1. Ursprünge und Entwicklung
Die Geschichte der Europäischen Kommission beginnt 1952 mit der Errichtung der „Hohen Behörde für Kohle und Stahl“ (EGKS). Sie hatte ihren Sitz in Luxemburg und wurde damals schon Kommission genannt. Sie hatte 9 Mitglieder. Acht wurden von den sechs Gründerstaaten ernannt. Das waren Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Deutschland und Italien. Das 9. Mitglied wurde von den acht Gewählten frei hinzu gewählt. Die Kommission wählte ihren Präsidenten selbst aus ihrer Mitte. Ihr erster Präsident war Jean Monnet aus Frankreich von 1952-1958. Er gilt als geistiger Urheber des fast utopisch anmutenden Plans von Robert Schuman. Nach diesem Plan wurde die EGKS zur gemeinsamen Kontrolle der europäischen Montanindustrie geschaffen, also der Industrien, die für die beide Weltkriege maßgeblich verantwortlich waren. Dadurch sollten weitere Kriege zwischen den europäischen Nationalstaaten verhindert werden.
Die Kommission war in ihren Anfangsjahren eine reine Verwaltungsinstitution ohne jede direkte demokratische Legitimation.
Erste bedeutende Ausweitung
1958 wurden zwei Gemeinschaften gegründet, die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) mit dem Ziel, einen gemeinsamen europäischen Markt zu organisieren und die „Europäische Atomgemeinschaft“, die EURATOM zur friedlichen Nutzung der Atomkraft zur Energieerzeugung. Die EWG Kommission war wie bei der EGKS organisiert und ihr erster Präsident war Walter Hallstein aus Deutschland von 1958-1967. Die EURATOM teilt mit der EWG alle Organe. Auf dieser Basis wurde die Kommission fortentwickelt. So entsendet heute jedes der 27 Mitgliedsländer ein Kommissionsmitglied nach Brüssel.
2. Funktion und Wahl
Zuständigkeit
Die EU Kommission fördert die allgemeinen Interessen der EU nach innen und außen durch Vorschläge für neue Europäische Rechtsvorschriften. Diese sind dann von den Ministerräten und dem Europäischen Parlament einvernehmlich zu beschließen. Die EU Kommission überwacht danach die Einhaltung dieser Rechtsvorschriften und kann bei Verstößen das betreffende Mitgliedsland vor dem Europäischen Gerichtshof in einem Vertragsverletzungsverfahren verklagen. Die Kommission wird diesbezüglich auch als „Hüterin der Verträge und des EU Rechts“ bezeichnet. Darüber hinaus entwickelt sie Strategien für die Weiterentwicklung der EU. Außerdem verwaltet sie den EU Haushalt. Es ist die EU Kommission, die die EU auch auf internationaler Ebene vertritt. Sie hat also zahlreiche Aufgaben.
Verwaltungsbeamte
Die EU Kommission hat 32 000 Mitarbeiter. Zum Vergleich: Die Hansestadt Hamburg beschäftigt über 60 000 Beamte. In diesem Vergleich erscheint die EU Verwaltung als sehr sparsam organisiert. Der Vergleich hinkt aber ein wenig, da die EU Kommission nicht wie Hamburg Lehrer, Polizisten, Gefängniswärter und Richter beschäftigt, sondern „nur“ Verwaltungsbeamte. Trotzdem belegen diese Zahlen, dass von „überbordender Bürokratie“ in Brüssel nicht die Rede sein kann.
Verantwortlichkeit
Die EU Kommission ist die „politisch unabhängige“ Exekutive der EU – so die eigene Bezeichnung. Hier ist ein Fragezeichen angebracht: In vielerlei Hinsicht ist sie dem Europäischen Parlament gegenüber verantwortlich – Art. 17 Abs. 8 EU Vertrag -, z.B. beim Haushaltvollzug, der vom Europäischen Rechnungshof kontrolliert wird. Ohne Zustimmung des Parlaments gibt es keine Kommission. Nach Art. 234 EU Vertrag kann das Europäische Parlament eine amtierende Kommission mit einem Misstrauensvotum abwählen, wenn dieses mit einer 2/3 Mehrheit abgegeben wird.
„Wahl“ des/der Spitzen-Politiker*in?
Die Wahl des/der Kommissionspräsident*in erfolgt auf Grund des Vorschlags des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs „unter Berücksichtigung des jeweiligen Wahlergebnisses“ mit einfacher Mehrheit durch das Parlament.
– Aber 2014 hatten sich die beiden großen Fraktionen im Europäischen Parlament erstmals auf folgendes Verfahren geeinigt: der Spitzenkandidat, der die meisten Abgeordneten im Parlament nach der Wahl hinter sich vereinigt, soll Kommissionspräsident werden. Jean Claude Juncker, der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), war der Sieger in diesem Duell gegen Martin Schulz von den Sozialdemokraten. Die Staats- und Regierungschefs allerdings stemmten sich gegen diesen Automatismus, auch weil sie ihre Macht als Vorschlags-Berechtigte schwinden sahen. Doch nach einigem Murren schlugen sie schließlich Juncker dem Parlament als Kommissionspräsidenten vor und er wurde gewählt.
Oder doch Aufgabe des Rates?
2019 wiederholte sich „das Spiel“. Doch weder Manfred Weber von der EVP, der von der größten Fraktion nominiert worden war, noch dem sozialdemokratischen Mehrheitsführer gelang es, eine Mehrheit im Parlament hinter sich zu bringen.
Daraufhin brachte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron die damalige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin ins Spiel. Er tat dies, nicht ohne ein „Personalpaket“ zu schnüren, das auch Christine Lagarde aus Frankreich als EZB Präsidentin enthielt. Sie war zu der Zeit Präsidentin des Internationalen Währungsfonds. Die Staats- und Regierungschefs, froh wieder ihr Vorschlagsrecht materiell ausüben zu können, einigten sich nun auf von der Leyen. Nach intensiven Anhörungen wurde sie dann auch im Parlament gewählt. Sie wurde damit die erste Frau an der Spitze der EU Kommission. Vorher hatte sie versichert, sie werde sich für eine zukünftige Wahl für die Festlegung auf den siegreichen Spitzenkandidaten einsetzen, sobald er im Parlament eine Mehrheit hinter sich habe.
Der/die Kommissionspräsident*in
Sie leitet nicht nur die Sitzungen der Kommission, sondern vertritt die EU nach außen, so auch auf dem G7 Gipfel der führenden Staaten der Welt.
