Stärkung einer Europäischen Öffentlichkeit

Was ist zu tun, um  die aufgezeigten Probleme diskutieren zu können? Eine gute Möglichkeit wäre die Herstellung einer stärkeren europäischen Öffentlichkeit und zwar nicht nur auf der institutionellen europäischen Ebene. Was wissen wir darüber, wie z.B. die Schweden oder aber die Italiener über die Flüchtlingsprobleme denken? Was wissen die Iren oder die Rumänen, welche Probleme Deutschland mit der Integration von Asylbewerbern und Wirtschaftsflüchtlingen hat? Ist der polnischen Bevölkerung bekannt oder bewusst, in welchem Ausmaß Polen bisher von der Mitgliedschaft in der EU profitiert hat? Wie weit ist inzwischen der Rechtsstaat z.B. in Bulgarien verankert? Sind Umweltfragen überall präsent?  Die Liste der Fragen lässt sich beliebig fortsetzen.

Wie kann die Öffentlichkeit hergestellt werden

Tageszeitungen und wichtige Medien sollten  zu bestimmten Fragen europaweit vergleichend berichten. Ein guter Schritt wäre es, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender Europas verstärkt zusammenarbeiten. Sie sollten ebenfalls vergleichend politisch und wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell informieren. Die Medien, auch die privat-wirtschaftlichen (!) haben diesbezüglich einen Bildungsauftrag. Sie alle sollten im Sinne des europäischen Zusammenhalts wirken.

Durchsetzung des Rechtsstaats

Die Demokratie zeichnet sich durch die uneingeschränkte Gültigkeit des Rechtsstaates aus.  Allen Mitgliedsländern sind verpflichtet, ihn zu sichern. Das haben sie, besonders alle nach der Jahrhundertwende beigetretenen vor ihrem Beitritt vertraglich zugesichert. Zum Rechtsstaat gehört die Unabhängigkeit der Justiz.

Was bedeutet Unabhängigkeit der Justiz

Dazu gehören mehrere Aspekte. Richter müssen ohne politische Einflussnahme ins Amt kommen. Höhere Gerichte müssen Entscheidungen von Gerichten niederer Instanzen sowie von Verwaltungen  überprüfen können. Der Rechtsstaat findet seine Vollendung, wenn ein unabhängiges Verfassungsgericht politische Entscheidungen und sogar  Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen kann. Zum Rechtsstaat gehört auch eine Polizei,  die demokratisch geschult ist, die nach Recht und Gesetz geführt wird und auch handelt. Der umfassende Rechtsstaat als Teil der Gewaltenteilung gibt den Bürgern Sicherheit nach innen, er schützt sie vor Willkür. Freilich sind rechtsstaatliche Verfahren auch in der Demokratie keine Selbstverständlichkeit. Eine unabhängige Presse  hat die Aufgabe, dies immer wieder zu überprüfen und zu kontrollieren. Und die Zivilgesellschaft  muss sie immer wieder einfordern.

Stärkung des Europäischen Parlaments

Eine starke und berechtigte Forderung ist es, dem Europäischen Parlament mehr Rechte zu geben. Die Zuständigkeiten und Kompetenzen des Parlaments sind weiter auszubauen, um die Identifikation mit Europa zu erhöhen.  Zu einem voll funktionsfähigen Parlament gehört vor allem auch das Budgetrecht, also die Verfügung über eigene Einnahmen und Ausgaben. Neuerdings wird diskutiert, Europa zu erlauben, eigene Kredite aufzunehmen, also Schulden zu machen. Auch das Initiativrecht, also das Recht, neue Gesetze einzubringen gehört zu einem demokratischen Parlament. Zu einem vollwertigen Parlament gehört es auch, die Regierung, hier also die Kommission, als Ganzes oder einzelne Kommissionsmitglieder durch ein Misstrauensvotum ablösen zu können.

Weitere Legitimation

Kritisch wird oft auf das Problem der Repräsentation der europäischen Bürgerschaft hingewiesen. Nicht jeder EU Bürger hat bei Europaparlamentswahlen das gleiche Stimmengewicht. Dies geschieht aber im Sinne eines „Minderheitenschutzes“ für kleinere Länder. Auf Grund der stark abweichenden Bevölkerungszahl der EU Mitgliedsstaaten ist eine unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Wahlstimmen notwendig und gerechtfertigt. Dies ist als Zeichen innereuropäischer Solidarität gedacht. Insofern spricht nichts dagegen, das Europäische Parlament in seiner gegenwärtigen Struktur zu stärken. Es ist als durch Wahlen legitimiert anzusehen. Selbst in Deutschland ist es kaum möglich, jeden Wahlkreis gleich groß zu schneiden.

