Einige Vorbemerkungen müssen gemacht werden, bevor wir uns der Europäischen Zentralbank mit Sitz in Frankfurt am Main und ihren Aufgaben der Geld- und Währungspolitik zuwenden.
Geld ist in verschiedenen Formen vorhanden
Es gibt Bargeld in der Form physisch vorhandener Scheine und Münzen. Daneben gibt es Buchgeld, das, wie es der Name schon sagt, nur auf dem Papier in den Büchern z. B. einer Bank besteht. Buchgeld kann von einer privatwirtschaftlichen Bank „geschöpft“ werden, indem sie abschätzt, wie viel von ihren gewährten Krediten tatsächlich in Bargeld nachgefragt werden wird. Da heute sehr viele Geschäfte bargeldlos abgewickelt werden, wird von den Krediten nur ein Bruchteil tatsächlich in Bargeld umgewandelt. Die Bank kann also bei einem Bargeldbestand von 1000,- Schweizer Franken -und sagen wir bei einem Buchgeld-Schöpfungs-Multiplikator von 10- einen Kredit für 10.000,- Schweizer Franken gewähren. In normalen Zeiten muss sie nicht befürchten, zahlungsunfähig zu werden.
Wenn es also heißt, eine Zentralbank kontrolliert die Geldmenge – u.a. um die Inflation zu bekämpfen -, dann geht es um beide Formen des Geldes.
Geldfunktionen
Dazu werden herkömmlicher Weise die Funktion als universelles Zahlungsmittel, die Wertaufbewahrungsfunktion und die Wertbemessungsfunktion gezählt.
Universelles Zahlungsmittel heißt: der Besitzer von Geld kann alle auf den Märkten angebotenen Güter gegen Hingabe des geforderten Geldbetrages kaufen.
Wertaufbewahrungsfunktion bedeutet: gehortetes Geld muss nicht sofort ausgegeben werden. Es kann stattdessen gespart werden. Später kann sein Besitzer z. B. dafür einen Autokauf tätigen.
Wertbemessungsfunktion bringt zum Ausdruck: der Preis macht unterschiedliche Angebote vergleichbar, z.B. die von Autos oder die von Häusern .
Früher war im Umlauf befindliches Geld durch Gold „gedeckt“, d.h. abgesichert. Gold war ein knappes Gut. Im Krisenfall konnte das Gold verkauft werden. Damit konnte der Geldentwertung entgegen gewirkt werden. Heute gibt es keine Goldwährung mehr.
Maßstab für den Wert des Geldes
Der Wert des Geldes heute beruht einzig auf dem Vertrauen der Bürger. Sie gehen von der Stabilität des Wertes aus. Geht dieses Vertrauen verloren, kommt es zu panikartigen Reaktionen der Bürger und Bürgerinnen. Ein Run auf die Banken setzt ein. Die Hoffnung dahinter ist, das abgehobene Geld sicher zu haben. Solche Entwicklungen sind aus dem Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929ff und jüngst aus der weltweiten Bankenkrise ab 2007/8 bekannt. Solche Krisen werden nicht durch Anpassungsprozesse an den Finanzmärkten „gelöst“. Sie sind bisher immer durch staatliche Rettungsmaßnahmen gedämpft worden. Die Logik hinter der staatlichen Rettung ist: wenn eine Bank strauchelt, setzt der Run auch bei den anderen Banken ein.
Finanzpolitische Maßnahmen eines Staates
Wenn sich in zwei Ländern mit unterschiedlichen Währungen die wirtschaftliche Entwicklung auseinander bewegt, kann eine Folge die Einbuße der Wettbewerbsfähigkeit von einem der Länder sein. Dieses Land hat dann die Möglichkeit der Abwertung seiner Währung durch Veränderung der Wechselkurse. Dadurch werden die von ihm exportierten Waren im Ausland billiger. Das abwertende Land gewinnt wieder an Konkurrenzfähigkeit zurück. Allerdings, importierte Güter werden durch die Abwertung des eigenen Geldes teurer. Das ist der Preis dafür. Je nachdem wie das Verhältnis von Export und Import des betroffenen Landes ist, kann ein solcher Prozess vorteilhaft oder schmerzhaft sein.