Die Kommissionspräsidentin verdient im Jahr ca. 300 000,- Euro, die sie zu versteuern hat (Wikipedia). Im Vergleich zu Bezahlungen für Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft ist diese „Entlohnung“ unter Berücksichtigung von Aufgaben und Verantwortung geradezu bescheiden. Martin Winterkorn z.B., der VW Chef, verdiente, nein – er bekam ausgezahlt, ein Jahresgehalt von 15 Millionen Euro. Die frühere landläufige Auffassung, die EU Kommission sei das Auffangbecken für auf nationaler Ebene ausgediente Politiker und eine Institution zum „persönlichen Geld-machen“ trifft daher heute in keiner Weise mehr zu.
Herausragende Kommissionspräsidenten
Das war u.a. Jaques Delors von 1985-1995 aus Frankreich. Er trieb das Projekt zur Vollendung des Binnenmarktes voran. Und er hat einen realistischen Plan zur Verwirklichung einer europäischen Währungsunion erarbeitet. Auch Jean-Claude Juncker von 2014-2019 aus Luxemburg gehört dazu. Er half, die negativen Auswirkungen der Finanz- und Staatsschuldenkrise abzufedern, und er initiierte mit dem erfolgreichen Juncker Plan umfangreiche Stimuli zum Wachstum der europäischen Wirtschaft.
Aufwendiger Ernennungsprozess der 27 Kommissar*innen
Das Team der Kommission wird nach folgendem ausgefeilten Verfahren bestimmt: Jedes Mitgliedsland hat Anspruch auf jeweils eine/n Kommissar*in. Versuche, die Kommission zu verkleinern sind bisher gescheitert.
- Die Mitgliedsländer machen dem Kommissionspräsidenten einen Personalvorschlag.
- Der Vorschlag muss dann von den Staats- und Regierungschefs gebilligt werden.
- Jeder Nominierte muss danach vor dem Europäischen Parlament seine Vision der zukünftigen Arbeit vorstellen und Fragen beantworten. Notfalls muss das betreffende Land eine/n andere/n Kandidat*in vorschlagen. Das war 2019 bei mehreren Kandidaten bzw. Kandidatinnen der Fall.
- Anschließend stimmt das Parlament ab, ob es das Kollegium als Ganzes akzeptiert oder ablehnt.
- Zuletzt müssen die Kommissarinnen und Kommissare vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit ernannt werden.
Ablehnungen von Kandidat*innen
Mehrfach sind nominierte Kandidaten bei den Anhörungen im Europäischen Parlament durchgefallen. So hatte Frankreich 2019 ursprünglich Sylvie Goulard, von 2009 bis 2017 Abgeordnete des Europäischen Parlaments und vom Mai bis Juni 2017 französische Verteidigungsministerin nominiert. Da gegen sie Ermittlungen aufgrund einer Affäre wegen einer Scheinbeschäftigung liefen, fiel sie bei der Anhörung durch. Es ging dabei um die Anstellung eines Mitarbeiters auf Kosten des Europäischen Parlaments. Goulard konnte keinen Nachweis für dessen Tätigkeit für sie in ihrer Funktion als Abgeordnete erbringen. Deshalb musste sie 45 000 Euro an das Europäische Parlament zurückzahlen. Außerdem wurde noch der Vorwurf der Ämterhäufung sowie der Annahme von Honoraren ohne Gegenleistung gegen sie erhoben (Wikipedia).
Die entsprechenden Staaten dürfen nach einer Ablehnung nachnominieren. Frankreich nominierte statt ihrer Thierry Breton, der akzeptiert wurde.
Rücktritt einer Kommission
Kommissionspräsident Santer aus Luxemburg 1995-1999 war damals in einen Korruptionsskandal um die französische Kommissarin Edith Cresson verwickelt. Sie hatte einen befreundeten, für die Stelle unqualifizierten Mitarbeiter eingestellt. Deshalb drohte ein Misstrauensantrag durch das Europäische Parlament. Daraufhin trat die gesamte Kommission geschlossen zurück. Der Europäische Gerichtshof hat 2006 offiziell festgestellt, Edith Cresson habe ihre Pflichten als Kommissionsmitglied durch die Einstellung eines „Freundes“ verletzt.
Diese Korruptionsaffäre auf hohem europäischem Niveau hatte danach Konsequenzen: das Europäische Amt zur Betrugsbekämpfung ( OLAF) wurde gegründet (siehe hier weiter unten).
Zwischenbemerkung
Scheinbeschäftigungen scheinen in Frankreich ein verbreitetes Übel zu sein. Denn neben den genannten Fällen ist auch der frühere frz. Ministerpräsident Fillion wegen des gleichen Vorwurfs in erster Instanz strafrechtlich verurteilt worden. Macron hat dann versprochen, das laxe Vorbeimanövrieren an Regeln zu beenden. Insofern verwundert seine Nominierung von Goulard trotz der laufenden Ermittlungen. Offenbar fühlte er sich ihr als seiner Beraterin im Wahlkampf um die französische Präsidentschaft verpflichtet. Sylvie Goulard ist als überzeugte Europäerin bekannt. Insofern ist es schmerzlich, dass sie sich selber im Weg gestanden ist.
Mögliche Konflikte
Die EU Kommissare sind verpflichtet, ausschließlich die EU Interessen zu vertreten und nicht die des Nationalstaates, der sie entsandt hat!
Das wird in manchen Fällen besonders schwierig. Der aus Polen nominierte Kommissar Janusz Wojciechowski z.B. ist für den Umbau der Landwirtschaftspolitik zuständig. Gerade dieser Umbau aber wird sich besonders auf Polen auswirken.
Für die EU Kommissare gibt es einen Verhaltenskodex. Zu diesem gehört es, nach der Nominierung und vor der Anhörung im Justizausschuss einen detaillierten Fragebogen, der im Internet einsehbar ist, auszufüllen u.a. zu den Vermögensverhältnissen.
Das Europäische Parlament ist u.a. damit bei der Auswahl der Kommissare und bei ihrer Kontrolle im Zeitablauf immer selbstbewusster aufgetreten und hat seine Rechte aktiv auch gegenüber der Kommission wahrgenommen.
