Seit dem 23. Juni 2022 hat die EU der Ukraine offiziell den Status eines Beitrittskandidaten zugesprochen. Am 25. Juni 2024 beginnen mit einer Regierungs-Konferenz der Mitgliedsländer die offiziellen Beitrittsverhandlungen sowohl mit der Ukraine, wie auch mit Moldau.
Am Ende der Verhandlungen müssen alle Mitgliedsstaaten sowie das Europa-Parlament dem Beitritt eines Landes zustimmen – in einigen Staaten sogar die nationalen Parlamente.
( dieser Text gehört in die obrige Rubrik B. EU Beitrittskandidaten ).
Die Ukraine – auch mit Nachrichten zum russischen Invasionskrieg
Die Ukraine, ein Land mit gegenwärtig knapp 42 Millionen Einwohnern – 77 auf dem Quadratkilometer -, grenzt im Nordosten und Osten an Russland und im Norden an Weißrussland. Im Westen grenzt es an Polen, an die Slowakei und an Ungarn. Und im Südwesten grenzt es an Rumänien und an die Republik Moldau. Das Land hat damit vier unmittelbare EU Nachbarn und drei, die außerhalb der EU liegen. Im Süden grenzt die Ukraine außerdem an das Schwarze Meer und im Südosten auch noch an das Asowsche Meer. Die Ukraine ist nach dem europäischen Teil Russlands das zweitgrößte Staatsgebiet in Europa mit gut 600.000 km². Die Hauptstadt ist Kiew, die politische Verfassung ist die einer Demokratie mit einem Präsidialsystem. Der jetzige Präsident heißt Wolodymyr Selenskyj.
Aktuell seit Jahren von Russland in militärische Konflikte gezwungen
Seit April 2014 hat Russland unter der diktatorischen Herrschaft von Präsident Putin völkerrechtswidrig die ukrainische Krim annektiert. Außerdem hat Russland einen Teil der beiden ukrainischen Provinzen Donezk und Luhansk quasi aus dem ukrainischen Landesverband herausgelöst. Dort war die ukrainische Schwerindustrie angesiedelt. Russland hat dort sogenannte „Rebellen“ aufgerüstet und dann auch noch militärisch dauerhaft unterstützt. Inzwischen hat Putin der dortigen Bevölkerung über 400 000 russische Pässe ausgestellt.
In diesem Krieg geht es dem östlichen Potentaten darum, die territoriale Integrität der Ukraine infrage zu stellen und das gesamte Land durch einen dauerhaft zu führenden Krieg zu destabilisieren. Nach Angaben der OSZE, die die immer wieder gebrochenen Waffenstillstandsvereinbarungen überwacht, sind bisher über 14 000 Tote zu beklagen.
Russland will immer wieder weitere Unruhe stiften
Im Frühjahr 2021 hat Russland große Militärkontingente an der östlichen Grenze der Ukraine zusammengezogen, offenbar zu einer ernst zu nehmenden Generalprobe. Das Gleiche auch im Winter 2021. Auch sperrte Russland widerrechtlich den Zugang der Ukraine zum Asowschen Meer für ein halbes Jahr, um dort „Seemanöver“ abzuhalten. Damit schnitt es den Zugang zu dem Hafen der ukrainischen Stadt Mariupol ab. Das wiederholt sich Ende 2021/Anfang 2022 erneut.
US Präsident Biden hat dem ukrainischen Präsidenten Unterstützung im Kampf um die territoriale Souveränität des Landes zugesichert. Ob diese Unterstützung über die Lieferung von militärischer Ausrüstung hinausgeht?
Die Eskalation durch Russlands Putin geht weiter. Am 21. Februar 2022 verkündet er die Übernahme der gesamten Provinzen Luhansk und Donezk, nicht nur der bisher besetzten Teile davon. Am 24.Februar 2022 erklärt Russland der Ukraine den Krieg. Allerdings darf der Krieg in Russland nicht als Krieg bezeichnet werden, sondern nur als Spezialoperation zur Befreiung der Ukraine vom Nationalsozialismus.
Angriffe gegen den Osten, die Mitte und den Süden der Ukraine ab Febr. 2022
Russland greift die Ukraine von Osten und von Norden -von Weißrussland aus- sowie von Süden an. Nach drei Wochen sind viele Städte stark zerstört oder immer wieder massiv unter Beschuss, besonders die zweitgrößte Stadt Charkiw im Osten mit gut 1,4 Mill. Einwohnern. Die Schlinge um Kiew, 1,5 Mill. Einwohner, wird immer enger gezogen. Das Denkmal von Babyn Jar wurde zerstört (so der ukrainische Präsident in seiner Rede vor dem Bundestag am 17.3.2022). Viele der Vorstädte liegen in Trümmern und in Kiew stehen nach der dritten Kriegswoche besonders die hohen Wohnhäuser unter Raketen-Beschuss. Der Beschuss richtet sich aber auch gegen Krankenhäuser, sowie Kindergärten und Schulen. Am 4.3. gab es einen Angriff Russlands auf das größte Atomkraftwerk Europas, das in Saporishja liegt. Am 19.3.2022 hat Russland, laut eigenen Angaben die erste Überschallrakete eingesetzt. Sie kann von westlicher Militärtechnik bisher angeblich nicht abgefangen werden!
Vernichtungskrieg gegen die Ukraine
Mariupol, die Hafenstadt am Asowschen Meer, wird seit Wochen beschossen und ist eingekesselt. Die 440.000 Menschen dort haben mittlerweile weder fließendes Wasser noch Strom noch Heizung. Fluchtrouten für die Bevölkerung werden immer wieder angegriffen. Das zeigt die Brutalität, mit der Russland seine Ziele verfolgt. Es heißt: vor der Invasion und dem ständigen Beschuss der Stadt haben diese ca. 100.000 verlassen. 2014 hatte die Stadt die damaligen Eroberungsversuche noch abwehren können. Evtl. ist nach drei Wochen noch einmal 40-50.000 Menschen die Flucht in Privatautos gelungen. Viele Menschen sollen nach Russland verschleppt worden sein. Angeblich hat man ihnen die Pässe abgenommen. Damit wären sie staatenlos – d.h. schutzlos!
Trotz der katastrophalen Lage verteidigen die Ukrainer ihre Stadt weiter. Sie weigern sich auch, der russischen Forderung nach Kapitulation (21.3.22) nachzukommen. Fluchtkorridore sollen nun stundenweise funktioniert haben. Jetzt heißt es, es seien noch 160.000 Menschen in der Stadt. Im Mai wird weiterhin das Stahlwerk von Russland pausenlos bombadiert – vermutlich sogar mit Phosphorbomben.