In einem Staatenverbund
Wenn nun die betroffenen Länder einem einheitlichen Währungssystem angehören, fällt die Möglichkeit eines solchen Anpassungsprozesses weg. Bei sinkender Wettbewerbsfähigkeit z.B. auf Grund zu hoher Preise oder zu geringer Produktivität bleibt dann nur eine Kürzung von Löhnen und/ oder eine Steigerung der Produktivität. Diese kann durch Ausweitung der Arbeitszeit oder durch die Einführung neuer Technologien geschehen. Aber all diese Maßnahmen sind meist sozialpolitisch recht schmerzhaft.
1. Das Konzept eines einheitlichen Währungsraumes in der EU und die dazu gehörigen Rahmenbedingungen
Das Konzept eines einheitlichen Währungsraumes war als Ergänzung des einheitlichen Wirtschaftsraumes mit den vier Freiheiten gedacht. Die ursprünglichen vier Freiheiten sind die Warenverkehrsfreiheit und die Freizügigkeit der Personen und das heißt der Arbeitsplatzwahl. Außerdem sind die Niederlassungsfreiheit für Unternehmen sowie die Kapitalverkehrs- und Finanzdienstleistungsfreiheit vereinbart worden.
Die Spannungen zwischen den verschiedenen Währungen auf Grund unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklungen in den Nationalstaaten sollten dadurch abgebaut werden. Und nach außen sollte so eine starke gemeinsame Währung geschaffen werden in Konkurrenz zur Leitwährung des US Dollar. Voraussetzung für dieses Projekt war die Angleichung der wirtschaftlichen Entwicklung in den Ländern, die dem Euro beitreten wollen. Nur durch eine früh beginnende Angleichung können zentrifugale Spannungen im Währungsraum vermieden werden.
Die ordnungspolitische Leitvorstellung in der EU
Die ordnungspolitische Leitvorstellung hinter diesem Projekt ist die einer kapitalistischen Marktwirtschaft westlicher Prägung in den einzelnen Mitgliedsländern. Die jeweilige Marktwirtschaft muss innerhalb des gemeinsamen Marktes und auf den Weltmärkten konkurrenzfähig sein. Der Grad der Konkurrenzfähigkeit entscheidet dann letztlich darüber, wie viel Sozialpolitik das jeweilige Land sich leisten kann. Da durch die Teilnahme am gemeinsamen Markt und an der gemeinsamen Währung keine Abschottung nach außen mehr möglich ist, ist der Korridor für die eigenständige Ausgestaltung der Wirtschaftsverfassung eng. Daher einigte man sich in der EU auf Konvergenzkriterien, die von Beitrittskandidaten zu erfüllen sind. Dabei gibt es zwei wirtschaftswissenschaftliche Theorien, wie es konkret zur Errichtung der Eurozone kommen sollte.
a) die Krönungstheorie
Erst, wenn eine funktionsfähige europäische Wirtschaftspolitik zur Angleichung der wirtschaftlichen Entwicklung in den Kandidatenländern erfolgreich etabliert ist, kann die Entwicklung durch die Einführung einer gemeinsamen Währung gekrönt werden. Als Voraussetzung dafür werden angesehen: Haushaltsdisziplin, verantwortliche Sozialpolitik, gestärkte Technologie- und Ausbildungspolitik. Nur so könne ein synchrones Mitfahren aller Euroländer im Euro-Geleitzug gesichert werden. Extratouren sind hiernach also auszuschließen, da sie die Gemeinsamkeit gefährden.
b) die Lokomotiven -, bzw. Brücken- bzw. Hebeltheorie
Dieser Ansatz geht von anderen Voraussetzungen aus. Die Annahme lautet: in der erst einmal errichteten Eurozone werden starke Euroländer ohne vorherige Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse schwächere Länder mitziehen – wie eine Lokomotive. Im Laufe der Zeit wird es zur gewünschten Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse im gesamten gemeinsamen Währungsraum kommen.