3. Heutige Zusammensetzung und Ressortverteilung
Hier sollen die einzelnen Kommissionsmitglieder vorgestellt werden mit ihren früheren beruflichen und politischen Ämtern und Erfahrungen. Dies erscheint notwendig, wenn man die Entwicklung auf der EU-Ebene als europäische Innenpolitik begreift. Dafür ist es wichtig, die dort agierenden Personen als Individuen mit je speziellem Profil wahrzunehmen. Im Zeitablauf lässt sich dann besser beurteilen, wie erfolgreich die Einzelnen und wie die Kommission als Ganzes sind. Und als Bürger*in kann man sich mit diesen Kenntnissen leichter mit Fragen oder Vorschlägen an den jeweiligen Kommissar und sein Team wenden.
Die Organisation
Die Verteilung der Aufgaben innerhalb der neuen Kommission ist in einem viergliedrigen Aufbau organisiert. An der Spitze steht die Kommissionspräsidentin, es folgen drei Exekutive Vizepräsidenten. Der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik hat eine Sonderstellung. Er ist den Exekutiv Vizepräsidenten in etwa gleichgestellt. Dann gibt es vier „einfache“ Vizepräsidenten und schließlich die Riege der Kommissare. Die inhaltlichen Zuständigkeiten scheinen bei so vielen Kommissar*innen nicht immer klar voneinander abgegrenzt zu sein.
Die Präsidentin
Ursula von der Leyen, approbierte Ärztin (Dr. med. 1991) (ihre Schwester Benita-Eva war mit 11 Jahren an Krebs gestorben), wuchs 12 Jahre in Brüssel auf und besuchte dort die Europa-Schule. Sie ist Mutter von 7 Kindern, darunter Zwillinge. Von 2009-2019 war sie Bundestagsabgeordnete der CDU. 2005-2009 war sie Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im 1. Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel. Im 2. Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel war sie von 2009 – 2013 Bundesministerin für Arbeit und Soziales und hatte damit das größte Ressort in der Regierung zu verwalten und zu verantworten. Ihre großen Erfolge in den beiden ersten Ressorts sind unbestritten.
Ihre schwierigste Mission bisher
Im Anschluss von 2013 – 2019 war sie als erste Frau in der Geschichte der Bundesrepublik Verteidigungsministerin und hat als solche mit 6 Jahren Amtszeit, eine sehr lange Zeit auf diesem Schleudersitz ausgeharrt. In Ihrer Zeit wurde der Verteidigungsetat von 32 auf zuletzt 43 Milliarden Euro jährlich ausgeweitet. Sie setzte, wenn auch nicht immer mit durchschlagendem Erfolg, große Rüstungsprojekte durch. Allerdings war sie auch für „ein Heer teurer Unternehmensberater“ verantwortlich. Das brachte ihr einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein. Sie stieß die notwendige Befähigung der Bundeswehr für den Cyberkrieg an. Energisch ging sie gegen unheilvolle Traditionen in der Bundeswehr vor. Über sie als Verteidigungsministerin wird kontrovers diskutiert. Festzustellen ist aber für dieses schwierige Ressort: sie hat weit mehr als ihre männlichen Vorgänger in der Bundeswehr bewegt. Vor allem hat sie eine notwendige Modernisierung beherzt angestoßen.
Eignung als Präsidentin
Auf Grund ihrer langjährigen politischen Erfahrungen, ihrer fließenden Dreisprachigkeit, ihrer Weltläufigkeit und ihres unbezweifelbaren Eintretens für die Fortsetzung der Europäischen Integration ist sie für das Amt der Kommissionspräsidentin hervorragend geeignet. Sie hat es geschafft, dem Parlament eine Kommission zu präsentieren, die fast paritätisch besetzt ist. – Bisher waren Frauen weit in der Unterzahl. Sie wird hoffentlich der Motor zur Bewältigung der großen Herausforderungen sein. Zu bearbeiten und zu leisten sind sie ohnehin nur in „ihrem“ Team gemeinsam.
Die Kommissare und Kommissarinnen
Franciscus Cornelis Geradus Maria – genannt Frans – Timmermans aus den Niederlanden ist einer der drei Exekutiv Vizepräsidenten der Kommission. Sein Ressort lautet: „Ein Europa des Green Deal“. Der Sozialdemokrat war von 1998 – 2007 und von 2010 – 2012 Abgeordneter im niederländischen Parlament und von 2012 – 2014 Außenminister. Ab 2014 war er Mitglied der Juncker-Kommission und 1. Stellvertreter des Präsidenten. Er war für den Bereich der Wahrung der Rechtstaatlichkeit in der EU zuständig. Frans Timmermans spricht neben seiner Muttersprache fließend Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch und Italienisch. 2019 war er Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die Wahl des Europa Parlaments. Seine hervorragende Qualifikation für das Amt des Exekutiv Vizepräsidenten und für sein Ressort steht außer jedem Zweifel. Wegen seiner Schlagfertigkeit hat er den Spitznamen „Fransrapid“.
Margarethe Vestager
war auch schon in der Vorgänger Kommission prominent vertreten. Jetzt ist sie eine der drei Exekutiv Vizepräsidenten. Zusätzlich zu ihrem bisherigen Ressort der Wettbewerbspolitik ist sie jetzt zuständig für die Mamut-Aufgabe der Digitalisierung. Margarethe Vestager kommt aus Dänemark von der Partei „Renew Europe“. Die Mutter von drei Töchtern war 1998-2001 Bildungsministerin, ab 2011 Wirtschaftsministerin und Innenministerin. In diesen Ämtern setzte sie in Dänemark harte sozialpolitische Reformen durch. Als Wettbewerbskommissarin in der Juncker Kommission machte sie sich einen Namen, indem sie furchtlos harte Bußgelder gegen internationale Internetgiganten verhängte wegen missbräuchlicher Ausnutzung von Marktmacht. Auch sie ist für ihre heutigen Aufgaben bestens geeignet wegen ihrer Durchsetzungskraft und ihrer langjährigen politischen Erfahrungen.
Valdis Dombrowskis
Der dritte Exekutiv Vizepräsident ist aus Lettland. Seine Zuständigkeit wird etwas blumig mit der Förderung „einer Wirtschaft für die Menschen“ umschrieben. 2009-2013 war er Ministerpräsident seines Vaterlandes. In der Juncker-Kommission von 2014 – 2019 war er Kommissar für den Euro und den sozialen Dialog. Jetzt soll er als Koordinator die Kommissionsarbeit zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona Krise voranbringen. Außerdem ist er zuständig für die Stärkung der Finanzmarktstabilität. Auch er bringt reiche Erfahrungen aus der bisherigen Kommissionsarbeit ein. Sein Aufgabengebiet ist nicht klar abgegrenzt. Er ist so etwas wie der „Beauftragte für Querschnittsaufgaben und Koordination“.