Die Lebensader zum Westen zerstören
Putin will auch die drittgrößte Stadt der Ukraine, die Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer sowohl vom Meer wie auch vom Land aus von der Ukraine abschneiden. (Siehe die Berichte zu Odessa). Er will damit die wichtigste Verbindung der Ukraine zur freien Welt und zum Handel mit ihr zerstören. Inzwischen setzt die russische Armee in Vororten Streubomben ein – seit langem in Europa verboten – ein weiteres Kriegsverbrechen (Die Zeit, 12/22). Vom Meer her bereits abgeriegelt, kommen die russischen Truppen auf dem Boden bisher (21.3.) nicht bis zur Stadt vorwärts. Aber ukrainische Schiffe, die geernteten Weizen, sowie Mais nach Afrika und in sonstige Abnehmerländer ausliefern wollten, werden nicht nur behindert, sondern z.T. entführt. So droht sich der russische Krieg nicht nur durch höhere Preise bei uns auszuwirken, sondern er kann in armen Ländern zu einer großen Hungerkatstrophe führen.
Was ist das Ziel dieses Krieges?
Putin hat sein Ziel in seinen Reden zur russischen Geschichte quasi immer wieder benannt. Für ihn hat nie eine unabhängige Ukraine existiert. Die Ukraine ist für ihn zusammen mit Weißrussland das dreieinige Russland, das Kernland der Russen.
Deshalb ist das Ziel, die Zerstörung des ukrainischen Staates (zur Bedeutung vgl. hier Punkt 4!).
Er mag geglaubt haben, dass viele Ukrainer sich gerne in das „russische Reich“ integrieren würden. Durch den Mut zur Verteidigung der Ukraine musste er erfahren, dass die Ukrainer das nicht wollen. Da Frauen und Kinder fliehen, hofft er nun, dass diese Flüchtlingsströme Europa wirtschaftlich zurückwerfen und überfordern werden, vielleicht auch spalten. Den wirtschaftlichen Ruin der Ukraine aufgrund der Zerstörungen nimmt er in Kauf. Es soll kein blühendes Land vor seinen Toren geben und schon gar keine Demokratie. Destabilisierung, so wie er das seit 8 Jahren im Donbass tut, ist nur ein Minimalziel.
Zweiter Anlauf der Invasion
Nach ca. 6-8 Wochen hat sich das russische Militär aus dem Norden der Ukraine zurück gezogen und nicht nur große Verwüstungen, sondern auch sichtbare Menschheitsverbrechen zurück gelassen. Dafür steht besonders der Name der Stadt Butscha.
Nach Umgruppierung der Truppen nach Osten und Süden, will Russland besonders die Regionen Luhansk und Donbass nun ganz für sich erobern, sowie den gesamten Süden, vor allem Odessa bis runter nach Süden zur Teilrepublik Transnistrien. Er hätte dann den Ring rund ums Schwarze Meer geschlossen.
Aus der Stadt Charkiv konnten die Ukrainer das russische Militär weitgehend vertreiben. Nennenswerte Geländegewinne sind „den Russen“ bisher (Mitte Mai) nicht gelungen. Eine weitere Entwicklung s. ganz am Ende des Artikels.
1. Geschichte
Im 5. vorchristlichen Jahrhundert gab es griechische Kolonien an der Schwarzmeer Küste – ein erster Beleg der Zugehörigkeit der Ukraine zu Europa.
1000 nach Christi Geburt hieß das Gebiet, das zu der Zeit Teile Russlands, Weißrusslands und der Ukraine umfasste, „Kiewer Rus“. 988 erfolgte die griechisch-orthodoxe Christianisierung der RUS, die das Gebiet zusammenhielt. Dieses Gebiet gilt als slawische Wiege dieser Länder.
Im 12. Jahrhundert gab es ein Fürstentum mit eigenständigem Herrschaftsgebiet. Dieses trug den Namen Ukraine, „Grenzgebiet“.
1237-1240 wurde dieses Gebiet von mongolischen Invasionen heimgesucht.
Litauisch – polnische Herrschaft
Im 14. Jahrhundert kamen die südwestlichen Gebiete Galizien-Wolhynien unter die Herrschaft des Großfürstentums Litauen.
Daraus entstand später für mehr als zwei Jahrhunderte die gemeinsame Republik Polen-Litauen (1569-1795). Diese konstitutionelle Monarchie hatte parlamentarische Elemente. Sie war ein Vielvölkerstaat. Und sie zeichnete sich durch eine politisch gestützte Religionsfreiheit aus für katholische, wie auch für protestantische, orthodoxe und apostolische Christen sowie außerdem für Juden und Muslime, allerdings unter der Dominanz des polnischen katholischen Klerus. Gleichzeitig entwickelte sich eine ukrainische Schriftsprache und Literatur. 1648 rebellierten die Ukrainer gegen die polnische Herrschaft, konnten sich aber nicht auf Dauer durchsetzen. Sie stellten sich zeitweise unter russischen, dann unter schwedischen Schutz. Das wurde schon damals von den Russen als Verrat angesehen! Und in Russland begann man deshalb von den Kleinrussen zu reden.
Die erste Verfassung Europas
Kriegerische Auseinandersetzungen sorgten dafür, dass die Ukraine nach 1709 zur Republik Polen-Litauen gehörte. Für den polnisch-litauischen Staat wird schließlich 1710 nicht nur die „erste Verfassung Europas“ beschlossen. Sondern in dieser wird auch eine Form der Gewaltenteilung festgelegt. Und das eine Generation bevor Montesquieus diese revolutionäre politische Idee in seiner Abhandlung „Vom Geist der Gesetze“ (1748) vorlegte.
Katharinas Herrschaftsanspruch
Die östlichen Gebiete dagegen gerieten unter russisch-zaristische Herrschaft. Auf Grund dieser historischen Entwicklungen wurde die Ukraine zum russisch-polnischen Rivalitäts-Gebiet und zum umkämpften Grenzland. Die russische Zarin Katharina (die aus Preußen stammte), genannt die Große (1762-1796), dehnte die russische Herrschaft bis ans Schwarze Meer aus, indem sie 1794 Odessa gründen ließ. Bei der zweiten polnischen Teilung 1793 einverleibte Russland sich größere Teile von Weißrussland sowie von der Ukraine. 1783 während der Herrschaft Katharinas sind die Bauern der Ukraine den Großgrundbesitzern als Leibeigene zugewiesen worden.
Im 18. Jhdt. wurde auch die Krim vom Russischen Kaiserreich annektiert. Bis dahin lag im Süden der heutigen Ukraine das Khanat der Krimtataren. Sie griffen Kiew und die Kirchen mehrfach an und zerstörten letztere teilweise.
Ukrainische Nationalbewegung
Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts fand von der Westukraine, von Lemberg aus allmählich die Entwicklung einer ukrainischen Nationalbewegung statt. Sie richtete sich gegen die russische Ideologie eines dreieinigen Volkes aus Groß- und Kleinrussen, den Ukrainern und den Weißrussen.
