Verstärkte Bemühungen der EU um eine „ganzheitliche“ Strategie

Der Rat der EU drängt seit 2018 darauf, der Industriepolitik der EU eine hohe Priorität einzuräumen. Er beschleunigte seine Bemühungen aufgrund der Corona-Pandemie, die verdeutlichte, wie bedrohlich Abhängigkeiten von Lieferketten sein könnten. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine erhöhte die Erkenntnis, dass Europa sich schnellstens von hohen russischen Energieeinfuhren unabhängiger machen musste. Und die enger werdende Zusammenarbeit von China und Russland, sowie die zunehmenden chinesische Bedrohung von Taiwan machten deutlich, dass Europa unbedingt diversifiziertere Einfuhrmärkte für kritische Rohstoffe benötigt.

Außerdem ist aufgrund des europäischen Green Deals die Überzeugung gewachsen, dass Europa voran gehen sollte, was die Dekarbonisierung und den weiteren Ersatz fossiler Brennstoffe in der Industrie betrifft. Hinzu kam schließlich die US-amerikanische Politik der massiven Subventionierung der eigenen Anstrengungen, auf klimaneutrale Produktion umzustellen und Einfuhren auch europäischer Produkte zu erschweren.

In Anbetracht der zu Ende gehenden Legislaturperiode des EU-Parlaments im Sommer 2024 zeichnen sich nun verschiedene Neuerungen der europäischen Industriepolitik ab.

Stärkung der Versorgung mit kritischen Rohstoffen

Im Nov. 2023 haben das Parlament und der Rat der EU eine vorläufige Einigung für ein Gesetz dazu erzielt. Damit sollen drei Ziele erreicht werden: die Stärkung der strategischen Autonomie der EU, eine Diversifizierung der Versorgung mit kritischen Rohstoffen, sowie eine Stärkung der Kreislaufwirtschaft. (Was letztere betrifft, so wirft z.B. das Gesetz zum Export-Verbot für Plastikabfälle derzeit enorme Probleme auf, weil  bisher kaum Vorkehrungen dafür getroffen worden sind, wie die unglaublichen Mengen verwertet -oder „sauber“ verbrannt werden könnten.)

Die Ökodesign-Verordnung

Die vorläufige Einigung auf das Gesetz zu neuen Ökodesign-Anforderungen für nachhaltige Produkte erzielten die beiden Gremien im Dez. 2023. Was sich etwas abgehoben anhört, setzt wichtige Standards für die Nachhaltigkeit aller Produkte, die in der EU gehandelt werden. Zu dem Zweck wird ein digitaler Produktpass eingeführt, der die notwendigen Informationen dazu enthalten muss. Gut ist das längst überfällige Verbot,  neue unverkaufte Ware zu vernichten und hoffentlich damit auch, sie nicht mehr als Müll zu exportieren.

Die EU erhofft sich damit, u.a. gleiche(re) Wettbewerbsbedingungen für alle auf dem EU-Markt tätigen Unternehmen zu schaffen. Die Verwirklichung hätte starke Rückwirkungen auf die Produktionsanforderungen für Märkte außerhalb Europas – so wie ja auch bereits das europäische Lieferkettengesetz darauf abzielt, die Arbeits- und Produktionsbedingungen in den außer-europäischen Hersteller-Ländern anzuheben.

Förderung von Technologien für den grünen Wandel

Noch steht die Einigung hierauf mit dem Parlament aus. Aber der Rat hat ebenfalls im Dez. 2023 schon mal seinen Standpunkt zur    Netto-Null-Industrie-Verordnung festgelegt. Hierbei geht es in der EU um die Fortschritte bei der Verwirklichung der Klima- und Energieziele der EU für 2030 beim Übergang zur Klimaneutralität bei der Fertigung sauberer Technologien. Im Klartext geht es dabei um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, die das ohne Subventionen nicht schaffen kann. Außerdem muss die EU helfen, die Energieunabhängigkeit zu erreichen. Und natürlich sollen diese Maßnahmen dazu führen, hochwertige Arbeitsplätze in der EU zu erhalten.