Ist eine zweite Kammer eine Lösung?

In Anlehnung an das Modell Bundesrat in Deutschland könnte über die Einrichtung einer zweiten Kammer nachgedacht werden. Im Bundesrat sind 69 Stimmen vertreten. Davon sind je 6 für NRW, Baden-Württemberg und Bayern als  größte Bundesländer und je 3 für das Saarland und Bremen als kleine Länder. Das abgestufte Stimmengewicht ist ein Kompromiss. Einerseits geht es um die föderative Forderung nach Gleichbehandlung der Länder trotz unterschiedlicher Größe. Andererseits geht es um  das demokratische Ideal einer exakten Repräsentation der jeweiligen Einwohnerzahl.  Die großen Länder sollen die übrigen nicht übertrumpfen, aber auch die kleinen Länder die übrigen nicht majorisieren können. Das soll diese Lösung gewährleisten.  Bundestag und Bundesrat müssen bei den meisten Gesetzen zusammenwirken. Auf diese Weise kommen im Gesetzgebungsverfahren verschiedene Prinzipien der Repräsentation  der Bürger zur Anwendung.

Beispiel USA

Auch auf den Senat in den USA kann als Beispiel für eine zweite Kammer dienen. Jeder Bundesstaat wählt dort unabhängig von seiner Größe zwei Senatoren. So sind im Senat alle Bundesstaaten (mit Ausnahme von Washington D.C.)  unabhängig von ihrer Größe gleich repräsentiert. Bei den Senatswahlen haben so die einzelnen Bürger*innen der kleinen Bundesstaaten ein ungleich größeres Gewicht als z. B. die Bürger*innen in Kalifornien oder im Staate New York.

Parlament und Kommission, Rat und Ministerräte

Das Europäische Parlament bedarf des Zusammenwirkens mit der Kommission, sowie mit dem Rat der Staats- und Regierungschefs bzw. mit den jeweiligen Ministerräten. Die beiden letzten sind z.T. jeweils nur vermittelt demokratisch legitimiert. Um zu einem Beschluss, also einem Gesetz zu kommen, gibt es deshalb den sog. Trilog, in dem jeweils Verhandlungsführer jedes Organs miteinander eine Lösung suchen. Die drei Gremien sind verpflichtet, bei den Verhandlungen  einen Kompromiss zwischen den drei Gremien zu finden.

Europa funktioniert nach dem Subsidiaritätsprinzip

Die Stärkung des Europäischen Parlaments muss nicht notwendig mit einer Schwächung der nationalen Parlamente einhergehen. Denn es gilt grundsätzlich das Subsidiaritätsprinzip.  Auf Nationalstaatsebene wird demnach weiterhin alles geregelt , was n u r den Einzelstaat betrifft.  Wird das beachtet, so wird in Europa nur das geregelt, was über Grenzen der Mitgliedsstaaten hinaus  koordiniert werden muss.  Aufgrund der gemeinsamen Währung gehört dazu z.B. die Bankenaufsicht.  Auch der Verbraucherschutz lässt sich nur europaweit regeln. Auf der Ebene der Nationalstaaten verbleibt innerhalb des europäischen Rahmens die Regelung der jeweils „inneren“ Angelegenheiten. Derzeit haben die Staaten aber noch viele Aufgaben, die längst europaweit geregelt werden könnten oder sogar müssten. Die Vertiefung der Europäischen Union schreitet  nur recht langsam voran.

Aussenpolitik – Verteidigungspolitik, weitere Zuständigkeiten der EU?

Eine europäische Außenpolitik würde einen vollwärtigen Außenminister benötigen  – nicht nur eine/n Hohe/n Beauftragte/n für Außenpolitik. Die EU müsste eine europäische diplomatische Vertretungen in allen Ländern eröffnen anstelle der bis heute überall zu findenden nationalen diplomatischen Botschaften. Das wäre u.a. ein großes Einsparpotential.