Am 7. November 1917 wird die Ukrainische Volksrepublik ausgerufen, nur einen Tag, nachdem in Russland die provisorische Regierung durch die Bolschewiki gestürzt wurde. Und am 29.4.1918 konstituiert sich der autonome ukrainische Staat. Doch bereits ein Jahr später, am 10.3.1919 wird ein Großteil des Landes nach militärischer Intervention durch die rote Armee unter Leo Trotzki zwangsweise als „Ukrainische Sozialistische Sowjet Republik Teil der Sowjetunion. Westliche Gebiete gingen an Polen, die Tschechoslowakei und Rumänien.
Ukrainische oder Russische Sprache
Eine wesentliche Rolle hinsichtlich der nationalen Identifikation spielt der immer wieder neu entfachte Streit darum, welche Sprache die Amtssprache ist. Dieser Streit beginnt mit der sich auseinander entwickelnden Sprache durch die verschiedenen Zugehörigkeiten des ukrainischen Gebietes zu unterschiedlichen Herrschaftsbereichen (und deren Sprachen).
Als aufgrund des russisch-türkischen Krieges (1768 – 1774) immer mehr Gebiete dem russischen Reich eingegliedert wurden, verbreitete sich auch die russische Sprache erneut besonders in den Städten. 100 Jahre später wurde die ukrainische Sprache als kleinrussische Sprache abqualifiziert. Zaren haben sie mehrfach verboten, wieder zugelassen, erneut verboten – im Druck und sogar in Liedern.
Ab 1991, also der Selbständigkeit der Ukraine, setzt eine intensive Phase der Ukrainisierung und Zurückdrängung der russischen Sprache aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens ein. Es gibt nur noch eine Amtssprache, auch in den Schulen wird das Russische zurück gedrängt. Seitdem gibt es immer wieder Streit darum, auch das Russische als Amtssprache zuzulassen.
Der Holodomor
Die Sowjetunion beutete u.a. die „Kornkammer“ Ukraine gnadenlos aus. Nach der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft unter Stalin, als in Russland nicht mehr genug geerntet wurde, konfiszierte die Sowjetunion die Ernten der ukrainischen Bauern. Russland ließ die Ernten abtransportieren – einerseits zur eigenen Versorgung, aber andererseits auch zum Export, um an Devisen zu kommen. Dadurch kam es in der Ukraine zu der von außen „angeordneten“ Hungersnot ab 1929, besonders 1932/33. Diese Hungersnot war deshalb so bitter, weil die Bauern ja genügend Nahrungsmittel erarbeitet hatten. In der Ukraine fielen diesem tödlichen Hunger 3,9 Millionen Menschen zum Opfer. Das sind mehr als 13% (spektrum.de, Nov. 2022) der damaligen Bevölkerung (vgl. Anne Applebaum, Roter Hunger)
Nach 1991, also gleich nach der staatlichen Unabhängigkeit, deklarierte die Ukraine dies als Völkermord. Sie benannte diesen Holodomor. Bisher haben folgende Staaten dies Verbrechen entsprechend anerkannt: Kanada, Mexiko, Portugal, die baltischen Staaten und einige Staaten in Südamerika. Aber Deutschland oder Frankreich z.B. nicht!
Ergänzung vom 30.11.2022 und vom Mai 2023; Deutsche Verantwortung heute
Die neue Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat einen Antrag zur Einordnung des massenhaften Hungertodes als Menschheitsverbrechen eingebracht. Aus „heutiger Perspektive“ liege „eine historisch-politische Einordnung als Völkermord nahe“, schreiben die Abgeordneten. Der Antrag wird auch von der oppositionellen CDU unterstützt. Und der Bundestag nimmt in diesem Zusammenhang endlich auch Stellung zu den deutschen Verbrechen in den vierziger Jahren.
Nach der Anerkennung des russischen Genozids durch die EU (Ende 2022) hat im Mai 2023 -nach der französischen Nationalversammlung- auch die zweite Kammer, der Senat anerkannt, dass es Russland um die Auslöschung der Ukraine ging. Der Text des Senates verurteilt auch die schon damals erfolgte „Deportation von Hunderttausenden ukrainischer Kinder nach Russland“ während des Holodomor, die mit dem Ziel geschehen sei, „sie zu russifizieren.“
Das deutsche „Herrenvolk“ im Zweiten Weltkrieg
Im 2. Weltkrieg wird die Ukraine von 1941-1943/44 von Deutschland besetzt und als „Reichskommissariat Ukraine“ zwangsverwaltet. Nazi-deutsche Pläne liefen darauf hinaus, in der Ukraine 20 Millionen Deutsche anzusiedeln. Kriegerische Auseinandersetzungen auf dem Boden der Ukraine fanden nicht nur zwischen der Roten Armee der Sowjetunion und der deutschen Wehrmacht statt, sondern auch zwischen der SS und den ukrainischen Partisanen. Da die Ukrainer von den Nazis als Slawen angesehen wurden, galten sie in der NS-Ideologie als Untermenschen. Das kommt z.B. in einem Wehrmachtsbefehl vom März 1943 so zum Ausdruck:
„Wir sind ein Herrenvolk, das bedenken muß, daß der geringste deutsche Arbeiter rassisch und biologisch tausendmal wertvoller ist als die hiesige Bevölkerung“. (Die Zeit 12/22, S.17) Deshalb ließ man Kriegsgefangene so wie auch die Bevölkerung verhungern oder nach Seuchen und Misshandlungen einfach sterben.
Schon im 1. Weltkrieg hatte es zu den deutschen Kriegszielen gehört, das Getreide der Ukraine zur Ernährung der deutschen Truppen an der Westfront zu nutzen – die spätere Idee Hitlers von der Kornkammer.
Zwangsarbeiter*innen und Juden
Da der Krieg nicht mit einem Blitzkrieg beendet werden konnte und damit viele Arbeitskräfte in Deutschland fehlten, verfrachtete man allein eine bis zwei Millionen Ukrainer *innen ab 14 Jahren zur Zwangsarbeit ins „Dt.Reich“. (Insgesamt gab es über 3 Millionen Ostarbeiter*innen während des Krieges in Deutschland, vgl. Einleitung zu V. Pedak). Für eine „Vernichtung durch Arbeit“ waren Slawen im Gegensatz zu Juden „gut“ genug.