Reform der Gestaltung der Elektrizitätsmärkte

Kurz vor Weihnachten 2023 haben Rat und Parlament sich auch noch auf eine wichtige Reform geeinigt. Sie soll helfen, europaweit die Abhängigkeit der Strompreise von den volatilen Preisen für fossile Brennstoffe zu verringern und damit den Verbraucherschutz zu verbessern. Das soll u.a. durch den vermehrten Einsatz der Erneuerbaren passieren (vermutlich ist damit die finanzielle Unterstützung des Ausbaus gemeint).

Erster Erfolg dieser Gesetze in Deutschland

Die schwedische Firma Northvolt suchte einen neuen Standort für die Produktion von Batterien für E-Fahrzeuge. Die USA boten ihr eine Subvention von 850 Millionen Euro.

Schleswig-Holstein wollte die Batteriezellproduktion in den Kreis Dithmarschen holen in eine bisher strukturschwache Region. Seit  Juli 2023  gilt die neue EU-Batterie-Verordnung. Die Regelung schreibt vor, in der EU produzierte Batterien nachhaltiger und wettbewerbsfähiger zu machen. Und das vom Abbau der Rohstoffe bis zum Recycling der verbrauchten Batterien. Den Produktions-Firmen werden konkrete Vorgaben zur Rücknahme und zur Wiederverwertung der Rohstoffe gemacht. Und für die Herstellung gibt es Vorgaben, wieviel des Materials aus Recycling-Prozessen zu stammen hat, eine Maßnahme, um die Herstellungskosten zu senken. Zusätzlich zu einem „Batteriepass“ mit diesen Informationen ist eine „CO²Fußabdruck-Deklaration“ erforderlich, die Auskunft gibt über die Menge an CO², die im Herstellungs-Prozess entsteht. Damit hatte Schleswig-Holstein erneut gute Karten, denn es verfügt über viel Windkraft auf der Nordsee.

Der Batterie-Produktion steht nichts mehr im Weg

Da die entscheidenden Kriterien erfüllt waren, hat die EU die Unterstützung Deutschlands für den Standort im Norden unserer Republik genehmigt. Die schwedische Firma wird eine Subvention von 700 Millionen Euro erhalten, sowie eine staatliche Garantie von 202 Millionen Euro. Von den direkten Zuschüssen werden 564 Millionen Euro vom Bund und der Rest vom Land Schleswig-Holstein bereitgestellt, berichtet die dpa.  Die Genehmigungen der Gemeinden und des Landkreises liegen vor. Die Bagger sind schon seit längerem tätig. Die Schwedische Firma will 4,5 Milliarden investieren und 3000 Arbeitsplätze schaffen. 2026 soll die Fertigung der Batterien starten und 2029 die volle Kapazität erreichen.

Im November 2023 teilt die Firma mit, ihr sei ein großer Erfolg in der Batterietechnologie gelungen. Es sei nun möglich, Natrium-Ionen-Batterien herzustellen. Diese kämen ohne Kobalt, Nickel und Lithium aus. Mit anderen Worten, die entwickelte Zelle sei sicherer, kostengünstiger und nachhaltiger als Batterien, die herkömmliche Chemikalien aus Nickel, Mangan und Kobalt oder Eisenphosphat verwenden. Auch Lithium und Graphit würde nicht verwendet. Die Natrium-Ionen-Batterie werde dagegen mit Mineralien wie Eisen und Natrium hergestellt. Im Gegensatz zu dem umweltschädlichen Abbau der bisher verwendeten Materialien seien Eisen und Natrium auf den Weltmärkten ausreichend vorhanden und offenbar weniger schädlich abzubauen.

Rückschlag für Northvolt

Drei Tote, 26 Unfälle und viele offene Frage. 8.7.2024: Die Polizei ermittelt zurzeit gegen die Northvolt-Fabrik. Drei Tote innerhalb von sechs Monaten – das rüttelt die schwedische Öffentlichkeit auf. Noch vor kurzem galt Northvolt als Vorzeigeprojekt. Das Unternehmen steht unter Druck. Um Investoren anzulocken, hat es schnelle Ergebnisse versprochen. Zu schnell? Die Arbeitsaufsichtsbehörde soll mehrfach schwerwiegende Mängel festgestellt haben. Auch sind viele Kunden zuletzt abgesprungen, bzw. die schwedische Niederlassung konnte sie nicht rechtzeitig beliefern. Die Firma hat daraufhin internationale Ausbaupläne zurückgefahren, will das aber nicht in Deutschland tun.