Besonders aber eine europäische Verteidigungspolitik ist bisher kaum zustande gekommen. Sie würde eine Europäische Armee, die unter Europäischem Kommando steht, verlangen und die Abschaffung der jeweils nationalen Armeen. Dazu würde auch eine gemeinsame Rüstungspolitik gehören. Langfristig würde auch dies enorme finanzielle Einsparpotentiale bedeuten.

Erst seit 2017 gibt es zumindest ein gemeinsames Planungsgremium (PESCO) für zukünftige europäische Verteidigungsprojekte. Dies ist angesichts der politischen Entwicklungen in den USA unter  Trump aber auch aufgrund der zunehmenden Aggressivität von Russland von besonderer Bedeutung.

Die EU muss ihre Rolle in der Weltpolitik selbstbewusster definieren, immer allerdings auf der Basis ihrer Grundwerte.

Vertiefung der deutsch-französischen Zusammenarbeit

Frankreich und Deutschland waren in der Vergangenheit der Motor für die Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit. Dies muss auch in der Zukunft so bleiben. Der französische Präsident hat ehrgeizige Vorschläge zur Weiterentwicklung der Union vorgelegt. Leider gibt es keine offizielle deutsche Antwort auf diese Vorschläge.  Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 konnten sich die Staaten auf keine Schritte zur Behebung von Defiziten in der EU und zur weiteren Vertiefung der Union einigen. {Vielleicht  können Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus der Corona-Krise dazu genutzt werden. Da die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, wird sich mit der neuen deutschen Regierung in der Nach-Merkel-Zeit eine neue vertiefte Zusammenarbeit ergeben.}

Mutige Aktionen der Völkerverständigung

Der Chanoine Kir war bis zu seinem Tode 1968 Bürgermeister von Dijon. Gleichzeitig war er von 1945 bis 1967 Mitglied der französischen Nationalversammlung und zweimal ihr Alterspräsident. Er organisierte fast 10 Städtepartnerschaften, so mit York in Großbritannien, mit Dallas USA 1957, mit Mainz 1958, 1959 mit Stalingrad in der Sowjet-Union, heute Wolgograd und mit Reggio d´Emillia in Italien 1963. Für ihn war diese „jumelage“ (Zusammenfügung) die Basis der Völkerverständigung „von unten“. Für die Bewohner seiner Stadt Dijon hat er neue Wohnquartiere geschaffen. Als Naherholungsgebiet ließ er einen künstlichen See herstellen, der nach ihm benannt wurde. Dort steht auch eine Büste, die an ihn erinnert.

Ein Mann mit eigenem Kopf

 Lucien Thimonier, CC BY-SA 4.0

Lucien Thimonier, CC BY-SA 4.0

1960 kam der Generalsekretär der KPDSU  Chruschtschow zu Besuch nach Dijon. Der Bischoff verbot dem Chanoine Kir ein Treffen wegen der Christenverfolgung in der Sowjetunion. Kir verließ gehorsamst für einen Tag Dijon, doch er traf sich später mit Chruschtschow in der Botschaft in Paris. Auch reiste er nach Moskau, um Möglichkeiten der Völkerverständigung auf eigene Faust auszuloten.  Seit diesem Besuch gibt es den „double Kir“: Weißwein plus Cassis (schwarzer Johannisbeersaft) plus Wodka. Kir hatte seinen eigenen Kopf. Dabei mochte er die Kommunisten keinesfalls. Als ihn einmal ein französischer KP-Funktionär vorhielt, er könne doch nicht an Gott glauben, weil er ihn ja nicht gesehen habe, antwortete der Mann in seiner bodenlangen weiten Soutane: „Sie haben meinen Hintern auch noch nicht gesehen, aber ich kann ihnen versichern, es gibt ihn!“

Wiederherstellung der Freizügigkeit

Im Zusammenhang mit den Flüchtlingsströmen 1915/16 nach Europa hat die EU das Schengen-Abkommen über die Freizügigkeit ohne Passkontrollen eingeschränkt. Sie sollte es jetzt, wo der Zustrom von Flüchtlingen nach Europa zurückgegangen ist, wieder voll in Kraft setzen. Denn das Reisen ohne Kontrollen in der EU ist eine unmittelbare Erfahrung, was Europa für jeden einzelnen Bürger bedeutet. Die Freizügigkeit erlaubt u.a. auch, seinen Arbeitsplatz in jedem europäischen Land zu suchen. {Corona war und ist diesbezüglich eine weitere Herausforderung}.