Von den 2,7 Millionen jüdischen Menschen hatte die SS bereits wenige Monaten nach der Besetzung schätzungsweise 850 000 umgebracht (Ukraine, S. 58), insgesamt schließlich 1,6 Millionen. Allein bei dem Massaker in der Schlucht von Babyn Yar in der Nähe von Kiew erschoss die SS an nur zwei Tagen, Ende September 1941 über 33 000 Juden und später weitere – genannt „Holocaust durch Kugeln“ (Patrick Desbois). Insgesamt sollen dort während des 2. Weltkrieges geschätzt 100.000 Leichen verscharrt worden sein, u.a. auch Kriegsgefangene und Zivilist*innen anderer sowjetischer Nationalitäten (ASF, Zeichen, Nr. 1, 2022, S. 6)
Erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass Yad Vashem mehr als 2 600 Ukrainer*innen als Gerechte unter den Völkern ehrt wegen ihrer Hilfe bei der Rettung von Juden. (In Deutschland sind es um die 650 Menschen, in Polen waren es 2013 bereits ca. 6000)
Die Ukraine – das Kernland der Bloodlands:
„Mitten in Europa ermordeten das NS – und das Sowjetregime in der Mitte des 20. Jahrhunderts 14 Millionen Menschen. Der Ort, wo alle Opfer starben, die Bloodlands, erstreckte sich von Zentralpolen bis Weißrussland, einschließlich der Ukraine, Weißrusslands und der baltischen Staaten. Während der Konsolidierung von Nationalsozialismus und Stalinismus (1933-1938), der deutsch-sowjetischen Besetzung Polens (1939-1941) und des deutsch-sowjetischen Krieges (1941-1945) erlebte diese Region Massengewalt in einem historisch beispiellosen Ausmaß. Die Opfer waren vor allem Juden, Weißrussen, Ukrainer, Polen, Russen und Balten, die Bewohner dieser Länder. Die 14 Millionen Opfer wurden in nur 12 Jahren ermordet zwischen 1933 und 1945, als Hitler und Stalin gleichzeitig an der Macht waren. Obwohl ihre Heimatländer in der Mitte dieser Epoche zu Schlachtfeldern wurden, waren sie alle Opfer einer mörderischen Politik, keine Kriegsopfer.(Hervorhebung vom Verf.).
Snyder schreibt weiter
Der 2. Weltkrieg war der mörderischste Krieg der Geschichte und etwa die Hälfte der gefallenen Soldaten dieses Weltkrieges starben in derselben Region, den Bloodlands. Unter den 14 Millionen Opfern war aber kein einziger aktiver Soldat. Die meisten waren Frauen, Kinder und Alte, allesamt unbewaffnet. Viele hatten alle Habe verloren, auch die Kleider“ (Timothy Snyder, Vorwort, S.9f.).
Interview (DLF) mit dem ukrainischen Botschafter in Deutschland am 8.5.2020
75 Jahre nach Kriegsende sagt dieser in Bezug auf sein Land im 2. Weltkrieg: „Das ist ein riesiger blinder Fleck im historischen Gedächtnis Deutschlands“. Die Ukraine hat 8 Millionen Kriegsopfer zu verzeichnen, davon sind 5 Millionen Zivilisten und 1,6 Mill. ukrainische Juden. „Jedes 5. Opfer in Europa ist ein Ukrainer“. (S.E. Dr. Andrej Melnyk, LL.M.)
In Deutschland bis heute weitgehend unbekannt und unbenannt
In der Tat: Wenn in Deutschland vom 2. Weltkrieg und seinen Opfern die Rede ist, wird in der Regel nur von der Sowjetunion gesprochen oder geschrieben und dort von 27 Millionen Toten. Und meistens wird diese hohe Zahl von Opfern gedankenlos nur mit Russen gleichgesetzt. Sehen wir die Artikel in Wikipedia mit der Frage durch, welches einzelne osteuropäische Land denn wie viele Opfer zu verzeichnen hat, ist leider bis heute keine Liste mit einer Aufschlüsselung der großen Sowjetunion in seine einzelnen Staaten zu finden. Nur in der englischen Wikipedia gibt es eine detaillierte Auflistung nach Ländern einerseits und dort überdies nach Soldaten und Zivilisten andererseits.
Welches Land hat wie viele Opfer erleiden müssen?
Demnach haben prozentual die Weißrussen mit über 25 % die höchste Opferzahl. (Von 10 Mill. kamen lt. Wikipedia ca. 1,7 Mill. um). Ihnen folgen die Ukrainer mit über 16%. Die Bevölkerungszahl mit über 41 Millionen damals war dort nach Russland die zweithöchste. Auch spielte sich der Krieg besonders auf ihrem Gebiet ab. Mit ca. 7 Millionen hatte die Ukraine auch besonders viele Tote zu beklagen. (Diese Zahlen stammen von dem russischen Historiker Vadim Erikman von 2004. Vermutlich sind die jüdischen Bewohner darin enthalten.)
Die Analysen verdeutlichen: es ist eine bewusste Geschichtsmanipulation, wenn Russland sich selbst als Hauptopfer des 2. Weltkrieges darstellt.
Ein Schein-souveräner Staat, aber ab Ende 1991 unabhängig
1949 gehört die Ukraine zu den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen. Denn zu diesem Zeitpunkt sah es die Sowjetunion als opportun an, die Ukraine der Weltöffentlichkeit als souveränen Staat zu präsentieren, obwohl sie seit 1919 zwangsweise Teil der UDSSR sein musste.
1986 kommt es zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, der verheerenden Kernschmelze in einem Atomkraftwerk sowjetischer Bauart. Das Atomkraftwerk liegt gerade mal 100 km Luftlinie von der Hauptstadt Kiew entfernt.
Am 24. August 1991 erklärte die „Ukraine“ ihre Unabhängigkeit. Am 1.Dezember bestätigen mehr als 90% der Ukrainer in einer Volksabstimmung die Unabhängigkeitserklärung.
Daraufhin beschließen am 8.12.1991 Jelzin sowie der weißrussische Parlamentspräsident und der ukrainische Präsident das Ende der Sowjetunion. Am 31.12. hört die Sowjetunion auf zu existieren. Die Ukraine wird dadurch völkerrechtlich formal unabhängig, bleibt allerdings parteipolitisch weiter in kommunistischer Hand.
Die territoriale Integrität des Landes
„1994 hatte das Land den Verzicht auf das auf ukrainischem Territorium lagernde drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt aus sowjetischen Zeiten erklärt. Im Gegenzug verpflichteten sich die USA, Großbritannien und Russland, die Grenzen der Ukraine zu achten“ (Spiegel).
Diese Verpflichtung gilt als Gewährleistung der territorialen Integrität des Landes als souveräner Staat. So sehen es auch die Vereinten Nationen. Die Ukraine hat im Budapester Memorandum von 1994 auf atomaren Schutz verzichtet im Vertrauen auf Frieden auch mit dem russischen Nachbarn. Sie versteht das Memorandum berechtigterweise als Garantie für ihren Frieden. Denn sowohl Russland wie auch Großbritannien und die USA haben der Ukraine dafür Sicherheitsgarantien gegeben. Das Memorandum entstand während einer Verhandlungsrunde der KSZW, die 1975 die Helsinki Deklaration vereinbart hat. Es bezieht sich ausdrücklich darauf.