Seit dem (frühen) Rücktritt von Phil Hogan (s.u.) ist V. Dombrowskis Handelskommissar. Als Kommissar für „Handel“ muss er sich umgehend um die Verhandlungen mit Großbritannien nach dem Brexit kümmern und dann mittelfristig um die Handelsbeziehungen zu den USA.
Josep Borell i Fontelies
aus Spanien ist der „Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitsfragen der EU“. Sein Ressort hat den Titel „Ein starkes Europa in der Welt“. Josep Borell gehört der katalanischen sozialdemokratischen Partei an, ist aber nicht für die Abspaltung Kataloniens von Spanien. Borell ist Inhaber eines Master-Abschlusses der Stanford University in Kalifornien und in Wirtschaftswissenschaften promoviert. 1991 -1996 war er Minister für Infrastruktur und Transport im Kabinett Gonzalez III, ab 1993 auch für Umweltfragen zuständig. Im Jahr 2004 wurde er ins Europäische Parlament gewählt und war dessen Präsident von 2004 bis 2007. 2018 – 2019 war er spanischer Minister für Äußeres, EU und Entwicklungshilfe im Kabinett Sanchez.
Affären
2010 war Josep Borell Präsident des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz. In diese Zeit fällt eine Kontroverse um eine nicht offengelegte, mit 300.000,- Euro jährlich vergütete Aufsichtsratsmitgliedschaft beim Energiekonzern Abengoa. Deshalb musste Borell 2012 das Amt des Hochschulpräsidenten aufgeben. Einige Jahre später, 2018 verhängte die spanische Wertpapieraufsicht ein Bußgeld über 30.000,-Euro gegen ihn, diesmal wegen verbotenem Insider Handel. Ohne Rechtsmittel einzulegen, akzeptierte er das Bußgeld! (Wikipedia zu Borell unter „Affären“).
Herauforderungen für ihn
Als Hoher Verteter ist Borell anders als die anderen Kommissare nicht vollständig in die Kommission integriert. Denn er ist dem Europäischen Parlament nicht voll verantwortlich. Josep Borell sprach sich 2018 für eine stärkere Sicherung der Europäischen Außengrenzen der EU aus, sowie für die konsequente Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern.
Borell ist durch die notwendige Behauptung der EU gegenüber dem kommunistischen China und dem staatsautoritären Russland, das ständig versucht, die EU zu spalten und zu destabilisieren, herausgefordert. Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte gesagt, Europa müsse die Sprache der Macht lernen. Josep Borell soll diesbezüglich der Lehrmeister sein.
Maros Sefcovis
aus der Slowakei ist Vizepräsident mit dem Ressort für „institutionelle Beziehungen„. Nach einer Ausbildung am Institut für internationale Beziehungen in Moskau von 1985 – 1990, also noch zu Zeiten der Sowjetunion, studierte er von 1990-1995 in Bratislava Wirtschaftswissenschaften und schloss sie mit dem juristischen Doktorat ab. 1999 war er Botschafter seines Landes in Israel und seit 2004 nach dem EU Beitritt Ständiger Vertreter seines Landes bei der EU. Ab 2009 war er Mitglied in der Kommission Baroso I, seit 2014 Mitglied in der Kommission Baroso II und ihr Vizepräsident. Das gleiche gilt für die Junker Kommission ab 2014. Er ist damit wohl der am Längsten ununterbrochen amtierende Kommissar. 2019 kandidierte er für den Posten des Staatspräsidenten der Slowakei. Aber er unterlag in der Stichwahl der progressiven, gegen Korruption kämpfenden Suzanna Kaputova. Sefcovis repräsentiert den Typus des Karriere Diplomaten, der sich in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systemen zurechtfindet.
Vera Jourova
aus Tschechien ist ebenfalls Vizepräsidentin der Kommission und zuständig für „Werte und Transparenz„. 1991 schloss sie ein Studium für Kultur-Anthropologie und 2012 für Rechtswissenschaften in Prag an der Karlsuniversität ab. Sie arbeitete an der Entwicklung des Jüdischen Viertels in Trebic mit, das 2003 in die Liste der UNESCO Welterbe Stätten aufgenommen wurde. Ab 2014 war sie in der Juncker Kommission Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung und engagierte sich besonders für den Datenschutz auf EU Ebene, also für die Durchsetzung der Datenschutzgrundverordnung. Das US Magazin Time nahm sie 2019 in das Ranking der „100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt“ auf und bezeichnete sie als „führende Stimme, die die Regulierung digitaler Technologieunternehmen einfordert“. Vera Jourova ist der Typ der strategisch agierenden Aktivistin, die für die als richtig erkannten Werte hartnäckig kämpft.
Dubravka Suica
ebenfalls Vizepräsidentin, ist aus Kroatien mit dem Ressort „Demokratie und Demographie bzw. Neuer Schwung für die Europäische Demokratie„. Sie gehört der Partei HDZ an. Diese wurde 1989 gegründet und trat in den 90er Jahren unter Franjo Tudjman nationalistisch und rechtspopulistisch auf – in scharfer Abgrenzung zu Serbien und Bosnien-Herzegowina. Die HDZ veränderte sich zwar, aber Beobachter sehen sie wieder auf einem nationalistischen Kurs.
Dubravka Suica stammt aus ärmlichen Verhältnissen und war Lehrerin. 2001 – 2009 war sie Bürgermeisterin von Dubrovnik und erwarb sich damals internationale Anerkennung. Vom 1.7.2013 bis 30.9.2019 war sie Mitglied des Europäischen Parlaments. Aber sie gehörte 2018 zu den wenigen Abgeordneten, die sich gegen Sanktionen gegen Ungarn aussprachen. Ungarn verstieß gegen die Werte und Regeln der EU, indem es Medienfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Migration in Frage stellte. Frau Suica begründete ihre Haltung damit, die EU müsse sich neutral verhalten.
Kritische Anmerkungen
Diese Argumentation ist nicht nachvollziehbar, schon gar nicht für eine Kommissarin, die der Demokratie in Europa neuen Schwung geben soll.
Hinzu kommt: Frau Suica kann die Herkunft ihres Vermögens von über 5 Millionen Euro – 3 Häuser, 2 Apartments, mehrere Autos, 1 Yacht – nicht belegen. Lobby Control glaubt nicht ihrer Behauptung, das Vermögen beruhe auf den Ersparnissen ihres Mannes, eines Navy Captains.
