behauptungen wird ein Klima des Zweifels geschaffen. Bald weiß die große Mehrheit nicht mehr, was wahr ist. In diesem Klima gedeihen Verschwörungstheorien.

9.1.2021 „Seit dem von Trump initiierten Sturm aufs Kapitol haben sich Dutzende CEOs, Investoren und Verbände zu Wort gemeldet, um die Ereignisse zu verurteilen und sich von Trump zu distanzieren.  ……eine späte Kehrtwende. Lange hat Corporate America Trump toleriert und unterstützt, vor allem, um von Trumps Steuersenkungen und seiner Deregulierungsinitiative zu profitieren“. Allerdings, auch jetzt äußerten nur wenige Manager  in ihren Statements  direkte Kritik an Trump. (Handelsblatt)

12.1.2021 Nach Berichten von New York Times und einem Tweet auf Linkedin hat die US-Chefin der Deutschen Bank, Christina Riley, schon  kurz nach der Zertifizierung von Joe Biden den abgewählten Präsidenten Trump scharf kritisiert. Sie sprach von der Notwendigkeit eines friedlichen Machtwechsels. Der PGA, der amerikanische Verband der Berufsgolfer hat Trump das Recht entzogen, auf seinem Platz ein wichtiges Golfturnier abzuhalten. Nicht nur die Deutsche Bank will ihre Geschäftsbeziehungen zu Trump beenden. Auch die US-Signature Bank will Konten von ihm schließen. Sie forderte ihn zum Rücktritt vom Amt auf. Diese Unternehmen folgen den Social Media und anderen Unternehmen, die sich von Trump getrennt haben. (tagesschau)

Warum diese Wirtschaftsnachrichten wichtig sind?

Eine Wahl zum Senator kostet unvorstellbar viel Geld: 1984 im Schnitt 8 Mill. $. ,  z.B. in Georgia in der Nachwahl 280 Mill.$ allein in TV-Spots (Die Zeit). Eine wirtschaftsnahe Politik, wie  Trump sie abgeliefert hat, kommt im Wirtschaftssektor gut an.  Die Spenden sprudeln und schweißen eine Partei zusammen. Die Republikaner unter Führung von Senator Mitch McConnell haben nach hundert Jahren  seit 2010 erstmals dafür gesorgt, dass unbeschränkt und ohne öffentlichen Nachweis Spenden in Wahlhilfevereinen (PAC Political Action Committees) gesammelt werden dürfen. Besiegelt wurde dieser Kampf in einer 5:4-Entscheidung des Supreme Court (Citizens United). Genau dieser Mehrheitsführer im Senat, also McConnell, ist doppelt so erfolgreich im Spendensammeln wie die Demokraten. Damit  entscheidet er auch, welcher Kandidat Chancen bekommt, in den Senat einzuziehen. Deshalb ist es nicht mehr  erstaunlich, dass Trump es  geschafft hat, die republikanische Partei hinter sich zu vereinen.

Interpretiert heißt das: Dieses Spendensystem ist der erste Sargnagel für eine funktionierende Demokratie! Die Transparenz der Parteienfinanzierung muss in den demokratischen Staaten in Europa zügig durchgesetzt werden. Ein erster, wesentlicher Schritt wäre ein striktes Verbot von Unternehmensspenden an politische Parteien. (In Deutschland machen diese immerhin 3-5 % aus).

Werden die Republikaner sich von Trump lösen?

13.1.2021 Mehr als 30 KongressAbgeordnete verlangen  eine eingehende Untersuchung: Wie war es möglich war, dass  am Tag vor der Erstürmung des Kapitols,  „eine extrem hohe Zahl von Gruppen von außerhalb“ im Kongressgebäude  zu beobachten war. Der Zugang  zum Kapitol war ab März 2020 wegen Corona stark limitiert worden. Außerdem habe der eindringende Mob „ein ungewöhnlich detailliertes Wissen von dem Grundriss des Komplexes des Kapitols“ gehabt. Es sei zu überprüfen, wer diesen Gruppen Zugang gegeben habe. Es könne nur „ein Mitglied des Kongresses oder ein Mitglied aus dem Stab eines Abgeordneten“ sein. (eigene Übersetzungen aus dem Schreiben der  demokratischen Abgeordneten Mikie Sherill, verbreitet von ihr auf twitter).

Für die republikanische Partei wird es ein schwieriger Kraftakt, sich vom Präsidenten zu lösen.  Er hat ihnen viele Wahlerfolge in den vergangenen Jahren beschert. Wer sich bereits jetzt öffentlich lossagt, wird nicht nur im Netz mit Hetze und Todesdrohungen überzogen. Er/sie ist in der aufgeputschten Situation  tatsächlich gefährdet. Das gilt noch mehr für diejenigen Republikaner, die im Haus dem Impeachment, d.h. dem Amtsenthebungsverfahren zustimmen. Trump ist der einzige Präsident in der Geschichte, gegen den es ein 2. Verfahren gibt.

14.1.2021 Prof. T. Snyder spricht auf twitter von dem „January putsch“. Er schreibt, dass noch viele Tatbestände der Verschwörung  aufzudecken seien.