Entsprechend diesem Ansatz wurden die Konvergenzkriterien im Maastricht Vertrag von 1992 relativ weich formuliert.
1.Preisstabilität – die Inflationsrate darf nicht mehr als 1,5% über der der drei stabilsten Länder in der EU liegen.
2. tragbare Finanzen – es darf kein „übermäßiges“ Haushaltsdefizit gegeben haben.
3. Teilnahme am Wechselkursmechanismus – es dürfen keine Schwankungen aufgetreten sein.
4. Konvergenzbericht – Dokumentation der Fortschritte in der Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch entsprechende Haushalts-, Währungs- und Wirtschaftspolitik.
Auch die politische Situation spielt eine wichtige Rolle
Die politische „Großwetterlage“ Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts spielte eine besondere Rolle. Deutschland war wiedervereinigt trotz grundsätzlicher Bedenken aus Großbritannien und Frankreich. Aus der Sicht der früheren Alliierten gegen Deutschland galt es nun, das wiedervereinigte Deutschland noch fester in die Europäische Union einzubinden. So wollten die Alliierten befürchtete deutsche Sonderwege ausschließen. Bundeskanzler Helmut Kohl und sein Finanzminister Theo Waigel, beides überzeugte Europäer, stützten sich auf die Lokomotiven-Theorie. Sie wollten den Euro schnell einführen, ohne die vollständige Konvergenz abwarten zu müssen.
Vorteile einer einheitlichen Währung
Die Einführung einer gemeinsamen Währung bietet den einzelnen Ländern zusätzliche Vorteile. Reisen werden viel einfacher, weil der ständige Währungsumtausch entfällt. Unternehmen können die Preise besser vergleichen. In beiden Fällen erweist sich die gemeinsame Währung als universelles Zahlungsmittel. Hinzu kommt ein wichtiger finanzpolitischer Vorteil : gegen die Währung eines geeinten Währungsraumes kann viel schwerer spekuliert werden als etwa gegen die griechische Drachme, die kroatische Kuma oder das maltesische Pfund.
2. Die Einführung des Euro und die Gründung der Europäischen Zentralbank (EZB)
Von Anfang der Europäischen Union an gehörte die Einführung einer gemeinsamen Währung zu den Kern-Anliegen. Nach dem Werner-Plan von 1970 waren es Frankreichs Staatspräsident Giscard d’Estaing und der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt, die 1978 mit dem Europäischen Währungssystem (EWS) eine virtuelle Korbwährung und Verrechnungseinheit, den ECU, schufen. Dies war ein Vorläufer des Euro.
Die immer weiter wachsende Eurozone
Der Vertrag von Maastricht aus dem Jahre 1992 legte dann die Konvergenzkriterien fest für die beitrittswilligen Mitgliedsstaaten der EU. Die Eurozone wurde 1999 mit 11 Ländern gegründet. Alphabetisch benannt sind es: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien. 2001 trat Griechenland unter undurchsichtigen Bedingungen bei. 2007 folgte Slowenien, 2008 Malta und Zypern, 2009 die Slowakei, 2011 Estland, 2014 Lettland und 2015 schließlich Litauen. Die Eurozone umfasst gegenwärtig 19 Mitglieder. 2020 wurden Bulgarien und Kroatien Beitrittsperspektiven in den nächsten Jahren – Beitritt wahrscheinlich 2022 – eröffnet. Dies zeigt vor allem eins: trotz der Probleme in der Euro Zone ist der Euro nach wie vor attraktiv.
Bis auf Dänemark und Schweden sind alle EU Staaten verpflichtet, dem Euro beizutreten, wenn sie die Bedingungen erfüllen.
