1. Rechtsstaat und Demokratie – Vorbemerkungen

Fragen wir nach dem Wesen der Demokratie, so hören wir als Antwort,  die Mehrheit des Volkes hat das Sagen. Im Grundgesetz steht: Alle Gewalt geht vom Volke aus! Doch so einfach ist es nicht. Denn es gibt zwei unterschiedliche Vorstellungen von Demokratie und zwei  verschiedene Formen. Wir leben in Deutschland und überall in der Europäischen Gemeinschaft in einer repräsentativen Demokratie. Viele Menschen „träumen“ aber  von einer direkten Demokratie mit viel mehr Mitsprache der Bevölkerung. Diese Form jedoch birgt immer die Gefahr, dass Populisten die Meinung vor einer Abstimmung „kapern“.

Repräsentative Demokratie

bedeutet zunächst einmal, der Wille des Volkes kann sich  über Wahlen ausdrücken. Eine Grund-Voraussetzung dafür ist:  verschiedene politische Parteien wirken entscheidend mit. Die Bürger*innen wählen den oder die Kandidat*in, der einer vom Wähler bevorzugten Partei angehört oder aber die zu Fragen im Wahlkampf eine bestimmte Meinung vertritt. Die dann gewählten Volksvertreter*innen repräsentieren im Parlament die Mehrheitsmeinung ihres Wahlkreises.

Da unser Grundgesetz aber mit gutem Grund vom freien Mandat der Abgeordneten ausgeht, ist der gewählte Volksvertreter nicht an einen bestimmten Auftrag seiner Wähler gebunden. Bezogen auf die erste Aussage über die Mehrheit des Volkes bedeutet diese Form der repräsentativen Demokratie: es ist ein Puffer eingebaut gegenüber direkten populistischen Willensäußerungen von Teilen des Volkes.

Negative Erfahrungen mit direkter Demokratie

Die Erfahrungen mit unmittelbaren Volksabstimmungen, also mit Formen einer direkten Demokratie sind mehr als negativ. Es kommt fundamental auf die Formulierung der Frage oder der Fragen an. Diese können erfahrungsgemäß sehr suggestiv sein. Außerdem lassen sich komplexe Entscheidungsfindungen nicht in Ja – Nein – Gegenüberstellungen pressen. Schließlich besteht immer folgende Gefahr: die Kontroversen werden populistisch aufgeheizt und auch mit unwahren Behauptungen verfälscht. Jüngstes Beispiel ist die britische Volksabstimmung über den Brexit. Sie wurde den Problemen der Mitgliedschaft in der EU -unabhängig vom Ausgang- keineswegs gerecht.

Wahlperioden für freie Wahlen

Politische Mandate, die im Parlament zu Regierungen führen, sind in der Demokratie immer nur auf Zeit gewährt. Dies ist ein Mittel, um eine Verfestigung von politischen Machtpositionen über die Zeit zu verhindern. Es eröffnet die Möglichkeit der Durchsetzung anderer politischer Strömungen durch eine neue Wahl. Deshalb finden in festgelegten Abständen von Zeit zu Zeit Wahlen statt. Diese Wahlen müssen frei und fair sein. „Frei“ bedeutet, kein Kandidat darf versuchen, die Wähler zu „kaufen“.   In Ägypten z.B. bot vor Jahren ein reicher Unternehmer, der ins Parlament drängte, Wähler*innen, die er für sich gewinnen wollte, einen kostenlosen Kühlschrank an.

Faire Wahlen

Fairness beginnt bei der Abgrenzung der Wahlkreise. Das Ziel dabei ist, die größtmögliche Gleichheit des Stimmengewicht jeder Wahlstimme sicherzustellen. Fairness setzt sich fort in der Handhabung der Wählerregistrierung bzw. der Wahl-Benachrichtigung.  Sie bezieht sich dann auf die Informationen über das Wahllokal, den Termin und die Öffnungszeiten, aber auch über die Möglichkeit und die Bedingungen der Briefwahl. Dabei ist von Bedeutung, in welchem Zeitraum die Briefwahlstimmen eingehen dürfen und ausgezählt werden. Fairness betrifft schließlich die Organisation der Wahl selbst, insbesondere die Garantie des Wahlgeheimnisses. Und sie endet bei einer offen stattfindenden und kontrollierbaren Auszählung. Außerdem sind die Wahlen in einem transparenten Verfahren durchzuführen, möglicherweise auch unter Aufsicht unabhängiger Wahlbeobachter.

Konkret: das Beispiel der letzten Präsidentenwahl in den USA

Die Organisation und Durchführung von Wahlen unterliegen außerdem der möglichen Kontrolle der Gerichte. In den USA z.B. waren die letzten Wahlen, als Trump wieder antrat und Biden dagegen kandidierte, in keinem der genannten Punkte fair, angefangen mit der Abgrenzung der Wahlkreise.  Die Versuche der Republikaner, die Ergebnisse in vielen Staaten durch Gerichte zu kippen, wurde in allen Fällen abgeschmettert. Die Gerichte hielten Stand. Diesmal noch.

In den Staaten jedoch, in denen die Republikaner die Mehrheit haben, werden z.B. seit der Wahl von Biden vielfältige Gesetzgebungsverfahren verabschiedet, damit die Auszählungen bei der nächsten Wahl verfälscht werden können.

Die Frage des Wahlrechts

In Bezug auf das Wahlrecht gibt es grundsätzlich zwei Ausgestaltungen. 1. Das Mehrheitswahlrecht nach dem Prinzip „the winner takes it all“. Danach ist  im Wahlkreis derjenige gewählt, der die meisten Stimmen erhalten hat. Alle Stimmen für die unterlegenen Kandidaten fallen unter den Tisch. 2. Beim Verhältniswahlrecht  dagegen entscheidet das Gesamt-Wahlergebnis über die Vertretung der verschiedenen Parteien  im Parlament. Über das Zweit-Stimmen-Ergebnis wird ein Ausgleich organisiert, der den in der Wahl entschiedenen Proporz herstellt.

Das Wahlrecht für das Europäische Parlament

Was  die Europäische Gemeinschaft angeht, so werden die Wahlen zum Europäischen Parlament nach dem Wahlrecht, das in dem jeweiligen Mitgliedsstaat gilt, durchgeführt. Das heißt,  in dem einen Staat findet ein Mehrheitswahlrecht und in einem anderen Staat ein Verhältniswahlrecht Anwendung. In jedem Staat werden „eigene“ Kandidaten aufgestellt. Bisher gibt es keine transnationalen Listen. Es gibt nicht einmal einen gemeinsamen Termin für alle Staaten für die Wahl zum Europäischen Parlament. Die Wahlen ziehen sich ungefähr über eine Woche hin. Denn die Staaten haben unterschiedliche Tage, an denen sie traditionell ihre Wahlen veranstalten.

Mehrheit und Minderheit in der Demokratie

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Justitia, bzw. die Göttin der Gerechtigkeit von Lucas Cranach dem Älteren, 1537, Öl auf Holz, Wiki Commons, Public Domain; merke den hauchdünnen Schleier über Augen, Armen und Teilen des Körpers

Demokratie bedeutet nicht ein Durchregieren  der Mehrheit im Parlament. Einerseits gibt es unabdingbar einen Minderheitenschutz. Der kommt u.a. im Rede- und Fragerecht der Oppositionsparteien im Parlament  zum Ausdruck. Wenn die Antworten der Regierung der Opposition nicht ausreichen,  können sie z. B. Untersuchungsausschüsse einsetzen. Andererseits ist auch die jeweilige Parlamentsmehrheit an die Verfassung mit den garantierten Grundrechten und an die bestehenden Gesetze gebunden.

Damit kommt der Rechtsstaat ins Spiel. Neue, vom Parlament verabschiedete Gesetze und ihre Anwendung durch die staatliche Verwaltung unterliegen der jederzeit gegebenen Möglichkeit der Überprüfung durch die Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht. In der Europäischen Union kann der Europäischen Gerichtshof diese Aufgabe wahrnehmen.

Justitia 

Die Demokratie ist darum bemüht, die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz sicherzustellen. Deshalb hat Justitia in vielen Darstellungen eine Binde vor den Augen oder sie schaut starr geradeaus (wie in dem Bild des Justizpalastes in Rom, über diesem Artikel). Die künstlerischen Darstellungen symbolisieren die Rechtsprechung ohne Ansehen der Person sowie den Schutz vor der Willkür der exekutiven Gewalt. Das ist ein Motiv  seit der Antike. Heute finden wir dieses Motiv in aller Welt von Tokio und Hong Kong bis nach Brasilien.

Gewaltenteilung

Derartige Überprüfungen des Gesetzesvollzuges haben nur dann einen Sinn, wenn die Gerichte von der Regierung und dem Parlament unabhängig sind. Hinter der Vorstellung der Unabhängigkeit steht das Konzept der Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Die Politik soll in geregelten Bahnen verlaufen. Die einzelnen Organe der Staatsorganisation sollen durch das System der „Checks and Balances“ (gegenseitige Kontrolle und Ausbalancierung) niemals allein Herrschaft ausüben. Dies ist eine Konsequenz aus den negativen Erfahrungen mit totalitärer Gewalt. In Europa haben die Menschen diese nicht nur mit dem deutschen, dem italienischen und dem spanischen Faschismus gemacht, sondern auch mit Militärdiktaturen, z. B. für eine gewisse Zeit in Griechenland.  Auch die Ein-Parteien-Herrschaft in der Sowjetunion und in noch einigen Ländern des Ostblocks bzw. Ostasiens üben totalitäre Gewalt aus, so wie auch das kommunistische China.