Ihr Anhörungsprotokoll ist 34 Seiten lang, thematisiert alle kritischen Punkte und auch mehrere Minderheitsstandpunkte. Frau Suica äußert sich darin hauptsächlich zu der „Konferenz über die Zukunft Europas“. Aber es ist praktisch unmöglich herauszufinden, mit welcher Mehrheit der Ausschuss sie zur Wahl als Kommissarin empfohlen hat. Noch dazu hat sie das völlig falsche Ressort und den Titel der Vizepräsidentin erhalten. Handelt es sich hier um das schwarze Schaf der Kommission? Hat das Europäische Parlament bei der Anhörung von Frau Suica zwei Augen zugedrückt? Aus welchen Gründen?
Margaritis Schinas
Ein weiterer Vizepräsident stammt aus Griechenland. Sein Ressort firmiert unter dem poetischen Titel „Förderung des Europäischen Lebensstils„. Er ist zuständig für Gleichheit und Diversität und für Migration, ein knallhartes Thema wegen der Gegensätze in Europa zu diesen Fragen. Margaritis Schinas erwarb 1985 einen Bachelor of Laws an der Universität von Thessaloniki, 1986 das Diplom in Advanced European Studies in Brügge und 1987 den Master of Science in Public Administration and Policy an der London School of Economics. Von 2007 – 2009 war er Mitglied des Europäischen Parlaments und von 2014 bis 2019 Chef-Sprecher der Kommission. Margaritis Schinas ist durch seine Studien und deren Abschlüsse in verschiedenen europäischen Ländern und durch seine politischen Erfahrungen in Brüssel bestens ausgewiesen für sein Amt.
Katharina von Schnurbein
Ihm als Kommissar zugeordnet ist obige als „Koordinatorin der EU Kommission zur Bekämpfung des Antisemitismus“. Sie spricht fließend Deutsch, Englisch, Französisch, Tschechisch und Niederländisch. Sie ist Politologin und Slawistin und hat sich u.a. ein Jahr lang fortgebildet mit dem Ziel, über wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus in ganz Europa zu forschen. Schon davor war sie u.a. Beraterin von Barroso für den Dialog mit Religionen und Weltanschauungen.
Ylva Johansson
aus Schweden ist Kommissarin für „Inneres“ mit der schwierigen Aufgabe, einen Konsens in der Migrationspolitik zu suchen. Sie hat Mathematik und Physik für das Lehramt studiert und gehört dem linken Flügel der schwedischen Sozialdemokraten an. Von 1994 – 1998 war sie Schulministerin, 2004 – 2006 Wohlfahrtsministerin und wurde 2014 zur Arbeitsministerin ernannt. Zwischenzeitlich war sie in der Privatwirtschaft tätig.
Thierry Breton
Nachdem die von Präsident Macron vorgeschlagene Sylvie Goulard im Europäischen Parlament gescheitert war, wurde Breton gewählt. Im Rechtsausschuss des Parlament konnte er sich allerdings nur knapp mit 12 zu 11 Stimmen durchsetzen. Er ist Kommissar für „Binnenmarkt, Industriepolitik und Dienstleistungen“ mit der erweiterten Zuständigkeit für Verteidigung und Raumfahrt. 2002-2005 war Breton Chef von France Telecom, 2005-2007 Minister für Wirtschaft, Finanzen und Industrie in Frankreich. 2007-2008 lehrte er als Professor an der Harvard Business School. Von 2008 bis 2019 fungierte er als Chef von ATOS, einem weltweit führenden IT Unternehmen mit 110 000 Beschäftigten in 73 Ländern.
Pro und kontra
Die Nominierung Bretons wird kontrovers diskutiert. Einerseits loben die Einen: ein erfahrener Wirtschaftsmann wie er könne die Kommissionsarbeit hervorragend befruchten. Die anderen kritisieren: auf Grund seiner Verbindungen in die Industrie drohten Interessenkonflikte. Zu berücksichtigen in dieser Diskussion ist: In Frankreich hat eine starke staatliche Industrie-Politik eine lange Tradition. Hier könnte Breton mit Margarthe Vestager als Wettbewerbskommissarin aneinander geraten. Wegen der Überschneidungen der Zuständigkeiten kommt es außerdem auf eine enge Zusammenarbeit mit Valdis Dombrowskis (Ressort: jetzt Handelspolitik) an.
Didier Reynders
Für „Justiz und Rechtstaatlichkeit“ ist der Kommissar aus Belgien von der liberalen Partei zuständig. Er war von 1999 bis 2011 belgischer Finanzminister und danach Außenminister. Er bringt also einen reichen politischen Erfahrungsschatz auf unterschiedlichen Gebieten mit in die Kommissionsarbeit ein. Die größte Herausforderung für ihn ist dafür zu sorgen, dass in Polen und Ungarn wieder rechtsstaatliche Verhältnisse hergestellt werden. Als Hebel dazu ist offenbar bisher die Drohung mit der Kürzung von Geldern der EU vorgesehen.
Er setzt sich darüber hinaus dafür ein, Hassreden aus den sozialen Netzwerken zu entfernen und für mehr Transparenz zu sorgen. Ende 2020 will er diesbezüglich einen Vorschlag für einen europäischen „Digital Services Act“ einbringen, denn Hetze und Hassreden kennen keine europäischen Grenzen. Insofern ist eine derartige Initiative auf europäischer Ebene dringend geboten. Sie ist inzwischen auch verabschiedet worden.
Paolo Gentiloni
Für die Ressorts „Wirtschaft und Währung“ und „Steuern und Zollunion“ ist der aus Italien stammende Kommissar zuständig. Er hat Politikwissenschaften in Rom studiert und galt damals als Exponent der 68er Bewegung. Danach engagierte er sich in der Umweltbewegung und war ab 1990 Journalist bei der Wochenzeitung L’expresso. Er gehört zur Partei „Partito Democratico“, also zu den italienischen Sozialdemokraten. 2006 – 2008 war er im Kabinett Prodi Kommunikationsminister. Als Frederica Mogherini zur EU Außenbeauftragten ernannt wurde, amtierte Paolo Gentiloni von Ende 2014 bis Ende 2016 als Außenminister im Kabinett Renzi. Als der zurücktrat war er dessen Nachfolger und damit von 2016 bis 2018 Ministerpräsident Italiens.