Fortschritte in einem Europa der zwei Geschwindigkeiten

Schengen-Abkommen und Euroeinführung sind Beispiele für das Europa der zwei verschiedenen Geschwindigkeiten. Die Idee einer vertieften Zusammenarbeit in einem Kerneuropa ist  in der EU bereits verwirklicht. Diese Entwicklung kann nicht als Diskriminierung der „Außenstehenden“ gewertet werden. Es steht jedem weiteren Mitgliedsstaat frei, den Regelungen der Vertiefung der anderen Staaten beizutreten, sobald sie die Kriterien erfüllen. Auf dem Weg dahin helfen die Regional-Programme der EU, die besonders  für die später beigetretenen Länder gelten. Aber sogar schon  für die Beitrittskandidaten gelten vorab jeweils große finanzielle Förderungsprogramme.  Damit trifft eigentlich eher das Gegenteil von Benachteiligung zu. Das erklärt auch, warum das Kerneuropa  weiterhin eine besondere Anziehungskraft ausübt.

Vertiefung durch Sozialpolitik

Eine weitere Vertiefung, bei der anfänglich nicht alle Mitgliedsstaaten mitmachen müssen, wäre die Verpflichtung auf eine gemeinsame Sozialpolitik. Diskutiert werden derzeit gemeinsame Standards der Arbeitslosen- und Rentenversicherung.  Diese müssen keineswegs in jedem Land gleich hoch sein. Sondern man kann sie z.B. an die Entwicklung der Kaufkraft anpassen. Das Gleiche würde auch für einen Mindestlohn in jedem Land gelten. Da der Binnenmarkt für alle europäischen Arbeitnehmer*innen geöffnet ist, sind auf sozialem Gebiet ohnehin viele Standards anzugleichen.  Werkverträge jedoch, die  Sub- oder Sub-Subunternehmer  gestalten anstelle von Tarifpartnern, sind eines demokratischen freien Europas nicht würdig.

Infrastrukturpolitik

In manchen Ländern liegt die Jugendarbeitslosigkeit zwischen 25 und 50 Prozent. Das ist zur Wahrung des Zusammenhalts in der EU nicht hinnehmbar.  Hier ist mehr Solidarität gefordert. Europäische Infrastrukturprojekte sollten die betroffenen Länder unterstützen. Damit müssten sie auf einen Pfad des Wirtschaftswachstums zurückkehren können. Bei derartigen Projekten, z. B. zu erneuerbaren Energien ist allerdings eine strenge europäische Kontrolle zur Korruptionsvermeidung zu installieren. Zusätzlich zu Infrastrukturprojekten fördert die  europäische Regionalpolitik den Kampf gegen Arbeitslosigkeit.

Harmonisierung von Unternehmenssteuern

Ein weiterer Schritt könnte die Harmonisierung der Unternehmenssteuern sein. Die Erhebung eigene Steuern  wäre  zudem von großer Wichtigkeit für die EU. Das könnte z.B. eine Steuer für den Finanzsektor sein oder  eine Transaktionssteuer, also eine Börsenumsatzsteuer oder eine Steuer auf die Gewinne der großen außereuropäischen Medien/ Internet-Konzerne wie google, apple etc.

Ein Finanzminister – und sei es zunächst nur für die Eurozone

Die Finanzkrise um 2007/08 hat bei einigen Ländern besonders in Südeuropa eine große Staatsverschuldung sichtbar gemacht.  Die gemeinsame europäische Währung, der Euro, ist also noch nicht stabil genug . Die Krise hat das offen gelegt. Eine wichtige Forderung aus dieser Erkenntnis ist ein  gemeinsamer Finanzminister. Besonders  Frankreich fordert diesen. Gibt es keine Einigung darauf, könnte man mit einem  Finanzminister für den Euroraum beginnen. Er soll die Wirtschafts- und Fiskalpolitik der Mitgliedsländer besser koordinieren. Er könnte  z.B. ein Veto einlegen, wenn ein Staat bei der Haushaltsaufstellung die Verschuldungsregeln nicht einhält. Ein Euro-Finanzminister mit derartigen Kompetenzen bedarf der parlamentarischen Kontrolle. In der Diskussion ist diesbezüglich auch ein eigenes vollwertiges Parlament  n u r  für die Eurozone.