Die Rolle der Medien

Bei Wahlen spielen die Medien eine entscheidende Rolle. Berichten sie über den Wahlkampf fair und unvoreingenommen? Sind sie Staatsmedien, wie früher in der kommunistischen Sowjetunion? Diese sind von vorneherein voreingenommen für die Parteien, die hinter der Regierung stehen. Sind die Journalisten unabhängig von der Wahl gut bezahlt oder sind sie auf „Bestechungsgelder“ einzelner Kandidaten angewiesen? Müssen Journalisten um ihre kritische Berichterstattung fürchten? Können sie bedroht, verfolgt, eingesperrt oder sogar ermordet werden? (Vgl. Bernd-Peter Lange, David Ward, The Media and Elections, A Handbook and Comparative Study 2004).

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Lady Justice, Deval Kulshrestha, CC BY-SA 4.0

Eine 4. Gewalt?

Oft bezeichnen Politiker die Medien als 4. Gewalt. Ihre Funktion ist die kritische Begleitung der politischen Willensbildung in den politischen Parteien und im Parlament. Aber auch die Entwicklungen  in der Gesellschaft und die Berichterstattung über wirtschaftliche und auch kulturelle Ereignisse gehören zu den Aufgaben der guten Berichterstattung. Um eine derartige Funktion ausüben zu können, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein. Die Medien, sowohl die  – Print-Medien wie auch die elektronischen Medien – müssen vom Staat, von den einzelnen politischen Parteien oder von spezifischen Interessengruppen unabhängig sein.

Keine Monopole

Macht-Zusammenballungen darf es im Medienbereich nicht  geben.  Das Spektrum der Meinungen wird dann in der Regel auf eine Meinung verengt. Dann schrumpfen die Auswahlmöglichkeiten der Bürger für ihre Informationsbedarfe und es besteht die Gefahr der Meinungsmanipulation. Das Leitbild muss also ein gewisser Medienpluralismus sein. In den Medien müssen überdies Journalisten arbeiten, die erstens fachlich gut qualifiziert sind und die zweitens ordentlich für ihre Arbeit bezahlt werden. Drittens müssen sie ihr Handwerk verstehen, nämlich die klare Unterscheidung zwischen Berichterstattung über Fakten einerseits und Kommentar andererseits. In vielen Bereichen haben wir heute einen Meinungsjournalismus. Ein solcher versucht, direkt auf die Meinungsbildung der Bevölkerung Einfluss zu nehmen. Das ist eine gefährliche Entwicklung in einer Zeit, in der immer öfter mit verdrehten oder vollkommen falschen Nachrichten gearbeitet wird.

Die Unabhängigkeit der Justiz

Justitia urteilt unparteiisch ohne Ansehen der Person nur dem Recht verpflichtet. Sie urteilt in Beachtung des Gleichheitssatzes. Das bedeutet: gleiche Tatbestände müssen gleich behandelt werden, ungleiche entsprechend ihrer Spezifika. Für die Gleichbehandlung steht seit Urzeiten das Symbol der Waage, die Justitia in den meisten Abbildungen trägt.

Der Rechtsstaat in dem Zusammenwirken mit den anderen „Gewalten“ in der Gesellschaft ist nur dann funktionsfähig, wenn alle seine Organe unabhängig sind. Das sind die Staatsanwaltschaften, die Rechtsanwälte und die Gerichte. Von der Politik ist die Unabhängigkeit der Justiz z.B. nur dann gegeben, wenn die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten in einem geregelten, transparenten Verfahren erfolgt.  Weder die Richter, noch die Staatsanwälte dürfen aus politischen Gründen abberufen werden.  Die Zuständigkeit innerhalb eines Gerichts mit verschiedenen Kammern oder Senaten in Selbstverwaltung wird im Voraus festgelegt, bevor überhaupt Fälle anhängig werden. Nur so kann der Anspruch auf einen neutralen Richter  erreicht werden.

Verschiedene gerichtliche Instanzen

Da Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte auch nur Menschen sind, die irren können, ist das Gerichtssystem mehrstufig aufgebaut. Nicht nur gegen erstinstanzliche Urteile kann Berufung eingelegt werden. Gegen Urteile einer höheren Instanz ist in der Regel die Revision zum obersten Gericht zulässig. In Deutschland gibt es darüber hinaus noch das Bundesverfassungsgericht. Das kann höher-instanzliche Entscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüfen. Auch neue Gesetze kann das Bundesverfassungsgericht daraufhin überprüfen. So sollen Rechtsirrtümer oder Fehlurteile weitestgehend ausgeschlossen und eine gewisse Einheitlichkeit der Rechtsanwendung gewährleistet werden. Dieser Rechtsweg ist zwar oft lang und mühsam, aber er ist der Preis für ein gewisses Maß an Gerechtigkeit.

Ausbildung der Jurist*innen

Die Qualität der Rechtsprechung hängt auch von der Juristenausbildung ab. Die Zivilgesellschaft wünscht sich,  neben der formal juristischen Lehre auch die Vermittlung von Informationen zur Psychologie und zum Wirtschafts-Geschehen. Juristen urteilen sehr oft nur formaljuristisch. Das wird dem tatsächlichen Leben nicht immer gerecht. Zunehmend müssen sich Juristen heute auch in technische Fragen einarbeiten. Sie müssen z.B. in der Lage sein,  Details von Motorenkonfigurationen wie aktuell im Dieselskandal zu beurteilen.

Zusammenfassung

Funktionsfähige Demokratien – das verdeutlichen diese skizzenhaften Beschreibungen und Anforderungen –  sind  auf unterschiedliche politische Parteien angewiesen. Die Parteien bündeln, filtern und repräsentieren die Meinung des Volkes. Die Gewaltenteilung sowie intakte, unabhängige Organe der Justiz müssen außerdem gewährleistet sein. Ohne Grundrechte, ohne Minderheitenschutz, ohne unabhängige und pluralistische Medien, über die der Rechtsstaat wacht, sind Gesellschaften allenfalls auf dem Papier demokratisch. Rechtsstaat und Demokratie sind daher in einem komplexen Zusammenhang verbunden.

2. Grundwerte der EU und Durchsetzung des EU-Rechts

In Titel I, Art. 2 AEUV (Lissabon Vertrag) werden die Grundwerte so benannt: „Die Werte, auf die sich die EU gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedsstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Männern und Frauen auszeichnet“.

Das sind zunächst allgemeine Begriffe, die der Interpretation bedürfen. Sie sind vor allem dann von Bedeutung, wenn sie sich in konkreten Rechtsvorschriften niederschlagen. Und die Bürger müssen die Grundwerte einklagen und in formalen Rechtsstaatsverfahren der EU überprüfen können.

EU-Verfahren direkt im Rat: die Suspensivklausel

Verletzt ein Mitgliedsstaat die genannten Grundwerte, so kann die EU Kommission nach Art. 7 Abs. 1 AEUV ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Nach Art. 7 Abs. 2 ist zur Feststellung eines Verstoßes gegen die Grundwerte der EU Einstimmigkeit der Mitgliedsländer im Rat der Staats- und Regierungschefs erforderlich. Natürlich darf das betroffene Land nicht mitstimmen. Ist eine solche Feststellung im Rat getroffen worden, legt Abs. 3 dann allerdings fest: Sanktionen können mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Dafür sind einerseits  72% der Mitgliedsstaaten und gleichzeitig eine Repräsentanz von 65% der Bevölkerung notwendig. Außerdem ist die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich mit 2/3 der abgegebenen Stimmen. Aber diese müssen mindestens die Mehrheit der Mitglieder repräsentieren. Die Sanktionen können bis zum Ausschluss von Stimmrechten in EU Gremien führen.

Eine doppelte Problematik

Die entscheidende Hürde ist also das Erfordernis der Einstimmigkeit nach Abs. 2.  Dies ist nicht nur formal juristisch durchzusetzen,  sondern gerade auch politisch. Es gibt jedoch ein gravierendes Problem in solch einem Feststellungsverfahren:  Dort sitzen die Staats- und Regierungschefs quasi über einen der Ihren „zu Gericht“. Diese Situation ist sehr unerquicklich, denn womöglich muss man morgen ja wieder zusammenarbeiten. Außerdem  kommt eine weitere Problematik dazu. Hier sollen Politiker ein quasi rechtsförmiges Verfahren durchführen. Normalerweise ist ein solches Verfahren unabhängigen Gerichten vorbehalten.

Wegen dieser doppelten Problematik hat sich ein Verfahren nach Art. 7 als praktisch nicht anwendbar erwiesen.

Schutz der Rechtsstaatlichkeit durch EU-Verfahren vor dem EUGH

Handelt es sich bei dem Verstoß eines Mitgliedslandes nach Meinung der EU Kommission jedoch um einen Verstoß gegen eine EU-Verordnung, also ein EU-Gesetz oder gegen eine EU-Richtlinie, kann die Kommission direkt ein Vertragsverletzungsverfahren vor den EUGH bringen. Das kann passieren, wenn ein Mitgliedsland eine Verordnung oder Richtlinie nicht adäquat oder nicht rechtzeitig umgesetzt hat oder wenn das Land dagegen verstoßen hat.