Bruch dieses Vertrags durch Russland
Ebendiese doppelt unterschriebene Verpflichtung hat Russland unter Putin durch die widerrechtliche Annexion der Krim und den Krieg im Osten der Ukraine um Gebiete der Regionen Luhansk und Donezk eklatant verletzt. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, was von der „Vertragstreue“ Russlands zu halten ist.
Reformerische Entwicklungen
Vom 22.11.2004 bis zum 23.1. 2005 kommt es in der Ukraine zur „Orangenen Revolution“. Diese war eine hoffnungsvolle Protestbewegung. Sie wurde hauptsächlich von Schülern, Studenten, Auszubildenden und Doktoranden getragen. Auslöser waren die Präsidentschaftswahlen von 2004. Die Protestierenden kritisierten Wahlbetrug und erreichten sogar eine gerichtliche Annullierung der Ergebnisse der Stichwahl. Deren Wiederholung hat die Wahl von Wiktor Juschenko, einem Mann, der durch ein Säure-Attentat im Gesicht entstellt war, zum ukrainischen Präsidenten erbracht.
2010 wird allerdings der nach Russland orientierte Wiktor Janukowitsch, der Widersacher von Juschenko von 2004, zum Präsidenten gewählt. Zwar hat er mit der Europäischen Union ein Assoziierungsabkommen für die Ukraine ausgehandelt. Aber im letzten Moment vor der Unterzeichnung tritt er auf Grund des Drucks aus Moskau von diesem Abkommen zurück.
Erneuter Versuch, die russische Vorherrschaft abzuschütteln
Daraufhin kommt es 2013/14 erneut zu einer beeindruckenden Protestbewegung, diesmal getragen von der Mittelschicht – Kleinunternehmern, Inhabern von Kliniken und Geschäftsleuten. Bekannt unter dem Namen „Euro Maidan“, fordern die Menschen nun einen grundlegenden Systemwechsel. Präsident Janukowitsch verlässt daraufhin fluchtartig das Land Richtung Moskau, nicht ohne seine angehäuften Reichtümer mitzunehmen.
Die Rolle des Gases
Vor der Fertigstellung der Gaspipeline North Stream 1 durch die Ostsee hat Russland russisches Gas vor allem durch die Ukraine nach Westen geleitet. Mit den Gasleitungen North Stream 1 und 2 aber soll die Ukraine umgangen werden (Polen ebenfalls). Damit wird der Ukraine eine wichtige Einnahmequelle genommen, nämlich die Durchleitungsgebühr. Aber nicht genug damit. Mitten im Winter hat Russland 2014 die Gaslieferungen an die Ukraine zeitweilig gestoppt, um zusätzlich höhere Gaspreise durchzusetzen. So versucht Russland ständig neuen Druck auf die Ukraine auszuüben. (Auch in Estland passierte so etwas).
Aber in Deutschland hieß es weiterhin: Auf russische Lieferungen konnten wir uns immer verlassen.
Imperialistische Angriffe durch Jahrhunderte
Es gibt eine immer gleiche Linie der imperialen, aggressiven Politik gegenüber der Ukraine. Die erste Konfrontation ist die mit Polen-Litauen. Mit der Politik der Zarin Katharina beginnt die teilweise Einverleibung. Es folgt die aggressive Expansionspolitik der nunmehr kommunistischen Sowjetunion bereits 1919. Sie besiegelt das Ende der gerade erlangten ukrainischen Selbständigkeit. Ein weiterer brutaler Schritt der Unterjochung ist die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in der Ukraine mit der absichtlich in Kauf genommenen Hungerkatastrophe – dem Holodomor – durch den Diktator Stalin.
Fortsetzung in der Jetztzeit
Nach der erneuten Autonomie des Landes nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion findet die Aggressionspolitik ihren Anfang in der Ukraine-Politik des autokratischen Regimes von Putin mit der Annexion der Krim und dem Angriff auf die Ostukraine. Diese Schritte erfolgen, trotz ausdrücklichem auch von Russland unterzeichnetem Memorandum von 1994 zu den bestehenden Grenzen. Die militärische und auch die wirtschaftliche Fuchtel des aggressiven Imperialismus bleibt also immer die gleiche. Nur die ideologiepolitischen Vorzeichen haben mit den Zeitläuften gewechselt.
Die Verteidigung durch die USA und Großbritannien heute – nach dem Überfall auf das gesamte Gebiet der Ukraine – ist nicht nur folgerichtig, um dem russischen Imperialismus endlich die Stirn zu bieten. Sondern aufgrund der im Budapester Memorandum 1994 gegebenen Sicherheitsgarantien ist die Verteidigung der Ukraine eine völkerrechtlich verbindliche wie auch moralische und ethische Verpflichtung des Westens und der freien Welt. Deutschland ist schon allein aufgrund seiner historischen Verantwortung verpflichtet, der Ukraine so viel wie möglich zu helfen, vgl. dazu oben „Das deutsche Herrenvolk…“ allerdings geht es dabei auch um unsere eigene Zukunft, denn der Imperialismus kennt keine Grenzen.
2018 und 2019
Trotz des enormen Drucks aus Russland unter Putin schreibt die Ukraine 2018 unter dem Präsidenten Poroschenko mutig die Westorientierung hin zur EU – angestrebte Mitgliedschaft– und 2019 zur Nato in der Verfassung fest. 2019 wählen sie in einer Stichwahl gegen den Amtsinhaber Poroschenko mit mehr als 70% den Fernsehkomiker Wolodymyr Selenskyj zum Präsidenten. Er ist ein ukrainischer Jude, der im Holocaust mehrere Familienangehörige verloren hat.
2. Grunddaten und Entwicklung
Die guten Schwarzerdeböden der Ukraine zählen zu den ertragsreichsten der Welt. Ein Großteil des Weizens kommt daher. Sie sind aber inzwischen sehr erosionsanfällig. Denn wie oft in der Sowjetunion und auch danach sind sie falsch bestellt worden. Gegenwärtig, d.h. seit dem Sturz des Präsidenten Janukowitsch sind sie leider außerdem dem sog. „landgrabbing“, dem Aufkauf durch rein Rendite orientierte ausländische Investoren ausgesetzt. Das sind solche aus dem kommunistischen China aber auch aus dem Westen.
Nach der formalen Selbständigkeit 1991 versuchte die Ukraine von der bisherigen Staatswirtschaft zur Marktwirtschaft überzugehen. Doch dies gelang nur schrittweise. Zunächst fand die Transformation in eine Clanwirtschaft statt, in der sich mächtige Oligarchen, oft frühere, schon reiche Kommunisten die lukrativen Wirtschaftszweige unter einander aufteilten. Seit der erfolgreichen Währungsreform von 1996 kam (so) die Privatisierung der Landwirtschaft und von Teilen der Industrie voran.
Abriegelung der Industrieregion durch Russlands Eingriffe
Die Industrie und die reichen Steinkohlevorkommen in den Regionen Donezk und Lugansk waren für die Ukraine besonders wichtig. Aber seit dem Eindringen russischer „Unterstützer“ ab 2014 stehen sie unter der Kontrolle der von Russland gestützten Rebellen – wenn sie denn überhaupt noch produzieren.