Europa der zwei Geschwindigkeiten
Die Schaffung der Euro Zone innerhalb der EU ist Ausdruck von zwei Geschwindigkeiten der Integration. 19 und demnächst wahrscheinlich zwei weitere Länder gehen voran mit der Errichtung eines einheitlichen Währungsraum. Die Erwartung ist ein Nachfolgen der bislang außerhalb verbliebenen Länder.
Die Europäische Zentralbank mit Sitz in Deutschland
Außerdem wurde durch den Vertrag von Maastricht die Europäische Zentralbank mit Sitz in Frankfurt am Main geschaffen. Sie nahm am 1. Juni 1998 ihre Arbeit auf. Die EZB nach Art. 13 des Lissabon Vertrages ist formal ein EU-Organ mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie ist auf die Bekämpfung der Inflation verpflichtet worden. Daneben soll sie auch die Konjunkturpolitik unterstützen. Vor allem aber soll sie völlig unabhängig von politischen Weisungen sein.
Man unterscheidet vier Arten der Unabhängigkeit.
Das sind zunächst operative und funktionale sowie die institutionelle Unabhängigkeit. Außerdem sind es die personelle und die finanzielle Unabhängigkeit. Letzteres bedeutet, die EZB verfügt über einen eigenen Haushalt.
Seit 2014 hat die EZB die zusätzliche Aufgabe der Aufsicht über systemrelevante Banken, d. h. über solche, die bei ihrem Straucheln die gesamte Volkswirtschaft gefährden. In diesem Bereich führt die EZB Stresstests durch. Sie prüft, ob die betreffenden Banken auch in Worst – case – Szenarien überlebensfähig sind. Im Bereich dieser Aufsicht über systemrelevante Banken arbeitet die EZB zusammen mit der durch EU-Verordnung vom 24.11.2016 geschaffenen European Banking Authority (EBA) mit Sitz in Paris. Die EBA ist ebenfalls eine unabhängige EU-Behörde. Aber sie ist der Kommission und dem Parlament Berichts – und Rechenschaftspflichtig.
Wer die Entscheidungen trifft
Die EZB hat als oberstes Beschlussorgan den EZB-Rat. Ihm gehören das Direktorium und die 19 Präsidenten der nationalen Zentralbanken an. Aus Deutschland ist das der Präsident der Bundesbank. Seit 2015 finden die Abstimmungen des Rates im sogenannten Rotationsprinzip statt. Die Mitgliedsländer haben dabei unterschiedliche Stimmengewichte je nach ihrem Bruttoinlandsprodukt und ihrem Anteil an der gesamten aggregierten Bilanz der Banken. Die fünf größten Länder haben feste Stimmrechte. Die Stimmrechte der anderen Länder wechseln in einem bestimmten Rhythmus (Im Detail vgl. Wikipedia zur EZB). EZB Entscheidungen sollen und können auf diese Weise die spezifische Wirtschafts- und Finanzkraft der einzelnen Länder berücksichtigen. Wenn dagegen jedes Land eine Stimme hätte, könnten die kleinen Länder die großen majorisieren.
Welche Aufgaben die EZB hat bzw. erfüllt
Neben der Aufgabe, das physische Geld auszugeben, ist die Hauptaufgabe der EZB die Regulierung der Geldmenge. Das ist ein wichtiges Instrument, um Preisniveau-Stabilität zu gewährleisten. Gemessen an einem harmonisierten Verbraucherpreisindex soll die Inflation unter oder nahezu 2% betragen. Als die EZB gegründet wurde, galt es auf Grund der Erfahrungen in den vergangenen Jahren, die Inflation zu drücken. Heute,(2020) und dies erscheint zunächst pervers, ist die Situation umgekehrt. Die Inflationsrate liegt unterhalb der Richtgröße und die EZB tut alles, damit die Inflation steigt in Richtung auf den Richtwert. Die offizielle Begründung dafür lautet, sonst würde eine Deflation drohen. Wenn ein Absinken der Inflation unter diesen Punkt eintreten würde, würden die Marktteilnehmer sich zurückhalten. Die Annahme dabei ist die Erwartung weiter fallender Preise.