 

Weitere notwendige Anstrengungen für eine EU-Industriepolitik

Eine im Dezember 2023 vorgenommene Bewertung der Entwürfe der nationalen Energie- und Klimapläne (NECP) sieht die EU-Emissionssenkungen bei 51 Prozent. Somit würde  die EU das Ziel von 55 Prozent verfehlen. Mehr Anstrengungen aller Staaten sind erforderlich.

Nun wird die EU-Kommission am 6. Februar ihren Klimazielplan für 2040 vorlegen. Darin wird sie eine Treibhausgasreduktion von 90 Prozent anstreben, um bis zur Mitte 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Zu den beschlossenen Maßnahmen gehören höhere Ziele für erneuerbare Energien und die Energieeffizienz. Auch ein Konzept zur Dekarbonisierung der Industrie soll Teil des Klimazielplans sein.

EU will auch den Umgang mit CO² regeln

Es bleiben „Restemissionen“. Die stammen aus der Landwirtschaft und aus dem Verkehr. Auch die Industrie wird vermutlich noch Restemissionen ausstoßen. Deshalb muss die EU bereit sein, „bis 2030 mindestens 50 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr abzuscheiden“ und „bis 2050 bis zu 450 Millionen Tonnen“.  Und so sieht der Kommissionsentwurf vor, dass CO² zu einer handelbaren Ware werden soll – entweder für eine Nutzung oder für die Speicherung. Letzteres kann z.B. unter der Erde in ausgebeuteten Rohstoffkammern geschehen. Später will man ggfs. sogar CO² aus der Atmosphäre absaugen. Offenbar hatten Umweltverbände und „Die Grünen“ ihre Ablehnung dagegen aufgegeben. Aber inzwischen leben äußerst kritische Stimmen gerade erneut auf.

22.4.2024 auch Klimaneutrale Zementherstellung in Schleswig – Holstein

In Lägerdorf im Süd-Westen des Landes hat der Bau eines Vorzeige-Zementwerkes begonnen. Bei der Zementherstellung entsteht bisher reichlich CO², denn es ist im Ausgangsstoff Kalk gebunden. Nun soll das CO² durch eine innovative Technologie abgeschieden werden. Da diese Industrie etwa für 7-8% der weltweiten CO²- Emissionen verantwortlich ist, kommt einer neutralen Produktion eine enorme Bedeutung zu. Allein in Deutschland machen sie etwa 17% der Industrie-Emissionen aus. Diese Industrie zu entkarbonisieren, erfordert nicht nur große Investitionen in Möglichkeiten der CO²-Abscheidung und -Speicherung, sondern auch in den Einsatz alternativer Brennstoffe und Rohstoffe. Der Wind für die effiziente klimaneutrale Energieerzeugung ist vor Ort reichlich vorhanden. Die EU gibt Fördermittel von 110 Millionen Euro aus einem Topf für innovative Projekte.

All das will die Firma Holcim mit der „pure-oxyfuel“-Methode von Thyssen-Krupp bis 2028 möglich machen. Diese hilft das entstehende Prozess-Gas abzufangen. Danach kann es aufbereitet und z.B. gespeichert oder weiter verwendet werden. Schuhe oder Zahnbürsten könnten Firmen daraus herstellen und weit mehr.

Verein der Zementwerke (VDZ) entwickelt Label, Jan. 2025

Der VDZ will den Markt für grüne Zementprodukte stärken. Zu diesem Zweck hat er ein freiwilliges CO²-Label entwickelt. Dieses soll den CO²-Gehalt der unterschiedlichen Zementprodukte sichtbar und vergleichbar machen. Der Produzent  kann es z.B. auf seine Zementsäcke aufdrucken.  Ausschreibungen könnten darauf Bezug nehmen. Das könnte einen Wettbewerb um den niedrigsten CO²-Gehalt ankurbeln. Der VDZ verbindet damit die Hoffnung, dass CO²-reduzierter Zement auf diesem Weg zum Standard wird. Er sieht eine Kennzeichnung von fünf Stufen vor.