Anteil der Wirtschaftssektoren 2017 am BIP in Prozent und Anteil der Beschäftigten
Sektoren Beschäftigte
Land und Forstwirtschaft und Fischerei 10,2% 17,7%
Bergbau inklusive Öl- und Gasförderung 6,1%
Verarbeitendes Gewerbe 12,4%
Energieversorgung 2,9%
Baugewerbe 2,3% 4,0%
Dienstleistungen 50,3% 63,1%
(Angaben Germany Trade and Invest GTAI).
Angaben zur Bevölkerung
2016 kamen in der Ukraine auf 1000 Einwohner noch 10,5 Geburten, aber 14,4 Todesfälle. Bis 2050 wird daher für die Ukraine eine weitere Schrumpfung der Bevölkerungszahl bis auf nur noch 36 Millionen (jetzt 42) Einwohner vorausberechnet. Hinzu kommen folgende Daten:
2017 lebten ca. 6,7 Millionen Personen, die in der Ukraine geboren wurden, im Ausland, davon 3,3 Millionen in Russland und 2,2 Millionen in Polen. In den USA lebten 380 000 Ukrainer, 350 000 interessanterweise in Kasachstan, 260 000 in Deutschland und 240 000 in Italien. In der Ukraine selbst waren 2017, also im gleichen Jahr 11,2% der Bevölkerung im Ausland geboren, die meisten davon in Russland.
Die Frage der Religionszugehörigkeit
Heute sind bereits 60% der Bevölkerung konfessionslos. Die religiösen Denominationen sind ukrainisch orthodox und römisch katholisch, außerdem jüdisch und protestantisch. Zwei kleinere Teile der ukrainisch-orthodoxen Kirche haben sich früh von der russisch-orthodoxen getrennt. Sie haben sich zur Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) zusammengeschlossen und sind schließlich 2018 vom ökumenischen Patriarchen aus Konstantinopel, Bartholomäus I. anerkannt worden.
Die UOK, Moskauer Patriarchat, wohl der größere Teil der ukrainischen orthodoxen Kirche, hat sich nach 1991 als selbstständiger Teil mit Autonomie nach innen organisiert. Die UOK konnte sich erst Ende Mai 2022, nach dem russischen Angriffskrieg und dessen Rechtfertigung durch den Moskauer Patriarchen Kyrill, zu einer Lossagung vom Moskauer Patriarchat durchringen.
Aber das russisch-orthodoxe Patriarchat beansprucht immer noch Heiligtümer für sich. Obwohl in sowjetischer Zeit die meisten Kirchen zerstört oder umfunktioniert waren, erhielten die Kirchen bekanntlich unter Putin einige frühere Besitztümer zurück und pochen nun vehement darauf. Auch der russische Staat will die Loslösung der UOK nicht anerkennen.
Das berühmte Kiewer Höhlenkloster (s.o.) liegt am Westufer des Dnepr. Der erste Bau geht auf 1051 zurück. Seit 1990 ist es zusammen mit der Sophienkathedrale Weltkulturerbe. Es beherbergt u.a. das „Museum der historischen Kostbarkeiten der Ukraine“, dort z.B. ein wunderschönes Goldpektoral der Skythen aus dem 4. Jhdt. v. Chr. Rainer Maria Rilke besang das Kloster in dem Gedicht: Weißt Du von jenen Heiligen?
Der ukrainische Staat und die UOK
Der ukrainische Staat hat die Kirchen und Klostergemeinschaften der UOK seit Kriegsbeginn mehrfach als Hort der russischen Propaganda bzw. der Spionage für Russland bezichtigt und Razzien durchgeführt. Am 10. August 2023 entschied ein Kiewer Wirtschaftsgericht, die Ukrainische Orthodoxe Kirche müsse dem staatlichen Klostermuseum 79 Gebäude auf diesem Territorium zurückgeben. Faktisch würde diese noch nicht rechtskräftige Entscheidung bedeuten, dass die Ukrainische Orthodoxe Kirche das Kiewer Höhlenkloster mit seinen Kirchen, dem Sitz des Metropoliten, der Schule sowie einem Hotel und anderen Gebäuden verlassen muss. Im Herbst 2023 soll das ukrainische Parlament über einen Gesetzentwurf beraten, in dem es um ein Verbot der UOK geht.
Der Einfluss von Oligarchen
Ein Kernübel der ukrainischen Wirtschaft und Gesellschaft ist leider noch immer die Korruption. Nach wie vor beherrschen Oligarchen die Schalthebel der Macht. Anerkennenswerterweise aber es gibt substantielle Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung – vgl. weiter unten.
2019 wird das Kaufkraft bereinigte BIP pro Einwohner mit 13 442,-US Dollar pro Jahr angegeben. Ein Großteil der Bevölkerung muss daher mit gerade mal 1000,-US Dollar im Monat zum Leben auskommen. Der nicht enden wollende Kriegszustand unter massivem russischen Einfluss im Osten schwächt die ukrainische Wirtschaft nachhaltig. Auch das ist ein sehr willkommenes Ziel der fortdauernden russischen Aggressionspolitik.
3. EU Beziehungen und die gegenwärtigen Spannungen mit Russland
Seit 2009 ist die Ukraine Mitglied der „Östlichen Partnerschaft der EU“ zusammen mit Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Weißrussland und Moldau.
Damit wurden diese sechs Staaten von der EU zu langfristig möglichen Beitrittskandidaten ausgewählt, natürlich unter der Voraussetzung grundsätzlicher Reformen. Diese Partnerschaft wird besonders von Schweden und Polen gefordert und vorangetrieben. Doch Deutschland hat dieses Vorhaben bisher bedauerlicherweise gebremst, angeblich weil es an einer entsprechenden Perspektive auch für Russland fehle.
2016 wurde eine „Vertiefte und umfassende Freihandelszone (DCFTA)“ zwischen der EU und der Ukraine vereinbart.
Die EU bescheinigt in ihrem Bericht über die „Umsetzung der Assoziation“ vom 9.11.2018 der Ukraine Fortschritte in den Bereichen: Gesundheitsversorgung und Renten, Dezentralisierung sowie öffentliche Verwaltung und öffentliches Auftragswesen und auch Umwelt. So habe im Jahre 2017 der Handel zwischen der EU und der Ukraine um 24% zugenommen. Über 500 000 ukrainische Bürger*innen hätten im Rahmen der Visafreiheit die EU besucht. Erfreulicherweise hätten mehr als 7200 akademische Austausche im Rahmen von Erasmus + stattgefunden. „All dies ist für die Umsetzung des Assoziierungsabkommens und damit für eine wohlhabendere und stabilere Ukraine von entscheidender Bedeutung“, so die relativ positive Bewertung. Außerdem sei ein Fonds für Energieeffizienz mit finanzieller Unterstützung der EU eingerichtet.