Hintergründe
Tatsächlich aber ergibt sich diese Geldpolitik aus zwei anderen Gründen. Nach der internationalen Finanzkrise von 2007/08 gibt es weiterhin notleidende Banken. Die EZB will diese mit günstigem Geld versorgen, damit sie das Geld ausleihen. Sie sollen damit dazu beitragen, die Wirtschaft anzukurbeln, aber vor allem auch, selbst damit Gewinne zu machen und sich so über Wasser zu halten. Außerdem will sie den hoch verschuldeten Mitgliedsstaaten helfen, sich bei der Refinanzierung ihrer Staatsanleihen sehr günstige Konditionen zu sichern. Tatsächlich ist es ihr verboten, direkte Staatsfinanzierung zu betreiben. Daher macht sie das dann auf dem Umweg über den Handel mit Staatsanleihen über den Bankensektor.
Regulierung der Geldmenge
Die EZB hat mehrere Möglichkeiten, die Geldmenge zu regulieren. Sie kann zum einen den Leitzins, den Zins, zu dem sie bereit ist, den Banken Kredite einzuräumen, verändern. Wird der Leitzins gesenkt, können sich die Banken günstiger refinanzieren und damit mehr Kredite an die Privatwirtschaft ausreichen. Umgekehrt: Wird der Leitzins erhöht, so hat dies eine dämpfende Wirkung auf die Geschäftsaktivität der Banken.
Die EZB kann zum anderen Wertpapiere aufkaufen. Durch die Zahlung des Preises erhalten die Verkäufer Liquidität, die sie für ihre laufenden Geschäfte gebrauchen. Dabei erwirbt die EZB nicht nur Staatsanleihen sondern auch Unternehmensanleihen. Umgekehrt: Verkauft die EZB Wertpapiere aus ihrem Bestand, so entzieht sie den Märkten liquide Mittel und dämpft die Wirtschaftskreisläufe.
3. Die EZB und die Eurokrise ab 2007/8
Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung gegenüber der internationalen Finanzmarktkrise gerieten zunächst die südlichen EU-Staaten Griechenland, Spanien, Portugal und dann auch Zypern in Zahlungsschwierigkeiten. Der Grund: sie waren mit der Rettung „ihrer“ Banken und dem Konjunktureinbruch finanziell überfordert.
Nach dem Motto: „Mir ist das Hemd näher als der Rock“ fuhren deutsche und französische Banken zwischen 2008 und 2012 ihre Engagements in diesen Ländern massiv zurück. Das geschah auch auf Druck der nationalen Regulierungsbehörden. Deutschland tat das um knapp 50%, gleich 302 Milliarden und Frankreich um 33%, gleich 204 Milliarden Euro. Das verschärfte die Krise weiter und trieb den Desintegrationsprozess in der Euro Zone voran. Anfang 2010 stand Griechenland vor der Pleite.
Europa greift ein, aber nicht allein
Im April des gleichen Jahres einigten sich die Euro Länder auf ein erstes Rettungspaket für Griechenland. Es umfasste 30 Milliarden Euro-Kredite. Die geforderte Gegenleistung waren harte Spar- und Reformauflagen. Die Troika aus Internationalem Währungsfond (IWF), EU Kommission und der EZB kontrollierte die Einhaltung der Auflagen. Durch die Kredite stieg die Staatsverschuldung Griechenlands enorm an.
IWF und die EU beschlossen für alle von der Krise hart betroffenen Länder ein Paket in Höhe von 750 Milliarden Krediten. 2010 gründete die EU zusätzlich die „Europäische Finanzstabilisierungsfaszilität“ (EFSF). Diese kann angeschlagenen Staaten Kredite bis zu 400 Milliarden Euro gewähren. Heute firmiert dieses Rettungsinstrument unter dem Begriff ESM, Europäischer Stabilitäts-Mechanismus.