Inhaltliche Wünsche
Es wäre sehr wünschenswert, wenn Paolo Gentiloni sich gegen das nach wie vor vorherrschende Steuerdumping in der EU und damit für eine Harmonisierung der Unternehmenssteuern einsetzen würde. Das würde bedeuten, dass sich große Konzerne aus den USA nicht mehr bevorzugt z.B. in Irland und anderen kleinen Ländern niederlassen würden, weil sie dort kaum Steuern zahlen müssen. Alle anderen Länder und die EU haben dadurch Nachteile. (Es gibt dazu inzwischen einen Minimalkompromiss, vgl. hier die Aktuellen Nachrichten vom Okt. 2021) Außerdem sollte er sich für die Einführung europäischer Steuern wie der Finanztransaktionssteuer einsetzen. Hier könnte er gut mit dem Kommissar für „Haushalt“ Johannes Hahn zusammenarbeiten, der schon solche Steuern gefordert hat.
Phil Hogan und Mairead McGuinnes
aus Irland ist als Kommissar für das Ressort „Handel“ zuständig. Er hat sich zunächst in der Kommunalpolitik in seinem Land engagiert und war dann ab 1989 Abgeordneter im irischen Unterhaus. Ab 2011 bis 2014 war er Minister für Umwelt, Gemeinschaftswesen und Lokalverwaltung in der irischen Regierung. 2014 – 2019 war er in der Juncker Kommission Kommissar für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Dabei hat er eine sehr klare Agenda verfolgt, insbesondere in Bezug auf die Überprüfung der Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe. (Er ist bereits zurück getreten.) An die wichtige Stelle als Handelskommissar ist V. Dombrowski aus Lettland getreten. Aus Irland ist Mairead McGuinnes angetreten. Sie war bisher Vizepräsidentin des Europa Parlaments. Als Kommissarin hat sie die Zuständigkeit für Finanzdienstleistungen und Finanzstabilität bekommen.
Nicolas Schmit
ist Kommissar für „Beschäftigung, Soziales und Integration„, ein Luxemburger Sozialdemokrat. Von 1998 – 2004 war er Botschafter seines Landes bei der EU. 2009 wurde er in Luxemburg Minister für Arbeit, Beschäftigung und Immigration, 2013 Minister für Arbeit, Beschäftigung sowie Solidarwirtschaft. Im Mai 2019 wurde er als Abgeordneter ins Europäische Parlament gewählt.
Es wäre wünschenswert, wenn Nicolas Schmit mit seinen Erfahrungen eine europäische Initiative zur Stärkung von Genossenschaften und von selbstverwalteten Betrieben begründen könnte. Auch ist die Frage, ob die Mitbestimmung durch Betriebsräte auf europäischer Ebene gefördert werden kann, denn in Deutschland hat man damit gerade auch in Krisenzeiten gute Erfahrungen gemacht.
Johannes Hahn
aus Österreich (ÖVP) ist der für die Finanzen zuständige Kommissar – „Haushalt und Verwaltung“. In der Vorgängerkommission war er für Fragen der Erweiterung der Europäischen Union zuständig. Ab 2010 war er Kommissar für Regionalpolitik. Er blickt also auf eine lange Erfahrung in Brüssel mit verschiedenen Verantwortungsbereichen zurück. Johannes Hahn hat seine akademische Ausbildung 1987 mit einer Doktorarbeit mit dem Titel: „Die Perspektiven der Philosophie heute, dargestellt am Phänomen Stadt“ abgeschlossen. Gegen diese Arbeit wurden Plagiatsvorwürfe erhoben. Die Universität sah letztendlich von der Einleitung eines formellen Verfahrens zur Überprüfung der Arbeit ab, stellte aber fest, dass sie schlampig gearbeitet sei und heute nicht mehr als Dissertation angenommen werden könnte. 2007 – 2010 war Johannes Hahn in Österreich Bundesminister für Bildung und Forschung (Wikipedia).
Seine Aufgaben
als Kommissar für Finanzen sind besonders schwierig. Denn der Haushalt der EU steht vor gewaltigen Umbrüchen. Das gilt einerseits was die Aufstockung der Finanzierung betrifft und andererseits was die erstmalige Aufnahme von enormen Schulden zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona Krise angeht. Am 30.5.2020 hat Hahn neue EU Steuern spätestens ab 2027 gefordert. Sein Ziel: die Vermeidung zu hoher Beitragszahlungen zum EU Haushalt für die Mitgliedsländer. Zu diesem Zweck fordert er 1. Steuern für US amerikanische Digitalkonzerne wie Google oder Apple, die in Europa bisher so gut wie keine Steuern zahlen. 2. Abgaben für Importe aus Ländern, die mit miesen Umweltstandards produzieren. Denkbar seien 3. auch Zusatzerlöse aus dem Emissionshandelssystem, sowie 4. Binnenmarktabgaben für Großkonzerne, die besonders von der Warenverkehrsfreiheit in der EU profitieren.
Vorwärts weisende Vorschläge
Diese Vorschläge sind sehr zu begrüßen. Einerseits weil sie diejenigen, die aus dem gemeinsamen Markt der EU am meisten Gewinne erzielen, an der Finanzierung des EU Haushalts beteiligen. Und andererseits weil sie die Mitgliedsländer entlasten würden. Vielleicht würde das die Akzeptanz der EU in der Bevölkerung erhöhen. Schließlich würden die Vorschläge 3. die Kompetenzen des Europäischen Parlaments in der Verfügung über eigene Einnahmequellen stärken.
Kadri Simson
wurde Kommissarin für „Energie„. Sie kommt aus Estland. Dieses Ressort muss sich besonders eng mit dem von Frans Timmermans abstimmen, soll der Green Deal in all seinen Facetten gelingen. Kadri Simson schloss 2000 ihr Geschichtsstudium an der estnischen Universität in Tartu ab und erhielt 2003 einen Abschluss in Politikwissenschaften am University College in London. Sie kommt von der estnischen Zentrumspartei, deren Vorsitzende sie von 2009 – 2016 war und die sie im Parlament vertrat. 2016 – 2019 war sie Ministerin für Wirtschaft und Infrastruktur. Kadri Simson hat damit eine beeindruckende frühe politische Karriere absolviert, die mit dem Posten einer Kommissarin in Brüssel vorläufig gekrönt wird.
Janusz Wojciechowski
aus Polen schloss seine Rechtswissenschaftlichen Studien an der Universität Lodz ab und war von 1980 – 1993 Richter an verschiedenen Gerichten. 1995 – 2001 war er Präsident des polnischen Rechnungshofes. Von 2004 – 2014 war er für verschiedene Parteien Abgeordneter im Europäischen Parlament, zuletzt für die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PIS). Ab 2016 war er Mitglied des Europäischen Rechnungshofes. Seine Zuständigkeit in der von der Leyen – Kommission lautet „Landwirtschaft und ländliche Entwicklung„.