Die Problematik eines europäischen Währungsfonds

In der Diskussion ist auch die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds der in Krisenzeiten nach strengen Regeln Notkredite vergeben kann. Generell ergibt sich hier ein Spannungsverhältnis, denn einerseits soll eine Transferunion vermieden werden (auch wenn wir sie im Bereich der Landwirtschaft  haben). Andererseits unterliegt die EU dem Gebot, aus Solidarität für eine Angleichung der Lebensverhältnisse in der EU zu sorgen.

Vorantreiben der Europäischen Bankenaufsicht

In  der Finanzkrise seit 2007/8 haben wir die Rettung großer insolventer Banken erleben müssen. Aber es darf keine Staatsrettungen mehr für Banken geben!  Denn es ist  der europäische Bürger, der  mit seinen Steuern sowie mit der Absenkung seiner Sparzinsen für die unverantwortliche Spekulation besonders der Investmentbanker zahlt. Aufgrund der von den USA ausgehenden Verflechtung der Investments hat der europäische Bürger  sogar für die  weltweite Verfehlung der Banker zahlen müssen. Und ein Ende der Null-Zins-Politik ist noch immer nicht in Sicht.

Im Fall der Pleite einer Bank müssten zunächst die Aktionäre der betreffenden Bank haften. So ist die europäische Bankenaufsicht auf Grund dieser Erfahrungen zu  organisieren. Die Einlagen der normalen Bürger haben außen vor zu bleiben! Außerdem müssen die Eigenkapitalanforderungen für Großbanken weiterhin wesentlich erhöht werden, um Krisen vorzubeugen. Der  Kauf von Staatsanleihen muss mit Eigenkapital unterlegt werden. Das gehört auch dazu, was momentan nicht der Fall ist. Bald 15 Jahre nach Beginn der Krise ist die Bankenaufsicht immer noch nicht fertig umgesetzt.

Verstärkung des Kampfes gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität

2014 ist der erste Korruptionsbericht der EU Kommission vorgelegt worden. Laut diesem  kostet die Korruption, die weitgehend mit Bestechung gleichzusetzen ist, die EU jährlich rund 120 Milliarden Euro.  Der gesamte EU-Haushalt belief sich 2017 auf 134,5 Milliarden Euro. Bei Zurückdrängung der Korruption nur um die Hälfte würde in zwei Jahren fast der gesamte EU-Haushalt erwirtschaftet. In dem Bericht heißt es: „Korruption untergräbt das Vertrauen der Bürger in demokratische Institutionen und die Rechtsstaatlichkeit. Sie schädigt die europäische Wirtschaft und entzieht Staaten dringend benötigte Steuereinnahmen“. Die Glaubwürdigkeit von EU-Institutionen würde also wesentlich gesteigert, wenn Korruption in der EU entschlossener bekämpft  würde. Das kann  z. B. durch verstärkte Steuerfahndung geschehen. Auch die weitere Schließung von Steuerschlupflöchern wäre sicher sehr effektiv. Und die vermehrte Strafverfolgung von Wirtschaftskriminalität würde helfen. Darauf hoffen z.B. die Bevölkerungen osteuropäischer Länder besonders. Aber auch die europäische Zivilgesellschaft macht Druck.

Stärkung der Innovationskraft in Europa

Die europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist gefordert, in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt mit den USA und China mitzuhalten. Technische Kreativität zur Erfindung nützlicher Anwendungen für die Bürger muss gefördert werden. Das Projekt „Leonardo da Vinci“ ist ein früher Leuchtturm  europäischer Forschung.  Die Leistungsfähigkeit europäischer Unternehmen besonders im Hochtechnologiebereich  muss gewahrt bleiben. Nur dann können die Arbeitsplätze in der Industrie und im Dienstleistungsbereich erhalten werden. Dafür muss es einen Schub für Digitalisierungen geben.  Die notwendigen Staatseinnahmen werden nur so gesichert. Unsere im Weltmaßstab vorbildlichen Sozialleistungen können nur dadurch aufrecht werden. Denn nur das, was vorher erwirtschaftet wurde, kann später verteilt werden.