Griechenland und andere Südländer
2011 wurde bekannt: Griechenland benötigt noch mehr Hilfe, nämlich bis zu 444 Milliarden Euro. Zu diesem Zeitpunkt waren Misswirtschaft und Korruption in diesem Land nicht einmal ansatzweise bekämpft. Griechenland hatte z. B. Außenstände an nicht gezahlten Steuern und Abgaben von 60 Milliarden. Das bedeutete eine Funktionsunfähigkeit der Finanzverwaltung. Trotzdem erließ man Griechenland 100 Milliarden Schulden. In drei Hilfsprogrammen wurden Griechenland von der Troika außerdem 323,4 Milliarden zugesagt. 277,6 Milliarden zahlte man aus. Dies Land war nur das Extrembeispiel. Auch Spanien und Portugal mussten sich unter den Rettungsschirm begeben.
Senkung des Leitzinses
2012 senkte die EZB den Leitzins auf 0,75%, ein Rekordtief. Die EZB setzte damit ein Zeichen dafür, die Politik der Rettungsschirme tatkräftig zu unterstützen. EZB Präsident Draghi beruhigte die Finanzmärkte, indem er sagte: „What ever it takes!“ Ausbuchstabiert meinte er, die EZB werde alles tun, um den Euro zu stabilisieren.
2013 erreichte die Arbeitslosigkeit in der Euro Zone mit 19,2 Millionen einen traurigen Rekord. Die EZB senkte den Leitzins auf 0,5%.
Zwischenbilanz
2014 erreichte der Schuldenstand Griechenlands 160% des BIP (Bruttoinlandsprodukt). Als Zwischenbilanz zur Rettung von Euro Krisenstaaten gilt: Die Rettungspakete der Rettungsschirme summierten sich auf mehr als 500 Milliarden Euro. Davon flossen mehr als 200 Milliarden nach Griechenland, darin sind 25 Milliarden des IWF enthalten. Diese Zwischenbilanz verdeutlicht: besonders die Südländer waren nicht in der Lage, ohne Hilfe von außen eine geordnete Wirtschafts- und Haushaltspolitik durchzusetzen. Das galt auch bei relativ günstigen Zinsbedingungen der EZB – und dies mehr als 4 Jahre nach Beginn der Krise. Im November 2014 Jahres senkte die EZB den Leitzins auf 0,25%.
Zu hohe Staatsschulden
2015 rückte die wirtschaftliche Lage von Italien und Frankreich ins sorgenvolle Blickfeld. Beiden Ländern wird ein Verlust von internationaler Wettbewerbsfähigkeit und ein ungeheurer Reformstau bescheinigt. 2019, also vor der Corona Krise lag die Staatsverschuldung von Italien bei 134,8%. Die von Frankreich lag bei 98,8%. Früher hofften hoch verschuldete Länder darauf, die Schulden durch eine hohe Inflationsrate entwerten zu können. Heute kann es diese Hoffnung nicht geben.
Auch in den Folgejahren hat die EZB ihre Niedrigzinspolitik unverändert beibehalten. Sie hat ihre Aufkauf-Programme von Wertpapieren sogar noch weiter ausgeweitet. Präsidentin der EZB ist seit 2019 Christine Lagarde aus Frankreich. Sie ist frühere französische Finanzministerin und war bis 2019 Präsidentin des Internationalen Währungsfonds in Washington. (Zur ausführlichen Schilderung und Analyse der Euro Krise vgl. Bernd-Peter Lange: Krisenspirale oder Neustart? Amazon 2015, S. 270ff.)
Diese Krise und ihre Bekämpfung
waren von mehreren sich überschneidenden Diskussionssträngen begleitet:
- Ist es unumgänglich, den IWF mit ins Boot zu holen? Oder kann Europa sich selbst helfen? Aus dieser Diskussion ergab sich die Notwendigkeit, einen Europäischen Währungsfonds zu gründen. Der ESM kann dazu nur ein Vorläufer sein.