Aber auch hier gibt es durchaus Fälle, in denen die EU bereits Verordnungen erlassen hat, in denen es um Grundwerte geht. Dann spielen die Grundwerte  eine entscheidende Rolle als Bewertungsmaßstab. In diesen Fällen sind die Sanktionen allerdings nicht so weitgehend wie bei Verfahren nach Artikel 7, die – wie oben beschrieben – der Rat entscheidet.

3. Die Gefährdungen der Rechtsstaatlichkeit durch Macht und Korruption

Wer in die Politik geht, will in der Regel gestalten und Probleme lösen. Es kann dem angehenden Politiker aber auch in erster Linie um Macht-Ausübung gehen. Macht hat jemand dann, wenn er oder sie ein Verhalten bei  einer anderen Person auch gegen deren Willen durchsetzen kann oder aber das Unterlassen. Wer Macht anstrebt, lässt sich nicht gerne kontrollieren, weder von der Justiz noch von den Medien. Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut! Politiker, die nach Alleinherrschaft streben, versuchen zunächst Rivalen auszuschalten und dann die Justiz sowie die Medien unter ihre Kontrolle zu bringen.

Beispiel a)

Wie in Polen zu beobachten, kann die Unabhängigkeit der Judikative untergraben werden. Das kann sogar mit Zustimmung des Parlamentes geschehen. Bei komfortabler Mehrheit im Parlament können die Prozeduren zur Richterernennung durchaus auf gesetzlicher Basis politisiert werden. Auch die finanzielle Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften kann dann nach herrschendem politischen Belieben gesteuert werden. Justizminister können ein Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten ausüben, um „der Herrschaft“ missliebige Verfahren zu unterdrücken.(vgl. hier)

Beispiel b)

Die Gängelung der Medien durch autoritäre Herrschaft kann z.B. durch den Kauf von Medien durch Mittelsmänner ausgeübt werden. Danach kann die Regierung sie dann in aller Ruhe „auf Linie“ bringen. Auch ist denkbar, mit Hilfe der Finanzierung der Medien ein herrschaftskonformes Verhalten sicher zu stellen. Autoritäre Regime wie in Russland unter Putin aber sogar innerhalb der EU schrecken auch nicht davor zurück, Morde an unbequemen Journalisten in Auftrag zu geben.

Beispiel c)

Was versteht man unter Korruption? Dies ist ein Sammelbegriff für eine Reihe von Tatbeständen. Dazu gehören Beamtenbestechungen und  Schmiergeldzahlungen, Subventionsbetrug und Geldwäsche ,sowie mafiöse Herrschaft über ganze Wirtschaftszweige wie Drogen- und Menschenhandel. Auf einer Forschungsreise nach Japan wurde der Autor bei einem Sonntagsausflug Zeuge realer Geldwäsche. 

Reale Geldwäsche

Vor einem Tempel traf er auf eine Schlange festlich gekleideter Männer, die Schritt für Schritt zu einem kleinen Brunnen ähnlich der Weihwasserschale in der katholischen Kirche vorrückten.  Die Frauen hielten sich im Hintergrund. Beim Brunnen angekommen, zog der  vorderste Geschäftsmann seine Brieftasche aus der Jackentasche und entnahm ihr Geldscheine. In aller Öffentlichkeit tauchte er sie ins offenbar „heilige“ Wasser. Dann fächelte er die Wassertropfen von den Scheinen ab  und verstaute die Scheine sorgfältig wieder in der Brieftasche. Mit einer Demutsgeste dem Tempel gegenüber verließ unser Unternehmer, der offenbar mit schmutzigem Geld gekommen war, mit nun sauberem Geld den Ort und machte Platz für den nächsten.

Tatsächliche Geldwäsche

Normaler Weise findet Geldwäsche heimlich statt. Um Geld, das illegal z. B. aus Drogengeschäften „gewonnen“ wurde, in den „normalen“ Wirtschaftskreislauf zu schleusen, werden z. B. Immobiliengeschäfte mit Bargeld getätigt. Ist die Immobilie erst einmal ins Grundbuch eingetragen, gibt es keine Spur, womit das Haus bezahlt wurde. Die Notare sind zwar verpflichtet, wenn sie bei so einem Geschäft Verdacht schöpfen, staatliche Stellen zu benachrichtigen, aber wer zeigt schon gerne seinen guten Kunden an!  Nach wie vor  dürfen in Deutschland skandalöser Weise Immobilien mit Bargeld bezahlt werden.  In Berlin gibt es ganze Wohnblocks, in denen Abends nirgendwo Licht brennt!

Politik zur Verhinderung von Geldwäsche in Deutschland – ? –

Um dem einen Riegel vorzuschieben, ist beim Landgericht Berlin eine Taskforce Geldwäsche eingesetzt worden – in der Zeit der rot-roten Regierung der Stadt. Deren Auftrag ist, die Notare, die ja die Immobiliengeschäfte beurkunden und eintragen lassen müssen, verstärkt zu kontrollieren. Im Jahr 2021 sind so bis zum Juli 86 Verdachtsmeldungen eingegangen. Aber ab 1. August 2021 gilt eine Gesetzesänderung im Bund! Diese „verdammt“ die Taskforce quasi zur Untätigkeit und entzieht ihr die Befugnisse. Eine Bundesratsinitiative des Landes Berlin dagegen hat der Rechtsauschuss des Bundestages abgelehnt. (Die Zeit N° 41, 2021)

Verschleierung von Lobbyeinfluss

Eine weitere Form der Korruption kann dann gegeben sein, wenn die Regierung z.B. Entwürfe für Gesetzestexte durch Rechtsanwaltkanzleien schreiben lässt. Oftmals arbeiten diese gezielt für bestimmte Lobbygruppen. So kommen dann Interessenpositionen direkt in Gesetze, die das Parlament verabschiedet. Da es bisher keinen legislativen Fußabdruck gibt, der Lobbying während des Gesetzgebungsprozesses auf allen Ebenen sichtbar macht, wird das Lobbying  in Deutschland nicht direkt sichtbar. Die Hoffnungen ruhen auf der neuen Regierung ab 2021.

Schmiergeldzahlungen

Unternehmensvertreter tätigen sie z.B., um Aufträge an der Konkurrenz vorbei für ein Unternehmen „an Land“ zu ziehen. Entweder überreichen sie direkt Briefumschläge, prall mit Geldscheinen gefüllt. Oder jemand im Unternehmen bucht Tickets für eine Kreuzfahrt oder den Ferienaufenthalt zu Zweit – mit der Ehefrau oder der Geliebten je nach Wunsch. Es ist noch gar nicht so lange her, da waren derartige „Geschenke“ in Deutschland sogar für das „gebende“ Unternehmen von der Steuer absetzbar!

Ein Beispiel

Ein Gespräch eines Antragstellers für ein Bauvorhaben beim Abteilungsleiter des städtischen Bauamtes kann auch folgendermaßen ablaufen: Ich würde gerne doch noch ein Stockwerk höher bauen als bisher  vorgesehen. Der Abteilungsleiter wiegt bedenklich den Kopf. Dann fragt er den Antragsteller, wie ihm denn das Bild hinter seinem Schreibtisch gefalle. Der Antragsteller lobt das Bild. Und der Abteilungsleiter? Er sagt, ich würde gerne ein neues aufhängen. Für 15 000,- Euro könne der Antragsteller dieses Abzuhängende erwerben. Der willigt ein und bekommt die Genehmigung für sein zusätzliches Stockwerk. Das Bild ist eine Reproduktion im Wert von 800,- Euro.

Subventionsbetrug

Dieser liegt dann vor, wenn ein Unternehmen staatliche Leistungen erschleicht z. B. durch gefälschte Papiere über förderungswürdige Projekte. Ein Beispiel könnten z.B.  Zusatzzahlungen für einen landwirtschaftlichen Betrieb  für das sog. Greening sein, also für Blühstreifen an den Rändern seiner Felder. Die Gelder werden in Anspruch genommen. Die Streifen existieren aber gar nicht oder nur zum Teil.

Buxtehude_Rathaus, Die Anwesenheit von Justitia bei der Steuereinnahme für die Stadtkasse, Oxfordian Kissuth, CC BY-SA 3.0, Glasmalerei.jpg

Buxtehude Rathaus, Die Anwesenheit von Justitia bei der Steuereinnahme für die Stadtkasse, Oxfordian Kissuth, CC BY-SA 3.0, Glasmalerei

Steuerbetrug

Dafür gibt es verschiedene Formen. Das fängt an bei gefälschten Belegen über Aufwendungen z.B. bei Fahrtkosten. Diese mindern die zu zahlende Einkommenssteuer. Eine weitere Möglichkeit ist, die Aufteilung der normal fälligen Umsatzsteuer eines Handwerksbetrieb zwischen diesem und seinem Auftraggeber – nur ein Teil der Rechnung wird ausgewiesen, der Rest wird bar und damit ohne Umsatzsteuer bezahlt. Gerne wird dieser Betrug auch beim Hauskauf angewandt.