Dies ist eine sehr schwierige Aufgabe, gilt es doch die Reform der landwirtschaftlichen Produktion in Europa hin zur Nachhaltigkeit und zum Umweltschutz voranzutreiben. Gerade mit seinem Herkunftsland wird er es dabei sicher nicht einfach haben.
Virginijus Sinkevicius
aus Litauen, geboren 1990 ist damit der Jüngste unter den Kommissaren. Er verantwortet das Ressort „Umwelt, Meere und Fischerei“. Nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften und der internationalen Beziehungen – Abschluss Bachelor – absolvierte er ein rechtswissenschaftliches Studium in Maastricht mit dem Abschluss LLM. 2017-2019 war er Wirtschaftsminister in Litauen. Er ist verheiratet mit einer Ukrainerin, die er im Studium in Maastricht kennenlernte.
Zwei weitere Nachnominierungen
Neben Frankreich und Rumänien musste auch Ungarn einen Kandidaten nachnominieren, nachdem der ursprüngliche – Laszio Trocsany – im Europäischen Parlament abgelehnt worden war.
Oliver Verhelyi
Als Kommissar wurde von der Regierung Orban, Ungarn, dann Oliver Verhelyi nominiert, der das Ressort „Nachbarschaft und Erweiterung“ zugewiesen bekam. Er ist parteilos und gilt als Vertrauter Victor Orbans. 1994 erwarb er an der Universität Aalborg in Dänemark einen Master in European Legal Studies, 1996 schloss er in Ungarn sein rechtswissenschaftliches Studium ab und wurde 2005 als Anwalt zugelassen. Seit 2015 war er Leiter der ungarischen Vertretung bei der EU.
Oliver Verhelyi ist federführend für die Beitrittsverhandlungen mit Nord-Mazedonien. Nach Beilegung des Namensstreits mit Griechenland ist das Land auf dem Weg, das 28. Mitgliedsland der EU zu werden. Hoffentlich hat er als Ungar keine Vorbehalte gegen dieses Land, dessen Bevölkerung zu ca. 33% muslimisch ist. Der Islam stellt die zweitstärkste Religionsgruppe nach dem Christentum dar. Außerdem wird von ihm erwartet, die Assoziierung mit der Ukraine zu stärken, einem Land, das sich für einen westlichen Kurs in Abgrenzung zu Putins Russland entschieden hat.
Adina Joana Valean
Rumänien hatte zunächst Rovana Plumb als Kommissarin vorgeschlagen. Nachnominiert wurde Adina Joana Valean. Sie hat das Ressort „Verkehr“ übernommen. Frau Valean studierte Mathematik und arbeitete bis 1997 als Lehrerin. Außerdem hat sie einen Postgraduierten Abschluss im Bereich Sicherheit und Verteidigung vorzuweisen. Seit 1997 ist sie Abgeordnete im Europäischen Parlament, bis 2014 in der ALDE Fraktion, also bei den Liberalen, danach in der EVP Fraktion, den Konservativen. Zwischen 2014 und 2017 war sie eine der 17 stellvertretenden Parlamentspräsidenten. In Bezug auf ihre ersten Auftritte als Verkehrskommissarin wird von einem wenig diplomatischen Verhalten berichtet.
Stella Kyriakides
aus Zypern ist Kommissarin für „Gesundheit und Lebensmittelsicherheit“. Sie studierte Psychologie im englischen Reading und in Manchester. Von 1979 – 2006 war sie Gesundheitsministerin in Zypern. 2013 organisierte sie beim Europarat die erste Sensibilisierungskampagne gegen Brustkrebs. Vom 6.10.2017 bis zum 22.1.2018 war sie Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Ihre Zuständigkeit wird angesichts der Corona Pandemie an Bedeutung gewinnen, denn derartige Viren machen an Landesgrenzen nicht halt. Deshalb bedarf es gemeinschaftlicher Vorsorge und bei Ausbrüchen koordinierter Gegenmaßnahmen.
Jutta Urpilainen
Für das Ressort „internationale Partnerschaften“ ist Jutta Urpilainen aus Finnland zuständig. Sie studierte Pädagogik mit Abschluss 2002 und war zunächst Lehrerin. 2008 – 2014 war sie Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Finnlands und bis 2014 Finanzministerin. Jutta Urpilainen spricht neben ihrer Muttersprache Schwedisch, Englisch und Deutsch.
Marija Gabriel
aus Bulgarien ist zuständig für „Innovation, Kultur, Bildung und Jugend„. Sie studierte in Bordeaux Vergleichende Politikwissenschaften und internationale Beziehungen und schloss mit einem Master ab. 2009 wurde sie ins Europäische Parlament gewählt und gehörte der Fraktion der EVP an. Ab 2017 war sie in der Juncker Kommission Kommissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft.
Helena Dalli
kommt aus Malta von der dortigen sozialdemokratischen Partei. Sie ist als Kommissarin für „Gleichstellungspolitik“ zuständig. Sie ist in politischer Soziologie promoviert und war von 1996 bis 1997 Abgeordnete im maltesischen Parlament. Ab 2013 war sie im Kabinett Muscat I Ministerin für sozialen Dialog, Verbraucher Angelegenheiten und Bürgerrechte. Von 2017 bis 2019 war sie Ministerin für Angelegenheiten der EU und Gleichberechtigung im Kabinett Muscat III.
Maltesische Probleme
Ministerpräsident Muscat ist ein heftig umstrittener Politiker unter Mafia Verdacht. Nachdem die Journalistin Daphne Caruna Galizia den Muscat betreffenden Korruptionsskandal um die Panama Papers publik gemacht hatte, wurde sie ermordet. Joseh Muscat soll in das Mordkomplott verstrickt gewesen sein. Am 30.11.2019 kündigte er seinen Rücktritt als Premierminister für Januar 2020 an (Wikipedia).
Es geht hier nicht darum, Helena Dalli mit verantwortlich zu machen für die Taten des Premierministers, unter dem sie diente. Es geht aber darum, Licht auf die Regierungsverhältnisse in Malta zu werfen.
