Egal, ob es um den Kohleausstieg geht, die Abschaltung von Atomkraftwerken oder um Öl- und Gaspipelines, immer spielt die Energiecharta dabei eine entscheidende – und zwar sehr teure Rolle. 55 Staaten und die EU haben diese 1994 beschlossen, um großen Energiefirmen Schutz für deren Investitionen in die Erschließung von Energieressourcen zu bieten.

Will ein Staat aus Klimaschutzgründen aus einer fossilen Energieerzeugung aussteigen, zieht der betroffene Konzern vor ein privates Schiedsgericht, um gegen den Staat Höchstsummen an Entschädigung zu erstreiten. So haben z.B. RWE und andere Firmen gegen die deutsche  Bundesregierung geklagt wegen des Atomausstiegs mit dem Streitwert von 4,7 Mrd. Euro. Vor dem Schiedsgericht hat man sich schließlich auf eine Entschädigungs-Summe von 2.34 Mrd. geeinigt. (vgl. hier, dort: 5. Hemmnisse für die EU-Energiepolitik)

Erstes wegweisendes Urteil des EUGH zu Schiedsgerichten

Schon 2018, hatte der EUGH im sog. Achmea-Urteil der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit eine Absage erteilt. Der Grund, der EUGH hält sie für unvereinbar mit den Grundprinzipien des EU-Rechts (LTO). Laut (FAZ) hatte das Urteil „die Aufkündigung vieler bilateraler Investitionsabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten“ und Unternehmen zur Folge.

Zweites richtungweisendes Urteil des EUGH alle Energie-Ausstiege betreffend

Nun hat der EUGH auf der Basis des Urteils von 2018 präzise zu der Energiecharta entschieden. Demnach finden die ETC-Schiedsklauseln innerhalb der EU keine Anwendung auf Klagen der Unternehmen gegen EU-Staaten. Es gehe nicht an, dass ein  internationales Übereinkommen solche Streitigkeiten dem Gerichtssystem der Union entzieht, ohne die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten. (CMS)

Für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens (maximale Erwärmung um 1,5°) ist dieses Urteil von entscheidender Bedeutung. Denn der menschengemachte  Klimawandel muss auch mit Hilfe enormer staatlicher Investitionen in erneuerbare Energien, in Umschulungen und vieles mehr eingehegt werden.

Wie es mit  der Energiecharta weiter gehen soll

Derzeit laufen 55 ETC-Verfahren (nach Angaben des ETC-Sekretariats). Es wäre gut, wenn sie jetzt hinfällig werden.

a) eine Forderung

Die Sprecherin der Grünen für Investitionspolitik im EU-Parlament, Anna Cavazzini, ist diesbezüglich aber skeptisch. Sie kommentiert:

„… leider haben Schiedsrichter die Tendenz, den Europäischen Gerichtshof einfach zu ignorieren. Daher brauchen wir eine grundsolide Entscheidung des Rates, dieses Urteil auch umzusetzen und so weitere Fälle zwischen den Mitgliedstaaten zu vermeiden.“ (FAZ, s.o.)

Denn bisher ist ungeklärt, ob die Unternehmen nicht doch ein Schlupfloch finden. Eventuell könnten von ihnen (jetzt eigens) sog. Briefkastenfirmen in außerhalb der EU liegenden Ländern eingerichtet werden, um von dort weiterklagen zu können.

b) eine andere Forderung

Deshalb fordern Klimaschützer schon seit langem, die EU sollte gemeinsam die Energiecharta kündigen (Umweltinstitut  München e.V.) Italien hat das schon vor Jahren getan. Deutschland schreckt davor zurück. Und es gibt auch Länder, die dagegen sind, weil sie selbst ihre Kohle noch lange weiter fördern wollen. Bisher konnten Unternehmen nach dem Austritt für weitere 20 Jahre die Verletzung ihrer Rechte geltend machen. Mit der neuen EUGH-Rechtsprechung müsste allerdings auch diesem Tatbestand ein Riegel vorgeschoben werden können.

c) noch ein anderer Weg

Die Kommission sieht die Möglichkeit, die Energiecharta neu zu verhandeln.  In der Vergangenheit wurde das von Vielen für ausgeschlossen gehalten. Man ging bisher davon aus,  alle Staaten müssten dem zustimmen.

Es gibt nun die Auffassung, das EUGH-Urteil eröffne ein großes Tor dazu. Die Kommission hat schon 2020 einen Entwurf dafür vorgelegt und verhandelt seitdem (CMS, s.o.)

Ergänzungen vom Nov. 2022

Mittlerweile haben zu viele Länder Zweifel, dass eine Reform angesichts des Klimawandels entscheidende Verbesserungen bringen wird. Deshalb entscheiden sich immer mehr Länder dazu, austreten zu wollen. Neben den Niederlanden und Spanien gehören dazu nun auch Frankreich und Polen sowie Slowenien und am 14. Nov. auch  Deutschland. Da die Mehrheit für eine Reform damit nicht mehr zustande kommt, könnte sich dann ggfs. auch die EU für einen Austritt entscheiden. Nachdem auch der Ministerrat der geplanten Reform des Vertrages eine Absage erteilt hat, fordert am 24.11.2022 das Europäische Parlament die Kommission auf, die Energiecharta zu kündigen.

Ergänzung vom April 2024

Der Handels- sowie Energieausschuss des EU-Parlaments haben am 9.4.2024 dem Austritt der EU aus der Energiecharta mit großer Mehrheit zugestimmt. Es gab 58 Stimmen dafür bei acht Neinstimmen und zwei Enthaltungen. Zuvor hatte die EU-Kommission den Vorschlag für einen koordinierten Austritt vorgelegt. Den Mitgliedsstaaten wird das Recht eingeräumt, auf eigenen Wunsch weiter im Vertrag zu verbleiben.