Steuerbetrug in großer Form

Eine immer wieder bekannt werdende Masche ist die Gründung einer Briefkastenfirma im Ausland. Die reguläre Firma verschiebt ihre Gewinne dorthin, meist auf kleine Inseln (Cayman). Dort müssen sie nicht zahlen, weder Einkommens- noch Kapitalertragssteuer. Eine große Form des Betrugs haben sich vor einigen Jahren große Banken und große Firmen ausgedacht. Bei den Cum-Cum bzw. Cum – Ex – Deals haben Finanzämter Firmen die Kapitalertragssteuern mehrfach erstattet, obwohl die Firmen diese nur einmal gezahlt hatten. Die Frage ist hier, wie weit hohe politische „Würdenträger“ in solche Skandale in Deutschland verstrickt waren. Ein Untersuchungsausschuss versucht zu klären, wie das überhaupt passieren  konnte, obwohl es ein extra Institut nur zur Finanzaufsicht  (Bafin) gibt.  An dem Fall wird ein wichtiger Punkt deutlich: es ist falsch, die Finanzaufsicht (Bafin) ausgerechnet dem Finanzministerium zu unterstellen. Es braucht auch hier eine unabhängige Überwachung, vor allem eine, die genauer hinschaut und zügig handelt.

Justitia ist auch die Göttin der Gerechtigkeit

Justitia steht nicht nur für die Rechtsstaatlichkeit. Seit Beginn gilt sie auch als die Göttin der Gerechtigkeit. So ist hier darauf hinzuweisen: Die EU hat bisher noch immer keine europaweite Börsentransaktionssteuer erlassen. Das ist extrem  ungerecht. In Deutschland gilt eine Mehrwertsteuer auf alle anderen Waren und Dienstleistungen, nur nicht auf den Wertpapierhandel! Hier steht übrigens mal wieder unser Land  auf der Bremse – und das, obwohl es einen SPD-Finanzminister gibt. Leider benutzt er dafür auch noch unlautere Behauptungen wie die, eine solche Steuer sei nur auf europäischer Ebene möglich. Es gibt aber bereits Länder innerhalb der EU, die diese Steuer in ihrem Land eingeführt haben! Eine weitere hohe Ungerechtigkeit ist auch folgende: die großen Internetkonzerne wie Google, Facebook und Amazon profitieren nach wie vor in Irland von Steuerprivilegien. Das will die EU demnächst ändern – allerdings mit langen Übergangszeiten (vgl. dazu hier)

Gioiatauro_seaport, Containerhafen in Kalabrien, Istvánka in Wikipedia auf Ungarisch, CC BY-SA 3.0.jpg

Gioia Tauro, Containerhafen in Kalabrien, Istvánka, ung. Wikipedia, Wiki Co, CC BY-SA 3.0

Die Mafia

Wie die Mafia funktioniert, ist aus Italien bekannt. Ganze Clans beherrschen einen Wirtschaftszweig wie z. B. die Müllabfuhr in Neapel.  Von der Stadtverwaltung, in der sie ihre Gewährsleute haben, kassieren sie – durch Ausübung von Druck – überhöhte Preise. Konkurrenten schrecken die Mafiosi mit Drohungen ab. Und wenn auch das nicht hilft, verübt man auch Morde. Müll war in Neapel über Jahrzehnte ein Mittel der Erpressung für die Camorra und ein „bombensicheres“ Geschäft. Nach EU-Verfahren scheint die italienische Regierung des Problems Herr geworden zu sein. Heute beherrscht ein anderer Teil der Mafia, die Ndrangheta, Kalabrien und dort einen Container-Hafen als Umschlagplatz für den von ihr gesteuerten weltweiten Kokainhandel.(tagesschau.de, 10.10.2020)

4. Der Bericht über die Rechtsstaatlichkeit in der EU von 2020

Der Rechtsstaatsbericht der EU aus dem Jahre 2020, den die Kommission erstmals vorgelegt hat, orientiert sich an den Werten der Europäischen Gemeinschaft. Er befasst sich nicht nur mit einzelnen problematischen Mitgliedsländern, sondern nimmt alle 27 in den kritischen Blick. Er ist als präventives Instrument gedacht. Durch die Diskussion des Berichtes auf allen Ebenen soll dem Rechtsstaat der „Rücken gestärkt“ und seine Durchsetzung voran getrieben werden.  Der Bericht beleuchtet vier Dimensionen.

a) Das Justizsystem

Der Bericht nimmt die Unabhängigkeit, die Qualität und die Effizienz der jeweiligen Gerichte in den Blick. Der umfassende Ansatz des Berichts ist sehr zu begrüßen. Das kann helfen z.B. eine formelle Unabhängigkeit der Justiz vorzufinden, aber z.B. eine über Gebühr lange Dauer von Gerichtsverfahren. Wenn Bürger*innen nicht zu ihrem Recht kommen, kann das z.B. daran liegen.

b) Der Rahmen zur Korruptionsbekämpfung

Korruption, Steuerbetrug und Geldwäsche sind Grundübel des Zusammenlebens. Und sei sind mit Rechtsstaatsprinzipien in keiner Weise vereinbar. Leider sind diese Grundübel auch in der europäischen Gemeinschaft verbreitet. Ein schärferes Vorgehen der EU dagegen  ist deshalb von eminenter Bedeutung. (vgl. dazu hier). Außerdem soll die Herstellung von Transparenz in Bezug auf das Lobbying gestärkt werden. Dazu gehört z.B. auch die weitere Unterbindung des sog. Drehtüreffektes. Das ist der sofortige oder der sehr schnelle Wechsel eines Politikers in die Wirtschaft.

c) Der Medienpluralismus

Medienpluralismus hat zwei zusammenhängende Dimensionen.

Die erste bezieht sich auf die Unabhängigkeit sowohl privatwirtschaftlicher als auch öffentlich-rechtlicher Medien von staatlichem oder parteipolitischem Einfluss. Noch genauer: in einer Demokratie dürfen politische Parteien bzw. einzelne Politiker  nicht direkt oder indirekt die Eigentümer von Presse- oder Rundfunkunternehmen sein. Sollen die Medien als quasi 4. Gewalt eine kritische Funktion gegenüber staatlicher Macht ausüben, so müssen sie rechtlich und finanziell unabhängig sein.

Die zweite Dimension

Sie bezieht sich auf den Pluralismus innerhalb der Medien. Das sind Zeitungs-, Hörfunk-, Fernseh- und inzwischen auch Online- Angebote in umfassendem Sinn von politischen und gesellschaftlichen Nachrichten. Dazu gehören Interviews, Kommentare, Wirtschaftsnachrichten, Dokumentationen, kulturelle Angebote, Sportberichterstattung etc.  Kommt es in diesen Bereichen wie z.B. bei den Boulevardblättern zu Monopolbildungen, so fehlen den Bürger*innen die Auswahlmöglichkeiten zur Bildung einer eigenen Meinung.

Die Beschaffung von Informationen

In diesem Zusammenhang ist auch die Qualifikation der Journalisten und ihre ausreichende Bezahlung von entscheidender Bedeutung. Schließlich muss es darum gehen, investigativen Journalismus und auch „whistle blower“, also diejenigen, die Missstände aus den Bereichen, in denen sie arbeiten, aufdecken, effektiv zu schützen.

d) Sonstige Fragen im Zusammenhang mit der Gewaltenteilung

Wie weit wird die Zivilgesellschaft – das sind gemeinnützige Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften etc. – in die Erörterung von Gesetzesvorhaben oder Gesetzesänderungen und staatsorganisatorische Fragen einbezogen  – und zwar transparent. Demokratie lebt nicht nur von periodisch wiederholten Wahlen, sondern auch von der Lebendigkeit der auch kritischen politischen Diskussionen zwischen den Wahlterminen.

Frage der Gemeinnützigkeit

Problematisch ist, wenn der Staat gemeinnützigen NGOs droht, ihnen die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Die Frage in Deutschland war  dabei zuletzt, wieweit NGOs sich politisch äußern dürfen.  Der Entzug ist tatsächlich in den letzten Jahren auch in Deutschland wiederholt umgesetzt worden. Gerade diese Organisationen jedoch sehen  viele engagierte Menschen als eine wichtige Möglichkeit, zwischen den Wahlen Einfluss zu nehmen.  Gerade dort können sie die Stimme der Zivilgesellschaft zu Gehör bringen. Dies ist nicht nur wichtig, sondern sogar erforderlich. Denn Lobbyisten nehmen ständig massiven Einfluss und das bisher meist im Verborgenen. Und sie können noch dazu ihre Kosten von der Steuer absetzen! Im Gegensatz zu den mächtigen Lobbygruppen und den finanziell oft bestens ausgestatteten Lobbyverbänden leben die Nichtregierungsorganisationen meist von vielen kleinen Privatspenden. Und nach dem Entzug der Gemeinnützigkeit können die Petenten  ihre Spende nicht mal mehr von der Steuer absetzen.

Quorum

Auch die Erhöhung eines Quorums, das für einen Europäischen Bürgerentscheid zu erbringen ist und von der (alten)  Bundesregierung diskutiert wird, würde politisches Engagement erheblich beschneiden. Offenbar fürchten Politiker auch in Demokratien die vielfach geäußerte Meinung der Bürger*innen doch sehr. Bisher gilt auf europäischer Ebene (seit 2012) ein Quorum von 1 Million Stimmen aus mehreren Ländern (sieben). Das wird nur sehr selten erreicht.(U.E. bisher nur sechs mal)

Bewertung des Berichtes

Der Rechtsstaatsbericht verfolgt also einen umfassenden Ansatz. Zum Einen überprüft er alle 27 EU Mitgliedsstaaten und behandelt nicht nur die Defizite der bekannten „schwarzen Schafe“. Zum Anderen beleuchtet er nicht nur Formalia zur Absicherung der Unabhängigkeit der Justiz, sondern fragt auch nach deren Effizienz und Qualität.  Drittens legt der Bericht ein besonderes Gewicht auf das Thema Korruptionsbekämpfung und Medienpluralismus. Viertens berücksichtigt er die Vitalität der Zivilgesellschaft. Er wurde erstellt mit einer Methodik, die die Macher mit den Mitgliedsstaaten abgestimmt haben. Er wurde auch in Zusammenarbeit mit Interessenträgern der Zivilgesellschaft, z.B. den Berufsverbänden der Journalisten oder der Rechtsanwälte im jeweiligen Land, zusammen gestellt.