- Wäre es nicht besser, Griechenland scheidet – evtl. temporär – aus dem Euroraum aus und kehrt zur Drachme zurück? Dann hätte es die Möglichkeit, über Veränderungen des Wechselkurses die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft wieder herzustellen. Dies könnte es dann tun, ohne harte Reformen umsetzen und eine hohe Staatsverschuldung ertragen zu müssen.
- Wenn Griechenland im Euro bleibt, welche Reformen sind mit den Hilfskrediten unbedingt einzufordern und zu kontrollieren? Die Arbeit der Troika wurde von der griechischen Öffentlichkeit als demütigend und als Verstoß gegen die griechische Souveränität wahrgenommen.
Antworten
Es war richtig, Griechenland im Euro zuhalten, denn so hat das Land – allerdings unter großen Schmerzen – dringend notwendige Reformen durchgeführt. Das sind a) die Einführung eines Grundbuchamtes als Voraussetzung für einen gesicherten Immobilienhandel und von Bauplanungen. Das ist b) eine Rentenreform. Und c) hat Griechenland eine funktionsfähige Steuerverwaltung aufgebaut. So steht es heute viel besser da als zu Beginn der Krise. Es kann sich z.B. wieder eigenständig an den internationalen Kapitalmärkten Geld beschaffen. Natürlich ist der Stand der griechischen Staatsschulden viel zu hoch und liegt weit oberhalb der nach dem Vertrag von Maastricht zulässigen Grenzen.
Die Schuldentragfähigkeit ist nur gegeben, weil durch die EZB-Politik die Refinanzierungszinsen für Staatsanleihen extrem niedrig sind.
Wäre Griechenland aus dem Euro ausgeschieden, wären all seine grundsätzlichen strukturellen Probleme nicht behoben worden. Eigentlich hätten sie vor dem Beitritt zum Euro beseitigt worden sein müssen! Damals hat wohl niemand genauer hingeschaut.
4. Unberechtigte Kritik an der EZB Politik
In beiden Fällen – der Zurverfügungstellung billigen Geldes a) an die Banken und b) an die hoch verschuldeten Staaten – bewegt sich die EZB am Rande ihres Mandats. Zwei Gründe machen verständlich, warum sie dies tut. Die europäische Politik hat bisher versäumt, die Finanzmarkt- und Banken-Union zu vollenden. Damit wären die Banken weniger krisenanfällig gemacht worden. Die EZB nimmt daher notwendiger Weise mit dem Schutz maroder Banken a) eine ordnungspolitische Aufgabe wahr. Diese gehört eigentlich in den Katalog staatlicher wirtschaftspolitischer Aufgaben. Die EZB will damit und hat damit b) zur Stabilität der Eurozone beitragen. Dies kann aber kein Dauerzustand sein!
Notwendige Folgerungen
Die Finanzmarktunion muss dringend vorangetrieben werden. Dazu gehört,
a)
1. Banken müssen zu sehr viel höherem Eigenkapital als Krisenpuffer verpflichtet werden.
2. Bei Schwierigkeiten von Bankenmüssen zunächst deren Eigentümer zur Sanierung herangezogen werden.
3. Danach sind die Kunden mit Einlagen über der Einlagensicherungsgrenze von 100 000,- Euro heranzuziehen.
4. Erst dann dürfen staatliche Gelder eingesetzt werden, um einen Run zu verhindern.
b) Die Unterstützung hoch verschuldeter Staaten, ist offenbar derzeit noch notwendig.
Denn diese haben, um die Verschuldung abzubauen, bisher ihre haushaltspolitischen Aufgaben nicht gemacht. Auch dies kann kein Dauerzustand sein!