Bessere Vernetzung  europäischer Ausbildungs- und Bildungsstrategien

Die Qualifizierung von Arbeitnehmer*innen ist angesichts der Digitalisierung praktisch aller Lebensbereiche mit höchster Priorität voranzutreiben. Einerseits werden durch weitere Automatisierung bisherige Arbeitsplätze wegfallen. Das bedeutet, es bedarf  umfassender Umschulungsprogramme. Andererseits werden verstärkt Programmierer gesucht, die nun entsprechend den Anforderungen der Digitalisierung ausgebildet werden müssen. Diese Prozesse kommen nicht von heute auf morgen über uns, aber sie kommen. Es gilt daher, sich rechtzeitig auf einen fundamentalen Wandel einzustellen. Den wird es nicht nur in der Industrie geben, sondern auch im Dienstleistungssektor, in der öffentlichen Verwaltung, im Verkehr, im Energiesektor, in der Landwirtschaft und im privaten Haushalt. Und dies ist alles unabhängig von der mittlerweile überdeutlich gewordenen Klimakrise. Diese erfordert überdies einen fundamentalen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft.

Bewahrung der kulturellen Vielfalt Europas

Die Identität der Bürger*innen Europas ist durch unterschiedliche geschichtliche Erfahrungen und vielfältige kulturelle Prägungen gekennzeichnet. Wegen all der Unterschiede muss immer wieder  Werbung für ein gegenseitiges Verständnis gemacht werden. Dazu dienen u.a. die internationalen Jugendprojekte wie Erasmus für Studenten und Erasmus plus für Praktika von Auszubildenden. Auch die jährlich wechselnden Kulturhauptstädte in Europa sind dem Zusammen-Wachsen  gedacht. Es gilt, die unterschiedlichen Sprachen zu erhalten, aber sich gleichzeitig möglichst überall in Europa mit einer Sprache  verständigen zu können. Es ist wohl als eine Ironie der Entwicklung zu bezeichnen:  Großbritannien tritt aus der EU aus, aber das Englische wir wohl am ehesten die „lingua franca“ bleiben .

Das Motto der EU lautet:

 I n   V i e l f a l t  g e e i n t .

 

Zusammengefasst heißt das:

Fundamentale Grundsätze für ein friedliches Europa müssen immer wieder verdeutlicht werden. Das sind die  universelle Geltung der Menschenrechte, des Minderheitenschutzes und des Rechtsstaates, die Einhaltung demokratischer Grundsätze in der Politik und der Kampf gegen Korruption. Europa ist weit über den gemeinsamen Markt hinaus als Wertegemeinschaft konstituiert. Versammlung und Meinungsfreiheit,  Religions- und Reisefreiheit , sowie die Niederlassungsfreiheit sind für die jüngere Generation der (West-) Europäer *innen Selbstverständlichkeiten. Sie ist damit aufgewachsen. Es kann aber nicht oft genug betont werden: Diese Freiheiten wurden in einem langen historischen Prozess erkämpft. Sie sind bzw. werden immer wieder gefährdet – leider sogar in Mitgliedsländern der EU, die sich vor ihrem Beitritt zur Einhaltung verpflichtet haben.

Eine emotionale Basis

Deshalb ist es gut, wenn eine emotionale Bindung an Europa entsteht und aufrecht erhalten werden kann. Eine solche Basis  erleichtert ein aktives Engagement für die Vertiefung der europäischen Gemeinschaft und für eine umfassende Verständigung zwischen den Bürger*innen Europas.

Die Notwendigkeiten eines inzwischen global wettbewerbsfähigen, gemeinsamen Marktes müssen  weiterhin aktiv ergänzt und versöhnt werden  mit europäischer Solidarität.

Erhaltung der kulturellen Vielfalt

Die Organisation Europas ist kompliziert und nicht von jedermann zu durchschauen. Um so wichtiger ist es, die weltweit einzigartigen Grundlagen immer wieder zu verdeutlichen. Sie ergeben sich aus und auf der Basis eines gemeinsamen Marktes für über 450 Millionen Bürger*innen mit starker wirtschaftlicher Wettbewerbsorientierung und einer Förderung von Innovationen. Auf dieser Basis der Wirtschaftskraft wird die Erhaltung der großen kulturellen Vielfalt der Jahrtausende alten Geschichte möglich.

Dies alles muss fundiert sein und bleiben durch die europäische Wertegemeinschaft. Die geschaffene Freizügigkeit in Europa  soll es jedem Bürger erlauben, sich wirtschaftlich und kulturell überall in der EU zu entfalten. Wohin er oder sie in Europa  reist, soll er/sie sich sicher  fühlen. Egal, ob er oder sie dort arbeiten will oder Urlaub machen oder dort wohnen will.