Das Hohe Antikorruptionsgericht
Laut Bericht wurde auch die wichtige Erneuerung der Justiz fortgesetzt. Jedoch gab es bisher erst wenige rechtskräftige Verurteilungen in Korruptionsfällen auf hoher Ebene. Das Hohe Antikorruptionsgericht befinde sich noch in der Probephase. Auch die „Auswahl der internationalen Experten, die die Ukraine bei der Auswahl der Richter des Hohen Antikorruptionsgerichtshofes unterstützen werden, ist ein ermutigendes Zeichen“.
Die Auswahl der 38 Richter – 27 für das Gericht der 1. Instanz und 11 für die 2. Instanz – erfolgte kürzlich zwischen August 2018 und April 2019. Im Oktober 2019 nahm der Gerichtshof dann seine Arbeit auf. Neben dieser institutionellen Reform der Korruptionsbekämpfung gab es auch noch mehrere Gesetzesinitiativen zur Beseitigung der bis dahin bestehenden Hürden für eine effektive Arbeit des Gerichtshofes (Ukraine Analysen vom 28. 10. 2019 durch Halyna Kokhan, EU-Anti Corruption Initiave in Kiew).
Verzögerung durch Widersacher
Am 27.10.2020 jedoch erklärte das Ukrainischen Verfassungsgericht Teile der Antikorruptionsreform der Ukraine für verfassungswidrig. Es wendet sich vor allem gegen die strafrechtliche Verfolgbarkeit falscher Angaben durch Staatsbedienstete in der jährlich fälligen Vermögensdeklaration. Ein starker Rückschritt.
Das Urteil geht auf die Klage der prorussischen Oppositionsplattform „Für die Zukunft“ vom August 2020 zurück. Die Plattform gilt als Interessenvertretung des Oligarchen Ihor Kolornojskyj. Die Begründung des Verfassungsgerichts erscheint wie an den Haaren herbeigezogen. Die Staatsbediensteten würden durch die Verpflichtung auf jährliche Angaben übermäßig belastet und die Unschuldsvermutung werde ihnen gegenüber außer Kraft gesetzt. Die Richter, die dieses Urteil erließen, wurden in der Zeit der Präsidentschaft von Janukowitsch ernannt, demjenigen, der in die Sowjetunion floh.
Der Staat setzt sich zur Wehr
Das Urteil rief scharfe Kritik hervor, sowohl von Präsident Selenskyj als auch von der ukrainischen Zivilgesellschaft. Dabei geht es um ein kaum aufzulösendes Dilemma. Einerseits müssen die institutionellen und gesetzlichen Reformen zur Korruptionsbekämpfung unbedingt wiederhergestellt werden, will die Ukraine den Verpflichtungen aus dem Assoziierungsabkommen mit der EU gerecht werden. Andererseits ist ein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit mit den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit schwer zu vereinbaren. Aber kann man solche Richter als unabhängig ansehen?
Am 18.3.2021 wird gemeldet, der ukrainische Präsident habe zwei Richter des Verfassungsgerichts, darunter dessen Präsidenten, per Dekret abgesetzt. In seiner Begründung gibt der Präsident an, diese Richter seien eine Gefahr für die staatliche Unabhängigkeit und die nationale Sicherheit der Ukraine. Und der Präsident verweist auf die Richterernennung durch den früheren korrupten Präsidenten Janukowitsch.
Bemerkenswerte und mutige Entscheidungen
In einer Resolution des Parlaments vom Februar 2021 wird die Herrschaft Janukowitschs von 2010 bis 2014 als „Usurpation der Macht“ bezeichnet. (FAZ online 28.3.2021).
Und im Mai 2021 entscheidet die Staatsanwaltschaft, einen weiteren äußerst einflussreichen prorussischen Oligarchen, Wiktor Medwedtschuk, unter Hausarrest zu stellen, da ihm u.a. Hochverrat vorgeworfen wird. Aus Moskau folgt scharfer Protest.
Bewertung
Diese Konflikte verdeutlichen – und das ist sehr positiv zu bewerten – die grundsätzlichen Anstrengungen der Ukraine, Korruption mit rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen.
Gleichzeitig zeigen sie, wie groß die Kräfte der Beharrung sind. Diese wollen natürlich ihre Privilegien aus der Sowjetzeit und ihre Verbindungen nach Russland nicht abgeben. Der Ur-Konflikt kann offenbar vor allem durch parlamentarische Initiativen behoben werden. Solche Initiativen sind z.B. die Neukonstituierung des Verfassungsgerichts, unterstützt von der EU oder die der Absetzung von Richtern des Hohen Gerichts zur Bekämpfung der Korruption.
Die EU sollte großes Interesse an der Fortsetzung des Prozesses der Westorientierung der Ukraine haben. Denn damit kann die Emanzipation vom Würgegriff Russlands Stück für Stück gelingen. Ein gutes Stück der Wegstrecke ist bereits zurückgelegt. Freilich hängt die von Deutschland forcierte Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 wie ein Damokles Schwert über der Ukraine.
Dreißig Jahre Unabhängigkeit
Im August 2021 wird die Ukraine 30 Jahre Unabhängigkeit von der Sowjetunion feiern. Präsident Selenskyj hat in einem persönlichen Schreiben die Präsidentin der EU Kommission dazu eingeladen. Ein nicht von ihr unterzeichnetes Antwortschreiben stellt einen diplomatischen Fauxpas dar. Dies Schreiben enthält leider ihre Absage, da sie „anderweitige Verpflichtungen“ habe. Und das im Monat August? In einem Monat, in dem in Brüssel quasi keine Termine stattfinden! Ist dies als weiterer Kotau der EU vor Putins Russland zu werten?
Politische Verpflichtung der EU
Gerade angesichts der russischen Bedrohung – Russland unter Putin kann offenbar ein demokratisches Land vor seiner Haustür nicht ertragen – muss die Ukraine eine konkrete Perspektive des EU Beitritts und der Mitgliedschaft in der Nato erhalten. Für die baltischen Staaten, für Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn, alles Staaten, die früher auch zur Sowjetunion gehörten, wurde die EU- Mitgliedschaft schon vor langer Zeit erreicht. Das sollte nun auch für die Ukraine gelten! Zumal das ukrainische Parlament die Westorientierung inzwischen sogar in der Verfassung verankert hat. Im Herbst 2018 mit dem Ziel des EU-Beitritts und im Februar 2019 mit dem Ziel der Nato-Mitgliedschaft. Es kann deshalb nicht länger hingenommen werden, dass insbesondere die deutsche Außenpolitik diese Beitrittsperspektiven hintertreibt. Der Verweis auf die mangelnden Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung ist inzwischen nicht mehr berechtigt und erscheint als billige Ausrede. Gerade Deutschland hat eine besondere Verpflichtung der Ukraine gegenüber – auch aufgrund der unheilvollen Geschichte!