Gerade auch angesichts der notwendigen neuen Verschuldung zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona Pandemie ist dieses Thema besonders virulent. Das bedeutet:
Wirtschaftspolitische Leitlinien müssen EU-Politisch dringend umgesetzt werden
- Es müssen für alle Mitgliedsstaaten der EU verbindliche Rückzahlungsraten und -termine festgelegt werden, um in absehbarer Zeit wieder zu den maximalen Verschuldungsgrenzen des Maastricht-Vertrages zurück zu kehren.
- Dazu dürfen auch Steuererhöhungen, z.B. bei der Einkommenssteuer und ihrem Spitzensteuersatz, nicht tabu sein.
Die EZB hat also mit ihren Aufkaufprogrammen für Staatsanleihen etc. und mit der Festsetzung eines sehr niedrigen Leitzinses tatsächlich Wirtschaftspolitik betrieben. Sie hat damit für die Regierungen der Mitgliedsländer Zeit gekauft. Der Sinn dahinter war und ist: die betroffenen Länder müssen endlich die notwendigen ordnungs- und wirtschaftspolitischen und die haushaltspolitischen Reformen durchführen.
Über Leitlinien hinaus
Aber auch in diesem Bereich haben wir es mit dem Phänomen der Krisendämpfung durch europäische Institutionen zu tun. Damit ist die Verschleppung der schwelenden Krise gemeint. Denn beherzte Schritte zur wirklichen Stabilisierung des Euro-Raumes sind nicht unternommen worden. Solche Schritte kann nur die EU als Ganzes gehen. Gefordert ist eine nicht länger aufschiebbare grundsätzliche Erweiterung der Kompetenzen um eine einheitliche Wirtschaftspolitik.
Die nächste Bankenkrise ist nur eine Frage der Zeit
Angesichts der drohenden nächsten Bankenkrise ist die Verschiebung einer Lösung besonders fatal. Am 14.7.2020 wird aus einer Studie des angesehenen Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle in online-Medien zitiert: „Selbst im optimistischen Scenario droht eine neue Bankenkrise. Vor allem Sparkassen und Volksbanken sind gefährdet, weil sie mit kleinen Firmen – z.B. Gastgewerbe – zusammenarbeiten, die durch Corona besonders betroffen sind. Bei der Deutschen Bank und der dazugehörigen Postbank haben 70 000 Privatkunden beantragt, Zins- und Tilgungszahlungen auf ihre Darlehen auszusetzen.“ Die Commerzbank habe 33 000 Stornierungen. Der wunde Punkt der Bankenbranche seien die Überkapazitäten. Eine Marktbereinigung habe leider nicht stattgefunden. Die drohende Bankenkrise werde die Wirtschaftskrise verstärken.
Berechtigte Kritik
Die Niedrig- bzw. Nullzinspolitik hat zwar zur zeitweisen Stabilisierung des Euro beigetragen. Sie ist aber für eine Reihe von Kollateralschäden verantwortlich: Nicht nur „gewöhnliche“ Sparer erhalten praktisch keinerlei Zinsen mehr auf ihre Spareinlagen oder Festgelder. Die Substanz wird dadurch entwertet. Auch die Anlagen zur Alterssicherung bei Versicherungen wachsen nicht mehr, sondern schrumpfen in ihrem realen Wert.
Notwendige Schlussfolgerungen für die europäische Ordnungs- und Wirtschaftspolitik
- Es müssen also baldmöglichst Wege gefunden werden, um wieder zu einer normalen Geldpolitik mit einem Leitzins von ca. 2% oder darüber zurückzukehren.
- Hierzu ist es erforderlich, die Europäische Banken-Union zu vollenden.
- In den Staatshaushalten ist die Staatsverschuldung nach klaren Vorgaben abzubauen.
Angesichts der durch die Corona Krise notwendigen Aufnahme zusätzlicher Staatsschulden ist es wichtig, dies zu betonen und endlich die notwendigen Schritte dazu zu unternehmen. Ansonsten droht das Vertrauen in die Stabilität der Währung und der EU-Haushaltspolitik zu erodieren.