Helena Dalli hat den Anhang – Interessenkonflikte – zum Verhaltenskodex für Kommissionsmitglieder ausführlich ausgefüllt. Sie hat Angaben zu Aktien im Wert von mehr als 10 000,- Euro in ihrem Besitz bzw. im Besitz ihres Mannes, eines Unternehmers, gemacht. Und sie hat dabei ein Vermögen von mehr als 1 Mio. Euro detailliert offengelegt.
Elisa Ferreira
Portugal hat sie in die EU Kommission entsandt. Ihr Ressort wird mit „Kohäsion und Reformen“ umschrieben. Damit muss sie sehr grundsätzliche Fragen nach der zukünftigen Gestaltung der EU beantworten. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften und lehrt dieses Fach seit 1997 an der Universität von Porto. Sie gehört der Partito Socialista an und war von 1995 – 1999 im Kabinett Guterres I Umweltministerin und von 1999 – 2002 Ministerin für Planung im Kabinett Guterres II. Seit 2004 ist sie Mitglied im Europäischen Parlament. Bei dieser Vita darf man gespannt sein auf ihre Reformvorschläge!
Janez Lenarcic
aus Slowenien ist als Kommissar für die Themen „humanitäre Hilfe und Krisenschutz“ zuständig. 2008 – 2014 leitete er das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE). Er hat an der Universität von Ljubljana internationales Recht studiert mit Abschluss 1992. Er hat als Diplomat internationale Erfahrungen, die ihm bei seiner Aufgabe zu Gute kommen werden.
4. Kritische Bewertungen und Erwartungen
Zunächst ist positiv hervorzuheben, dass erstmalig eine hoch qualifizierte Frau zur Präsidentin der Kommission gewählt worden ist. Wird die Antisemitismus Beauftragte mit gerechnet, ist es ihr gelungen, die Kommission paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen! Bisher gab es nicht mal das Ansinnen. Auch bringen die verschiedenen Kommissar*innen ganz unterschiedliche akademische und berufliche Sozialisationen in die Kommission ein. Mehrheitlich sind sie Politikerinnen bzw. Politiker in Parlamenten und Regierungen, aber einige kommen auch aus der Wirtschaft. Bis auf ein zu befürchtendes „schwarzes Schaf“ scheinen alle Kommissarinnen und Kommissare gut qualifiziert und vorbereitet für ihre Aufgaben. Die Kommission setzt sich zusammen aus „alten Hasen“: Denn sieben waren schon Kommissare in der Vorgänger Kommission. Und die vielen Neulinge bringen evtl. zusätzliche neue Ansätze in die Europäische Politik ein.
Das Arbeitsprogramm
Diese „von der Leyen Kommission“ hat relativ schnell ein umfassendes Arbeitsprogramm vorgelegt. Mit den Vorschlägen für einen „Green Deal“ und für eine Erhöhung der nationalen Zahlungen für den EU-Haushalt sowie für einen 750 Milliarden schweren Wiederaufbau Fonds in der Corona Krise hat sie notwendige und sehr wichtige neue Akzente für die kommenden Jahre gesetzt. Leider ist hinsichtlich der Landwirtschaftspolitik wenig zu erwarten, denn sie ist nicht Teil des New Deal.
Schwierigkeit der Abgrenzung der Zuständigkeiten
Die Abgrenzung der einzelnen Zuständigkeiten der Kommissare erscheint nicht immer klar. So gibt es Überschneidungen beispielsweise zwischen den Ressorts „Demokratie und Demographie“ und „Justiz und Rechtsstaatlichkeit“. Ein anderes Beispiel sind „Wettbewerb“ und „Binnenmarkt, Industriepolitik und Dienstleistungen“ einerseits und „Inneres“ und „Förderung des Europäischen Lebensstils“ anderseits. Dies ist offenbar der kaum händelbaren Größe der Kommission geschuldet. Insofern kommt es auf eine gute Zusammenarbeit in der Kommission an. Um die ehrgeizigen Pläne relativ reibungslos umzusetzen, muss sie von der Präsidentin und ihren Stellvertreter*innen geschickt moderiert werden. Vielleicht lassen sich einige Ressorts themenspezifisch Projekt-orientiert zusammenfassen, um Parallelarbeit oder sogar Gegeneinander-Arbeit zu vermeiden.
Politische Akzentverschiebung
Die Zusammensetzung der Kommission verschiebt sich in Relation zu ihrer Vorgängerin deutlich in Richtung zukunftsweisend bzw. Umweltfragen, wenn man auf die Parteizugehörigkeit schaut. Wie weit dies von Bedeutung sein wird, muss sich an den Arbeitsakzenten der Kommission in den Bereichen Umweltschutz, Konjunktur- und Sozialpolitik zeigen.
Das Arbeitsprogramm zeigt: die Herausforderungen sowohl nach innen als auch außenpolitisch sind gewaltig und entsprechend hoch sind die Erwartungen.
Herausforderungen im Binnenverhältnis
Nach innen muss die Kommission, gemeinsam mit den Räten und dem Europäischen Parlament, die Union zusammenhalten. Dies gilt besonders angesichts der Fliehkräfte einiger osteuropäischer Mitgliedsländer. Dafür muss sie helfen, die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Corona- und in ihrem Gefolge Wirtschafts-Krise abzufedern. Die Kommission muss sich gleichzeitig bemühen, die Spannungen sowohl Nord-Süd wie auch Ost-West zu mildern. Auch muss sie bisher liegengebliebene Aufgaben erledigen wie z.B. die dringend notwendige Vollendung der Banken- und Finanzmarkt Union. Diese Aufgabe erfordert dann auch die Einführung eines Hohen Beauftragten für Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Darüber hinaus braucht es eine Perspektive für die weitere Vertiefung der Gemeinschaft.
Herausforderungen nach aussen
Nach außen geht es um die wirtschaftliche und politische Selbstbehauptung und die Gewinnung einer begründeten Souveränität. Dazu voran zu treiben ist auch die militärische Verteidigungsfähigkeit. Außerdem ist zu klären, ob in absehbarer Zeit weitere Länder wie z.B. Nord-Mazedonien aufgenommen werden sollen. Und wie soll das Verhältnis zu assoziierten Ländern wie der Ukraine gestaltet werden. Auch dazu müssen die Fronten weiter geklärt werden. Schließlich geht es um Handelsverträge mit Großbritannien und den USA, auch mit Südamerika.
Wenn auch nur 66% der aufgelisteten Aufgaben erfolgreich bearbeitet werden, wird die von der Leyen Kommission sich einen ehrenvollen Platz in der Geschichte der Europäischen Integration erkämpft haben.