Der Bericht ist sehr differenziert. Oft ist er relativ vorsichtig formuliert. Spricht er von „Herausforderungen“, so ist tatsächlich gemeint: Der behandelte Zustand ist schlecht und inakzeptabel. Er benennt Defizite, geht aber auch auf geplante Reformen ein, denn er soll Mut machen, mit den begonnenen Anstrengungen fortzufahren.

Wichtige Feststellungen des Berichts in Bezug auf einzelne Länder

Hier können wir nicht den vollständigen Rechtsstaatsbericht wiedergeben. Wir heben einzelne Schwerpunkte hervor, wenn sie ein Bild für den Zustand der Union auf diesem Gebiet abgeben.  Es geht nicht darum, einen Idealzustand der Rechtsstaatlichkeit als Maßstab der Bewertung zu benutzen. Dort wo Menschen interagieren, gibt es auch immer mal wieder Skandale und Verstöße gegen die Prinzipien des Rechtsstaates. Entscheidend ist, wie der Rechtsstaat mit diesen Verstößen umgeht und wie er sie sanktioniert. Werden aus Skandalen Lehren gezogen und Verbesserungen z.B. des Gerichtssystems tatsächlich umgesetzt? Auch der Rechtsstaat ist, wenn er funktioniert, ein lernendes gesellschaftliches Teilsystem.

Der Bericht bildet einzelne Ländergruppen, je nachdem, ob sie wenig oder viel Anlass zur Besorgnis geben und je nachdem, ob sie wenig oder aber viel Reformbedarf aufweisen.

Gruppe 1:

Acht Länder  stuft der Bericht in praktisch allen vier Dimensionen als weitgehend vorbildlich ein, wenn auch jeweils mit eigenen Schwerpunkten. Das sind (alphabetisch) Belgien und Dänemark, Estland und Irland, Frankreich und die Niederlande, sowie Finnland und Schweden. Es sind fast alles Länder des „Westens“ mit längerer Tradition der gelebten Demokratien. Allerdings gehört von den relativ spät beigetretenen Ländern Estland in diese Gruppe, was bemerkenswert ist. Diese acht Länder sind diejenigen, die die Analysten am wenigsten mit Korruption in Verbindung bringen.

Positive Bemerkungen zu einzelnen Ländern dieser Gruppe

In Bezug auf Belgien heben sie positiv hervor,  der gesetzliche und institutionelle Rahmen zur Korruptionsbekämpfung sei weitgehend vorhanden. Deshalb nehme Belgien auch einen hervorragenden 7. Platz in der EU – Liste von Transparency International ein. Außerdem sei in Belgien die Folgenabschätzung in Bezug auf geplante Rechtssetzung gut etabliert. Für Finnland  vermerken sie,  ein Transparenz-Register zur Lobbyarbeit sei auf den Weg gebracht worden. In Bezug auf Schweden weist der Bericht darauf hin,  die EU Richtlinie 2019/1937, die dem Schutz von Personen – wistle blowern – dient, die Verstöße gegen das Unionsrecht öffentlich bekannt machen, befinde sich im Prozess der Überführung in schwedisches Recht. In Frankreich habe ein neues Amt zur Korruptionsbekämpfung seine Arbeit aufgenommen, von dem mehr Effizienz erwartet wird.

Gruppe 2:

Dies ist eine Gruppe von Ländern, die nur in einzelnen Aspekten der Rechtsstaatlichkeit zur Besorgnis Anlass geben. Dazu gehören Deutschland und Österreich, Litauen und Lettland, Spanien und Portugal und auch Luxemburg. Für Deutschland monieren die Beobachter  den „Drehtüreffekt“. Politiker, die den aktiven Dienst quittieren, tauchen alsbald auf neuen Posten auf, die Einfluss auf die Politik haben. Beispiele dafür sind: der frühere CDU-Mann Matthias Wiemann bei der Autolobby, der frühere CDU-Kanzleramtschef Roland Profalla als Vorstandsmitglied bei der Deutschen Bahn, der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder als Aufsichtsrat bei der russischen Firma Gasprom, usw.

Kleine Einschränkung

Zwar müssten diese Personen beim Ausscheiden aus der Politik inzwischen melden, wenn sie innerhalb der nächsten 18 Monate ein Amt in der „freien“ Wirtschaft annehmen wollten. Aber eine sog. „cooling off Phase“ gebe es bisher nicht.

In Bezug auf Lobbyisten-Tätigkeiten fehle eine obligatorische Registrierung von Kontakten zu Bundestagsabgeordneten und besonders zu Mitgliedern der Regierung. (Im Frühjahr 2021 ist nach mehreren Skandalen in CDU und CSU in Bezug auf Maskengeschäfte ein Gesetz zur Registrierung von Lobbytätigkeiten auf den Weg gebracht worden. Allerdings sind direkte Kontakte zu Regierungsmitgliedern weiterhin nicht eingeschlossen).

Schließlich wird kritisch angemerkt:  die jeweiligen Justizminister in Deutschland hätten ein Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten.

Hier zwei Beispiele

Beispiele für einen politischen Missbrauch dieses Weisungsrechtes sind z.B.: im Bezug auf den Filmer des Videos zur Ibiza-Affäre des Rechtspopulisten Strache gab es eine ungute Zusammenarbeit zwischen deutschen und österreichischen Staatsanwaltschaften. Diese führte zur Inhaftnahme des Filmers anstelle des Übeltäters ( Der Spiegel)   Auch die medial stark begleitete (!) „Razzia“ im Bundesfinanzministerium durch einen Staatsanwalt aus Osnabrück zwei Wochen vor der Bundestagswahl 2021 wirft drängende Fragen auf. Denn gegen zwei Personen beim Zoll in Köln  wird in dem Fall seit Februar 2020 ermittelt).

Österreich

Die gleiche Kritik äußern die Analysten in Bezug auf Österreich. Einige aufsehenerregende Fälle im Zusammenhang mit der Parteienfinanzierung hätten in Österreich eine umfassende Gesetzesreform zur Korruptionsbekämpfung initiiert. Schließlich vermerken sie in Bezug auf Österreich außerdem,  die aus dem Lobbyregister zu entnehmenden Informationen hätten nur begrenzten Wert.

weiter Gruppe 2

Für Lettland beklagen die Untersuchenden die lange Dauer von Verfahren in Korruptionsfällen sowie zu deren gerichtlicher Aburteilung. Sehr positiv erwähnen sie hingegen, in Lettland sei ein Versuch abgewehrt worden von Jemandem, der eine Fernsehlizenz erhalten wollte, obwohl er auf einer EU-Sanktionsliste steht. In Bezug auf Litauen äußern sie die Besorgnis über indirekte politische Beteiligung an Medienunternehmen über Tochterunternehmen. Besonders im Bereich der lokalen und regionalen Medien würden so politische Interessen verfolgt. In Spanien seien eine Reihe von positiven Reformen auf dem Weg der konkreten Umsetzung.  Portugal mangele es an Ressourcen für eine effektive Verfolgung von Korruptionsfällen. Luxemburg habe weder den „Drehtüreffekt“ noch den Lobbyismus reguliert. Auch hier gebe es kein nationales Lobbyregister.

Gruppe 3:

In diese Gruppe werden  die Länder eingeordnet, die einen gravierenden Reformbedarf aufweisen. Die Reihenfolge ist nach den größer werdenden  Problemen gegliedert. Die Übergänge zur Gruppe 4 sind fließend.

In Bezug auf Tschechien heben die Prüfer die mangelnde Transparenz von Medienbesitzverhältnissen hervor. In der Slowakei wird die Unabhängigkeit der Justiz als sehr gering wahrgenommen, allerdings seien Reformen angekündigt. Die Regulierung des Drehtüreffekts und der Lobbyarbeit von Interessengruppen sei unzureichend.

Sonderfall Slowenien

In Slowenien stelle die Dauer von Gerichtsverfahren in Geldwäschefällen nach wie vor eine Herausforderung dar – im Klartext: sie sind schlicht viel zu lang! Die personellen und finanziellen Ressourcen für die Kommission zur Korruptionsprävention seien unzureichend. Die Medien betreffend schreiben sie: Die eigentlichen Eigentümer der Medien seien schwer zu ermitteln. Welt.de vom 14.8.2020 schreibt, der im März zum Ministerpräsidenten gewählte Janez Jansa von der Slowenischen Demokratischen Partei habe ein gestörtes Verhältnis zur Meinungsfreiheit. Die EU Kommission verfolge mit Sorge den Fall des Investigativ – Journalisten Blaz Zgaga. Er hatte akribisch über Chaos und Korruption beim Kauf von Beatmungsgeräten und Atemschutzmasken berichtet.  Jansa habe ihn deshalb öffentlich als Lügner angeprangert. Außerdem kauften sich ungarische Geschäftsleute in das slowenische Mediensystem ein. Sie bauten sich damit besorgniserregende grenzüberschreitende Allianzen auf.