16.1.2021 MSNBC berichtet: Nach zwei verschiedenen Umfragen unterstützen 18 bis 22 % der  Anhänger der Republikaner die Gewaltanwendung gegen den Kongress am 6.1. als richtig. Dazu gehören Prediger der Evangelikalen und Kirchengänger*innen  und Superintendenten von Schulen. Und die Kongress-Partei verabschiedet eine Resolution, die die Gewalt vom 6.1. als „legitimen politischen Diskurs“ rechtfertigt (am 7.2.2021)

Madeleine Albrighthttps://www.googleadservices.com/pagead/aclk?sa=L&ai=DChcSEwj_4LWSwI72AhVCutUKHYOtDjMYABAKGgJ3cw&ohost=www.google.com&cid=CAASEuRom-E8W4ammTGvsWlNjH0QfA&sig=AOD64_3UBPhk9J_tXrBxcsPK6RvIuUZDRg&ctype=5&q=&ved=2ahUKEwjC5KuSwI72AhXRu6QKHc_ZCUgQ9aACegQIARBI&adurl=Albright,  Außenministerin unter Clinton, hat in ihrem 2018 veröffentlichten Buch: „Faschismus. Eine Warnung“ definiert: Faschismus ist nicht so sehr eine Ideologie, sondern “ der Faschismus heißt den Gebrauch von Gewalt zur Erlangung oder Erhaltung politischer Macht  gut“ (eigene Übersetzung) (The GOP is one choice away of becoming a full-blown fascist movement).

Das 2. Amtsenthebungsverfahren

14.2.2021 Das Verfahren gegen den abgewählten Präsidenten Trump ist beendet. Die erforderlichen zwei Drittel im Senat wurden nicht erreicht. Von den 50 Republikanern im Senat haben nur sieben dafür gestimmt. 10 mehr wären erforderlich gewesen.

Obwohl 100 wichtige Republikaner aus der Gesellschaft vor der Eröffnung des Verfahrens eine neue konservative Partei gegründet haben, sind die gewählten Republikaner weiter sehr stark unter dem Druck von Trump. Die Angst vor den Trump-Wählern,  sowie das Geld, das ihre Wiederwahl sichern soll,  machten ihre Verantwortung für die Demokratie zunichte. Ihnen fehlte der Mut, dafür zu stimmen, dass Trump hinfort kein politisches Amt mehr bekleiden darf.

Noch vor der Abstimmung war folgende Begebenheit zu Protokoll genommen worden: nachdem die Abgeordneten in letzter Minute in Sicherheit gebracht worden waren, rief der Republikanische Fraktionsführer M. McConnell  des Repräsentantenhauses  Trump an. Er  forderte  Trump auf, sofort den Mopp zurück zu rufen.  Alle Abgeordneten  seien in großer Gefahr. Trump habe darauf geantwortet:  „Sie kümmern sich nur um ihre eigene Sicherheit. Sie hätten dafür sorgen sollen, dass der Stimmenklau nicht passiert. Das tun jetzt andere für sie“.(frei übersetzt)

Deutlicher „erklärt“: Der treueste Adlatus von Trump,   Vizepräsident Mike Pence hatte Trump zuvor offenbar mitgeteilt, er werde den demokratischen Prozess der Bestätigung des Wahlsieges von Joe Biden vollziehen. Danach sah  Trump keine Möglichkeit mehr, seine Macht zu erhalten. Deshalb hatte er den Mob  in seiner Rede vor dem Weißen Haus aufgerufen, zum Kapitol zu marschieren u.a. mit den Worten: „Wenn ihr nicht kämpft wie der Teufel, werdet ihr kein Land mehr haben“. Nun wollte er „s e i n e n“ Wahlsieg mit Hilfe von Gewalt retten. Trump verfolgte das gewaltsame Eindringen ins Kapitol am Fernsehen.  Seine Hoffnung:  der Mob  könnte den demokratischen Ablauf  beenden und die Abstimmung verhindern.

Wie ist die Situation jetzt? 

Nach der Abstimmung des Amtsenthebungsverfahrens am 14.2. rechtfertigte sich der republikanische Fraktionsvorsitzende McConnell des Senats für seine Ablehnung. Aber er sagte auch: Es sei „keine Frage, dass Präsident Trump praktisch und moralisch für die Provokation der Ereignisse  an dem Tag verantwortlich“ sei (eigene Übersetzung). Auch sagte er, dass er dafür bestraft und verurteilt werden müsse.

Genau dieser Politiker war jedoch die mächtigste Geldsammelmaschine aller Zeiten. Er war  der sinistre Bauherr und Strippenzieher des Trumpismus. Die zitierte Aussage ist vermutlich als eine taktische zu werten. Die Geldgeber sollen so bei der Stange gehalten werden. (s.o. Nachricht vom 9. und 12. Januar)

Der Trumpismus firmierte unter dem nationalistischen Motto: „Make America great again“. Das ist für seine Anhänger der strahlende Vordergrund. Tatsächlich verbirgt sich in dem Satz die „Wahrheit“: Wir müssen  j e t z t  die weiße Vorherrschaft und unsere christliche Religion mit ihren strikten moralischen Werten und Regeln für die gesamte Gesellschaft  sichern – gerne auch mit autoritärer oder nötigenfalls diktatorischer Herrschaft.

Diese Bedrohung der Demokratie existiert nicht nur in den USA. Auch in Europa zeigen sich vermehrt solche Tendenzen – sowohl in einzelnen Staaten, wie auch als Bedrohung gegen die EU. Wir haben allen Grund, wachsam zu sein. Wir müssen alles tun, um unsere Demokratien zu schützen. Der verbesserte Schutz der Gebäude ist nicht ausreichend! Die Verbreitung rassistischen und rechtsradikalen Gedankenguts muss gestoppt werden. Thinktanks  wie solche von Seiten der AFD  dürfen – auch wenn sie als Stiftungen firmieren – nicht noch mit Steuergeldern unterstützt werden!