Neue Einsichten bei der EU-Mehrheitsfraktion ?
In einem Gastbeitrag für Die Welt online vom 23.4.2021 schreibt Manfred Weber, stellvertretender Vorsitzender der CSU und Vorsitzender der EVP Fraktion im Europäischen Parlament: „Nur aus einer Position der Stärke heraus werden wir in Moskau überhaupt erst ernst genommen. Die EU muss endlich anfangen, den kompletten Instrumentenkasten ihrer Handlungsmöglichkeiten, also beispielsweise auch wirtschaftliche, für außenpolitische Zwecke zu nutzen.
Die Entwicklung rund um die Ostukraine, Mordanschläge, Cyberattacken und Desinformationskampagnen, die Unterstützung des weißrussischen Regimes bei der Unterdrückung der demokratischen Opposition und die Finanzierung oder Unterstützung Rechtsradikaler in der EU sind eine reale Bedrohung für die EU und den Westen. Die jüngst aufgedeckten russischen Geheimdienstoperationen in Tschechien unterstreichen dies einmal mehr. Diese direkte Konfrontation gegenüber dem europäischen Wertemodell ist nicht ignorierbar.
Konkret zu den russischen Truppenaufmärschen 2021
Der gewaltige Truppenaufmarsch mit Zehntausenden Soldaten, schwerem Kriegsgerät und starker Flottenpräsenz ist ein gefährliches Manöver. Die Integrität und Souveränität der Ukraine müssen garantiert sein. Auch wenn das Land noch ein gutes Wegstück hin zu einem Staatswesen mit Standards nach westlichen Vorstellungen vor sich hat, die richtige Richtung ist eingeschlagen.
Und weiter geht’s in dem Zitat
Die Ukrainer haben mehrfach in demokratischen Wahlen bestätigt, diesen Weg fortsetzen zu wollen. Nicht Russlands Führung entscheidet über den Weg der Ukraine, sondern die Ukrainer selbst. Dabei hat die Ukraine unsere volle Unterstützung. Wenn gleich sich die russischen Truppen jetzt zurückziehen – für die Zukunft muss uns diese Art der Provokation eine Lehre sein.
Es braucht kristallklare Aussagen, was auf dem Spiel steht. Nur diplomatische Floskeln sind zu wenig. Wenn durch weitere Eskalationen eine neue Qualität in dem Konflikt erreicht würde, müsste entschieden geantwortet werden. Das Einfrieren weiterer Oligarchenkonten oder sogar eine Kappung Russlands vom Swift-System*(s.u.) müssten im Extremfall möglich sein.
Und
Oder Nord Stream 2: Die Pipeline ist grundsätzlich nicht im gesamteuropäischen Interesse, weil sie die Energieabhängigkeit der EU von Russland vergrößert und die EU Länder spaltet. Die EU und andere westliche Partner sehen Deutschlands Rolle mehr als skeptisch. Genauso ist Nord Stream 2 für den Neustart der Beziehungen mit den USA eine Hypothek. Die Pipeline ist aus heutiger Sicht wirtschaftlich nicht notwendig und sie übergeht bisherige Transitländer“ (Hervorhebung vom Verf.).
*Swift = Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication, Sitz in Belgien
Endlich scheint sich hier in der größten Fraktion des Europäischen Parlaments ein Umdenken anzubahnen, ein Umdenken, das sich auch sehr positiv gegenüber der Leisetreterei von Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und der SPD gegenüber Putin absetzt. Es ist immer wieder darauf hinzuweisen, dass die völkerrechtswidrigen Akte und Provokationen vom imperialistischen Russland ausgehen und nicht von der EU oder von der Nato.
Dann folgt am 24.2.2022 der Angriffskrieg auf das gesamte Land s.o. Nach zähem Ringen mit den westlichen Demokratien, die die Ukraine mehr oder weniger mit Waffen unterstützen – allen voran die USA entscheidet die EU schließlich am
23.6.2022 Die EU erklärt die Ukraine zum Beitrittskandidaten
Als Reaktion darauf greift Russland das Land erneut in Kiew und auch mitten im Land mit mehreren Raketen an – und zwar erneut zivile Ziele. Nachdem es der Ukraine im Herbst 2022 gelingt, im Osten russische Truppen in die Flucht zu schlagen und Gelände zurück zu erobern, befiehlt Putin eine Mobilmachung. Woraufhin Hunderttausende betroffene Russen fliehen. Danach beginnt das russische Militär massiv, ukrainische Infrastruktur zu zerstören, sodass für viele Menschen der Strom ausfällt und damit oft auch das Wasser und die Heizung. Später zerstört Russland den großen Staudamm des Dnepr, südlich von Saporischja. Nach Auslaufen des Getreideabkommens im Sommer 2023 folgen viele Angriffe auf die Häfen bei Odessa und die Getreidehallen, um der Ukraine auch diese wirtschaftlichen Einnahmequellen zu nehmen. Es heißt immer wieder, Russland habe ca 200.000 Kinder aus der Ukraine entführt.
Von Russland durch den Krieg verursachte CO²-Emissionen
Juni 2024: Der Krieg in der Ukraine hat in den letzten zwei Jahren 175 Millionen Tonnen CO2 und viele andere Umweltschäden verursacht. Das übersteigt sämtliche Emissionen, die z.B. die Niederlande in einem Jahr verursachen oder aber die Abgase, die 90 Millionen neue Autos mit fossiler Energie im Jahr auspusten. Der durch diese Emissionen erzeugte Klimaschaden beläuft sich auf $32 billion, also wohl 32 Milliarden Dollar.
Kultur
Die Ukrainer gelten als sehr gastfreundlich. Symbol ihrer Gastfreundschaft sind u.a. mit Kreuzstich bestickte Bänder. Hier ein Hochzeitsband, das die beiden Familien, die durch eine Hochzeit zusammen kommen, verbinden soll.
Kulinarisch sind für die Ukraine Borschtsch, Soljanka und Warenski als Besonderheiten zu erwähnen.
ISRAEL
Israel hat 1995 ein assoziierungs-Abkommen mit der EU unterzeichnet. 2013 aber kündigte Israel die jährlichen Gespräche im Rahmen dieses Formats auf. Damit protestierte das Land gegen eine Entscheidung der EU, in allen Abkommen zwischen den israelischen Siedlungen im Westjordanland und dem übrigen Israel zu unterscheiden. Allerdings hatten auch einige EU-Staaten die Treffen mehrere Jahre verhindert. Sie wollten damit mehr Druck auf Israel ausüben, damit es Forderungen der Palästinenser mehr entgegen käme.
Israel erhält derzeit etwa 1,8 Millionen Euro pro Jahr von der EU im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Zudem ist es ein assoziiertes Land von Horizon Europe, dem wichtigen Forschungsprogramm der EU.