Zypern und Kroatien

Ähnlich lauten die Feststellungen für Zypern. Gerichtsverfahren seien nach wie vor langwierig, wichtige Gesetze zur Korruptionsprävention und zum Lobbying stünden aus. Es mangele auch hier an der Transparenz in Bezug auf die wirtschaftlichen Eigentümer der Medienunternehmen im Print- und im digitalen Bereich. In Kroatien sieht es auch nicht besser aus. Nach wie vor mangele es dem Justizsystem an Effizienz und Qualität. Die Gesetzgebung zur Korruptionsbekämpfung sei nicht hinreichend umgesetzt. Daher sei die Korruption auf der kommerziellen Ebene alarmierend. Kroatien ist nach dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International mittlerweile auf Platz 63 abgerutscht. Es liegt damit nur 3 Plätze vor Weißrussland. Welt.de vom 14.8.2020 schreibt: „Ein neuer EU-Bericht über Medienvielfalt kommt zu einem vernichtenden Urteil. Journalisten sind Gegenstand von Schmutzkampagnen, Hassbotschaften, Todesdrohungen, Panikmache, Belästigungen durch die Polizei und Verleumdungsanzeigen“.

Der italienische Justizpalast ist unabhängig von der Effizienz der Justiz eins der schönsten Justiz-Gebäude, die zu finden sind, 1888 -1910 erbaut.
Courthouse_facade,_Rome,_Italy, Der oberste Gerichtshof Corte Di Cassazione, Rom am Tiger Justizpalast, Jebulon CCO,.jpg

Corte Di Cassasione, Der Oberste Gerichtshof in Rom am Tiger, Jebulon, CCO; über dem Eingang befindet sich das „Bild“, das über diesem Artikel steht: Justitia mit der Unschuld auf der einen Seite und dem Laster auf der anderen Seite

Italien und Griechenland

Für Italien konstatiert der Bericht,  die Effizienz der Justiz sei nicht voll gegeben. Es gebe andererseits Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung. Es gebe aber kein Gesetz zur Lobby-Begrenzung. Die Frage nach der politischen Unabhängigkeit der italienischen Medien sei ein sehr heikles Thema. Insbesondere im Bereich der audiovisuellen Medien gebe es keine Bestimmungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten  – Berlusconi lässt grüßen. Der Medienmogul war viele Jahre Ministerpräsident Italiens. Für Griechenland  konstatiert der Bericht zwar Reformerfolge, aber das Justizsystem sehe sich weiterhin mit Qualitäts- und Effizienzproblemen konfrontiert. Ein umfassender nationaler Plan zur Korruptionsbekämpfung befinde sich in der Umsetzung. Lobbyarbeit sei weitgehend nicht reguliert. Es bestünden auch erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der Vorschriften zur Transparenz der Medieneigentumsverhältnisse.

Rumänien

gehört fast schon zur folgenden Gruppe 4. Die zivilgesellschaftliche Wahrnehmung der Unabhängigkeit der Justiz ist sehr gering. In der Exekutive gebe es eine Abteilung zur Untersuchung von Straftaten im Justizwesen, also von Richtern und Staatsanwälten. Das führe zur Verunsicherung und Einschüchterung. Es gebe auch erhebliche Zweifel an der Nachhaltigkeit der Korruptionsbekämpfung. Schließlich weise die Transparenz der Eigentumsverhältnisse in den Medien Lücken auf.

Bulgarien

gehört ebenfalls schon fast in die folgende Gruppe. Der Generalstaatsanwalt könne jede beliebige Entscheidung eines „untergeordneten“ Staatsanwalt aufheben oder abändern. Im Bereich der Frage nach der Unabhängigkeit der Justiz sei das sehr problematisch. Allerdings sei eine Reform zur verstärkten Rechenschaftspflicht des Generalstaatsanwalt für sein Tun im Gange. In Bezug auf die Korruptionsbekämpfung hebt der Bericht hervor,  die Vermögensangaben und die Offenlegung finanzieller Interessen ranghoher Amtsträger sollen öffentlich gemacht werden. Allerdings seien nachweisbare Erfolge in diesem Bereich noch zu erbringen. Das Misstrauen der Bevölkerung sei nach wie vor groß. Es mangele im Übrigen an Transparenz der Eigentumsverhältnisse im Medienbereich. Verflechtungen zwischen einigen Medienunternehmen und politischen Akteuren ließen sich konkret nachweisen. Außerdem würden sich Berichte über tätliche Übergriffe und Online-Angriffe auf Journalisten häufen.

Zu den letzten drei Ländern heißt es

Der Nachholbedarf zur Sicherung des Rechtsstaates in Bulgarien und in Rumänien wird daher als sehr groß eingeschätzt. Dabei ist kritisch zu beachten und dies gilt auch für Griechenland: ein Nachholen im Bezug auf Gesetzesvorschriften bedeutet noch lange keine Verbesserung der Anwendungspraxis. Man darf sich da nicht täuschen lassen.

Ungarn heute, Wahl einer noch nie als Richter fungierenden Person an die Spitze der Justizhierarchie, die Kuria, Okt. 2020.jpg

„Ungarn Heute 2020.10.20: “ Wahl eines bisher „ohne Praxis als Richter“ fungierenden Staatsanwaltes als Präsident der Kuria, gegen den Protest aller Gremien der Opposition. Orban gratuliert

Gruppe 4:

In diese Gruppe gehören die Länder, bei denen der Rechtsstaatsbericht gegenwärtig die größten Probleme und den weitreichendsten Reformbedarf sieht. Ungarn und Polen sind die größten Sorgenkinder der EU.

Gegen Ungarn hat die EU Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 7 Abs. 2 EUV eingeleitet wegen mangelnder Unabhängigkeit der Justiz. In Ungarn ist den normalen Gerichten die sog. Kuria übergeordnet. Auch diese wird zunehmend regierungskonform besetzt, siehe neben stehende Bildunterschrift.

Entziehung des Rechtsschutzes

Besonders kritisch werten die Berichterstatter aber schon jetzt mit Recht Folgendes: die Kuria hat erklärt,  ein Vorabentscheidungsersuchen eines ungarischen Gerichts an den EUGH ist nach ungarischem Recht rechtswidrig. Vorabentscheidungsverfahren sollen klären, wie eine Norm des EU Rechts, die für einen spezifischen Gerichtsprozess relevant ist, auszulegen ist. Unterbindet die Kuria so ein gerichtliches Ersuchen um eine Vorabentscheidung, so entzieht sie damit dem Kläger bzw. dem Beklagten den Rechtsschutz. Dies stellt einen gravierenden und keinesfalls hinnehmbaren Verstoß gegen Rechtsstaatsprinzipien dar.

Korruption und Lobbying

Außerdem rügt der Bericht scharf, die Situation in Ungarn sei sogar korruptionsfördernd, da es einerseits enge Verbindungen zwischen der vorherrschenden Politik und bestimmten nationalen Unternehmen gebe. Und andererseits seien die Kontrollmechanismen zur Korruptionsbekämpfung weder unabhängig noch effizient. Wörtlich heißt es: „Es fehlt systematisch entschiedenes Handeln zur Untersuchung und Strafverfolgung von Korruptionsfällen, in denen hochrangige Beamte oder ihr direktes Umfeld verwickelt sind“. Außerdem sei in Ungarn Lobbying nach wie vor nicht umfassend reguliert.

Besorgnis erregende Medienpolitik

Darüber hinaus berge die Gründung des Konzerns „Mitteleuropäische Presse- und Medienstiftung“ ein hohes Risiko für den ungarischen Medienpluralismus. So würden beträchtliche Mengen an staatlicher Werbung an regierungsnahe Medienunternehmen geleitet. Dies ermögliche der Regierung, indirekt politischen Einfluss auf diese Unternehmen zu nehmen. Gleichzeitig würden noch unabhängige Medienunternehmen systematisch behindert und eingeschüchtert.  Der Trend zur wirtschaftlichen Übernahme solcher Unternehmen rufe  zusätzliche Besorgnis hervor.

Fazit zu Ungarn

In klaren Worten ausgedrückt: In Ungarn wird die Unabhängigkeit der Justiz ausgehöhlt. Politik und Mediensystem sind unverfroren miteinander verquickt. Beides dient der Absicherung der autoritären Herrschaft der FIDES-Partei von Regierungschef Victor Orban, sowie der um ihn herum stattfindenden Korruption.

Am 12. September 2018 hat eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments den Europäischen Rat aufgefordert, gegen Ungarn ein Rechtsstaatsverfahren einzuleiten.

Schwierigkeiten der EU-Rechtsstaatspolitik am Beispiel von Ungarn

Die Vertragsverletzungsverfahren, die als Sanktion am Ende zum Entzug des Stimmrechts in den EU Gremien führen könnten, benötigen zur Feststellung eines Verstoßes die Einstimmigkeit im Ministerrat aller Mitgliedsstaaten nach Art. 7 Abs.2 AEUV, mit Ausnahme des beschuldigten Landes. Da aber Polen angekündigt hat, gegen eine derartige Feststellung zu stimmen – Polen ist von Vertragsverletzungsverfahren der gleichen Art betroffen -, wird das Verfahren gegen Ungarn ins Leere laufen,  obwohl das im Parlament anders gesehen wird. Aber auch Frau Merkel hat bereits einen Vorschlag vorgelegt, bei dem Victor Orban äußerst glimpflich davon kommen wird (dazu weiter unten: Punkt 5).

EUGH-Entscheidung zuungunsten von Ungarn

Zu dem Rechtsstaatsverfahren hinzu kommt: der EUGH – C-66/18 – Urteil vom 6.10.2020 – hat entschieden: Ungarn hat mit der Schließung der internationalen Central European University, die vom US-Milliardär George Soros gefördert wurde, gegen EU Recht verstoßen. Die Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt garantiere die Niederlassungsfreiheit. Außerdem verletze die ungarische Entscheidung Grundrechte der entsprechenden Charta wie die akademische Freiheit. Ein adäquates Urteil. Denn jedes Mitgliedsland, das der EU beigetreten ist, hat durch den Beitritt zur EU die Grundwerte der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie akzeptiert.

Was sind die Konsequenzen?

Aber auch hier stellt sich die Frage: Was folgt aus einer derartigen Entscheidung? Wie wird sie umgesetzt? Wie kann Ungarn auf den Weg der Tugend mit einer unabhängigen Justiz und unabhängigen Medien zurückgeführt werden? Europa darf nicht tatenlos zusehen, wie Ungarn Schritt für Schritt eine illiberale Demokratie entwickelt, wie Orban seine Herrschaft bezeichnet, aber dabei die Grundwerte der EU mit Füssen tritt.

In Bezug auf Polen

Im Zusammenhang mit der seit 2015 vorangetriebenen „Justizreform“ äußert der Bericht große Bedenken. Das Europäische Parlament teilt diese ausdrücklich. Diese Justizreform habe den Einfluss der Exekutive und der Legislative auf das Justizsystem gestärkt und dessen Unabhängigkeit geschwächt. Das 2017 nach Art. 7 Abs. 1 AEUV eingeleitete Verfahren wird vom Rat der Staats- und Regierungschefs noch geprüft. Offenbar kommt diese Prüfung nicht voran, weil Ungarn sein Veto angekündigt hat – Komplizenschaft im Unrecht!  2019/20 hat die EU Kommission zwei neue Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Es geht um Bedenken gegen die nicht gewährleistete Unabhängigkeit und Legitimität des Verfassungsgerichtshofes. Aber auch hier das gleiche Dilemma! Der Rechtsstaatsbericht kann lediglich kritisch den nicht ausgeräumten Zustand konstatieren.(vgl. hier)

Einstweilige Anordnung des EUGH und Verurteilung

Der EUGH hat auf Antrag der EU Kommission eine einstweilige Anordnung gemäß Art. 279 AEUV erlassen – C-791/19 -, um die Befugnisse der Disziplinarkammer des obersten Gerichts in Bezug auf Disziplinarverfahren gegen Richter auszusetzen. Außerdem hat der EUGH – C-192/18 – Polen in einem Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstoßes gegen die Richtlinie 2006/54/EG verurteilt. Dabei geht es um die Verwirklichung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungs-Fragen. Die polnische Regierung hatte die Änderung der Ruhestandsregelung für Richter der obersten Gerichte verfügt. Die Amtszeit von ungefähr 1/3 der Richter*innen des Gerichts endete dadurch vorzeitig. Die Regierung versuchte so, sich auf „elegantem“ Weg von politisch missliebigen Richtern zu trennen. Nach dem Urteilsspruch des EUGH hat die Regierung diese Entscheidung zurück genommen. Ob die wieder eingesetzten Richter allerdings noch Entscheidungen fällen konnten, ist nicht bekannt. Denn die Regierung hatte die zunächst „frei“ gewordenen Stellen längst mit ihr genehmen Richtern besetzt.

Weitere Kritikpunkte im Bericht

Der Justizminister ist gleichzeitig Generalstaatsanwalt. Dadurch kann er Weisungen an Staatsanwälte herausgeben. Er hat auch die Möglichkeit, Staatsanwälte ohne Begründung zeitweise oder dauerhaft zu versetzen. Von diesem Recht habe dieser auch bereits mehrfach Gebrauch gemacht. Der Rechtsstaatsbericht der EU äußert Besorgnis über all diese Tatbestände.

Schließlich hebt der Bericht negativ hervor: die wichtigsten zur Bekämpfung der Korruption zuständigen Institutionen in Polen sind der Exekutive untergeordnet. Hier könne der Justizminister in seiner Doppelfunktion besonders mächtig und unkontrolliert agieren.

Czestochowska, Die schwarze Madonna, Luke the Evangelist, Gemeinfrei.jpg

Die Schwarze Madonna von Tschenstochau, 15. Jhdt. Luke the Evangelist, Wikmedia Commons, Gemeinfrei

Rolle rückwärts in Bezug auf Frauenrechte in Polen

Auch wenn die Frage der Frauenrechte bisher europapolitisch noch keine Rolle spielt, so wirft sie doch ein äußerst bezeichnendes Schlaglicht auf die Richtung, die Polen unter der Regierung der PiS-Partei geht. Trotz massiver Proteste hat die Regierung sich neuerdings nicht mehr gescheut, ein Gesetz dazu zu verabschieden. Die Rechte der Frau über ihren eigenen Körper zu entscheiden, also darüber, ob sie eine Schwangerschaft austragen will oder nicht, werden darin extrem beschnitten. Selbst ein behindertes Kind muss sie nun wieder austragen! Damit kehrt Polen in den Augen der Frauen Justitia voll den Rücken zu. Die Regierung unterstellt das ganze Land erneut der Macht der katholischen Kleriker und der in Polen als sog. Königin Polens verehrten Madonna auf dem Jasna Gora, dem „klaren Berg“.

Malta

Zu dieser Gruppe  4 gehört inzwischen auch Malta. Der Bericht stellt ein „tief verwurzeltes Korruptionsmuster“ in diesem Land fest. Schuldsprüche kommen erst – wenn überhaupt – nach sehr langen Verfahren zu Stande. Die Ermordung der investigativen Journalistin Daphne Caruana Galicia wird als ein massiver Angriff auf die Meinungsfreiheit gewertet. Die Hintermänner reichen bis in aller höchste Regierungsämter  und der Prozess wird bis heute verschleppt. Außerdem  kritisiert der Bericht: wichtige maltesische Medienunternehmen und Rundfunkanstalten gehören den führenden politischen Parteien.

Bisher wurden  in diesem Zusammenhang jedoch  keinerlei Vertragsverletzungsverfahren gegen Malta eingeleitet. Sie hätten wenigstens erneut die öffentliche Aufmerksamkeit auf die schlimmen korrupten Zustände in Malta gerichtet. Nur gegen die Vergabe der „goldenen Pässe“ für reiche Investoren vor allem aus Russland will die EU vorgehen. Denn diese kaufen sich damit in die EU ein.

Das Justizbarometer der EU 2020

Es enthält Tabellen z. B. zur durchschnittlichen Länge von Gerichtsprozessen in den einzelnen Sparten. So werden Vergleiche möglich zur Effizienz der einzelnen Justizsysteme.  Beispielsweise dauern Verfahren in Geldwäscheprozessen in Malta extrem lange, nämlich im Schnitt 6,3 Jahre. In Griechenland dauern Verbraucherschutzverfahren vor Gerichten im Schnitt fast 5 Jahre. Auch in Zypern dauern Prozesse im Bereich des Zivil-, des Handels- und des Verwaltungsrechts viel zu lange.

Das EU Justizbarometer, das die Länge der Verfahren für das jeweilige Land auch im Zeitverlauf darstellt, ist eine gute Ergänzung zum EU Rechtsstaatsbericht, weil so die Frage nach der Effizienz der Gerichte veranschaulicht wird. Und wie oben schon ausgeführt, berauben zu lange Verfahren den Kläger seines Rechts.

5. Diskussion von Reformnotwendigkeiten

Die Vorlage eines Rechtsstaatsbericht für die gesamte EU ist ein großer Fortschritt.  Neben den Defiziten würdigt er die bereits eingeleiteten Reformen.  Aber er  benennt auch die weiteren Reformnotwendigkeiten. Er sollte von Zeit zu Zeit neu aufgelegt werden, um hoffentlich zu einem Fortschrittsbericht für jedes Mitgliedsland zu werden. Wünschenswert wäre, wenn in Zukunft Macht-Zusammenballungen bei den Online-Medien stärker in den Blick genommen würden. Denn diese Medien gewinnen immer stärker an Bedeutung.

Zu den Rechtsstaatsverfahren

Der Rechtsstaatsbericht hat die Selbstblockade der EU durch die hohen Hürden bei Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 7 AEUV verdeutlicht. Das Einstimmigkeitsprinzip nach Abs.2 bei der Feststellung einer Verletzung der Grundwerte der Europäischen Gemeinschaft macht Verfahren nach Art. 7 zu einem stumpfen Schwert. Da das den „Sündern“ bewusst ist, nützen auch die vorgeschalteten Präventiv- und Konsultationsverfahren wenig. Sanktionen sind praktisch nicht zu befürchten, vermutlich selbst dann nicht, wenn eine Mehrheit im Parlament sie fordert.

Veränderungsvorschlag

Eine mögliche Reform wäre, wenn die Feststellung einer Verletzung der Grundwerte weg vom Rat dem EUGH übertragen würde. Staats- und Regierungschefs haben keine gerichtliche Funktion! Der EUGH könnte nach Vorschlag der Kommission oder Entscheid des Parlaments in Aktion treten. So würde für Verfahren nach Art. 7 AEUV die Parallele zu anderen Vertragsverletzungsverfahren, die auch vor dem EUGH landen, hergestellt. Denn inhaltlich sind die Vorwürfe nicht gravierend unterschiedlich. Verstoßen Teile der Justizreform in Polen gegen eine EU Verordnung oder Richtlinien, kommt es direkt zu einem Verfahren vor dem EUGH. Gibt es für Behinderungen der Justiz (bisher?) keine EU Gesetzgebung, dann muss der Weg über Art. 7 gewählt werden. Dies ist ein Unterschied, der kaum einleuchtend ist.

Trotz Einstimmigkeit müsste eine solche Veränderung möglich sein

Natürlich bedarf es für eine derartige EU Reform einer Veränderung der Verträge, wofür wiederum Einstimmigkeit erforderlich ist. Vielleicht kann diese aber doch hergestellt werden, weil es die Staats- und Regierungschefs entlasten würde, wenn sie nicht über einen „netten“ Kollegen „zu Gericht“ sitzen müssten. Dieser Weg könnte ggfs. erleichtert werden, wenn der Vorschlag der Kommission zur Einleitung eines solchen Verfahrens z. B. an eine Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit des Europäischen Parlaments gekoppelt würde.

Ein weiterer Veränderungsvorschlag

Ein Reform-Ziel ist es, der Kommission mehr „Biss“ gegenüber einzelnen Mitgliedsländern zu geben, wenn sie die Verträge und die Grundwerte der EU verletzen. Dafür wird gegenwärtig die Konditionalisierung der Haushaltszahlungen heiß diskutiert. Damit ist gemeint: Zahlungen aus dem EU Haushalt sollen gekürzt werden können, solange, bis der betreffende Mitgliedsstaat die Vertragsverletzungen in Bezug auf den Rechtsstaat rückgängig gemacht hat. Die EU Kommission hatte dazu schon 2018 folgenden Vorschlag unterbreitet. Geldkürzungen als Strafen sollen dann ermöglicht werden, wenn ein Mangel an Rechtsstaatlichkeit die Grundvoraussetzungen für eine wirtschaftliche Haushaltsführung zu beeinträchtigen droht. Die EU Kommission hatte folgende Lösung vorgeschlagen: ihre Sanktionsempfehlungen sollen nur durch eine qualifizierte Mehrheit – mindestens 15 Staaten, die mindestens 65% der EU Bevölkerung repräsentieren – gestoppt werden können.

Revidierter Vorschlag

Der von der deutschen Ratspräsidentschaft am 30.9.2020 unterbreitete und angenommene Vorschlag sieht eine Kürzung von EU Finanzhilfen vor, wenn Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit „in hinreichend direkter Weise  Einfluss auf die Haushaltsführung und die finanziellen Interessen der Union haben“. Dies bedeutet z.B.,  Fälle von Korruption bei der Verwendung von Haushaltsmitteln im Mitgliedsland können durch Streichung oder Kürzung von EU Zahlungen bestraft werden. Gegenüber dem Status Quo wäre dies ein erster Schritt. Ermittlungen über die Verwendung von EU Geldern in Ungarn werden so nicht nur möglich, sondern sie würden auch direkt EU-Gremien vorgelegt. Aber der  Ratsvorschlag kehrt die Modalitäten zur Festlegung der Sanktionen genau um. Nach diesem Vorschlag bedarf es einer qualifizierten Mehrheit schon dazu,  um die vorgeschlagenen Sanktionen überhaupt erst mal zu diskutieren und dann in Gang zu setzen.

Bewertung des deutschen Vorschlags

Der Vorschlag bleibt weit hinter dem Vorschlag der Kommission zurück. Gerade die gravierenden Einschränkungen der Unabhängigkeit der Justiz oder der Medienfreiheit führen so nicht zu Kürzungen von EU Geldern! Der Vorschlag  verengt also  den Rechtsstaatsmechanismus inhaltlich fundamental. Darüber hinaus erschwert er  durch die hohen Anforderungen eines Quorums seine Anwendung und Umsetzung erneut. Bundeskanzlerin Merkel hatte den Vorsitz des Rats der Staats- und Regierungschefs im 2. Halbjahr 2020 inne. Sie hätte also das ganze politische Gewicht des größten EU Mitgliedslandes in die Waagschale der Verhandlungen einbringen können. Aber sie ist offenbar Herrn Orban aus Ungarn weit entgegen gekommen. Sie hat sich damit ein weiteres Mal als Bremserin eines spezifisch europäischen Fortschritts erwiesen. Sie hatte im Sommer eine inspirierende, engagierte Rede zu dem Problem gehalten, die Erwartungen weckte.

Eine bewusste Täuschung?

War es bei den Bildern, die sie in Bezug auf das Klima schuf, als sie im Eis posierte, nicht auch so?  Das Bild sendete eine Botschaft aus und weckte damit Erwartungen und Überzeugungen, der sie in der Realität nie entsprochen hat, die im Gegenteil die Öffentlichkeit getäuscht haben!

Unsere Idee

U.E. hätte es in Bezug auf den Wiederaufbaufonds sogar ein weit unkomplizierteres Verfahren geben können als das gewählte. Die Gelder werden nicht von den Staaten aufgebracht, sondern erstmals von der Kommission als Schulden aufgenommen. Soweit bekannt, muss der Großteil nicht von den Mitgliedsstaaten zurück gezahlt werden. Insofern hätten u.E. nicht alle Länder über die Verteilung entscheiden müssen, sondern z.B. nur die Euro-Länder oder die Kommission. Dann könnte auch kein Staat die Verteilung der Gelder blockieren bzw. mit Blockade drohen.

Auch in der Bevölkerung gibt es dafür breite Zustimmung

Tagesschau.de schreibt am 29.10.2020 unter der Überschrift: Geld nur gegen Rechtsstaatlichkeit? Gemäß einer EU weiten Umfrage sind  77% der Bürger für folgende Lösung: EU – Gelder sollen nur noch Mitgliedsländern zu gute kommen, wenn sie die Rechtsstaatsregeln einhalten. Das EU Parlament ist für die Einrichtung  des Rechtsstaatsmechanismus entsprechend dem Vorschlag der Kommission. Polen und Ungarn haben jedoch ihr Veto gegen die Verabschiedung des Wiederaufbaufonds angekündigt, falls der Rechtsstaatmechanismus in dieser Form verabschiedet werden sollte. Muss die EU diese Drohung wirklich ernst nehmen? Ungarn und Polen sind genauso wie alle anderen Länder dringend auf die Auszahlung der Hilfsgelder angewiesen.

Das EU-Parlament will voran schreiten

Das EU Parlament wollte Ende Oktober 2020 mit den Staats- und Regierungschefs verhandeln, um eine Einigung über den EU Haushalt ab 2021, den Wiederaufbaufonds und den Rechtsstaatsmechanismus zu erzielen. Aber aufgrund der Verschiebung der Ratssitzung auf Anfang Dezember durch Frau Merkel, bleibt unklar, was passieren wird.

Sollten diese Verhandlungen nicht erfolgreich sein bzw. sollte es nur einen weitgehend verwässerten Rechtsstaatsmechanismus geben, so müssen andere Wege zur Wahrung der Werte der EU in allen Mitgliedsländern überlegt werden.

Eine weitere Möglichkeit, voran zu kommen

Anknüpfend an das Konzept des Europas der zwei Geschwindigkeiten ist Folgendes denkbar:  die Mitgliedsstaaten, die den Rechtsstaat hochhalten, die die Medienfreiheit garantieren und alle Werte der EU respektieren, stellen für sich einen eigenen Haushalt auf, ähnlich wie es für die EURO-Zone schon einmal angedacht war. Dabei ging es um die Etablierung eines EURO-Zonen Finanz- und Wirtschaftsministers, der die Wirtschaftspolitik innerhalb des Bereichs der gemeinsamen Währung koordinieren sollte. Zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit würde sich ein Kerneuropa bilden, das seine eigenen Haushaltsmittel zur besonderen Krisenbekämpfung verwaltet. Die übrigen Mitgliedsländer blieben in Bezug auf Auszahlungen aus dem EU Haushalt über die regulären Mittel hinaus außen vor.

Ein Europa mit Biss

Allein ein solcher Vorschlag hätte disziplinierende Wirkung. Ungarn hätte vermutlich kaum Chancen, vom Russland Putins Subventionen für die Kompensation der Folgen der Pandemie zu erhalten. Das Gleiche gilt erst recht für Polen. Ein solches Europa der zwei Geschwindigkeiten im Bereich der Haushaltsführung wäre mit den vorhandenen Verträgen vereinbar und würde wahrscheinlich einen heilsamen Lerneffekt auslösen. Es bedarf der Rückbesinnung, denn die EU ist nicht nur Geldgeber, sondern  sie hat Anspruch auf Achtung ihrer Werte, ganz besonders in der EU selbst. Im Übrigen hat jedes Mitgliedsland diese Werte beim Beitritt akzeptiert. Auch wenn es hier nur darum ginge, konsequent und damit den eigenen Werten treu zu sein, könnte dies bedeuten, dass Europa endlich lernt, die Sprache der Macht zu sprechen.  Und das auch nach innen, um die Anerkennung des Rechtes in seiner Allgemeingültigkeit durchzusetzen und damit Justitia die Ehre zu geben.

Zu der Vereinbarung zum Rechtsstaatsmechanismus, siehe hier  auch die Aktuellen Nachrichten  5.11. und  10.12.2020